JOJO RABBIT | Jojo Rabbit
Filmische Qualität:   
Regie: Taika Waititi
Darsteller: Roman Griffin Davis, Thomasin McKenzie, Scarlett Johansson, Taika Waititi, Sam Rockwell, Rebel Wilson
Land, Jahr: Neuseeland, Tschechien, USA 2019
Laufzeit: 108 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 1/2020


José García
Foto: Fox

Muss eine Komödie über Hitler zwangsläufig verharmlosend wirken? Oder umgekehrt gefragt: Darf über Adolf Hitler gelacht werden? Übrigens: Die Frage stellte sich ebenfalls im Zusammenhang mit einem weiteren Massenmörder, als die Politsatire The Death of Stalin vor knapp zwei Jahren in die Kinos kam.

Über Dani Levys Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler und über "Er ist wieder da" (2015) von David Wnendt entbrannte deshalb eine heftige Diskussion. So erklärte etwa die Publizistin Lea Rosh: "Ich sehe keine Möglichkeiten, Hitler lächerlich zu machen - es sei denn, man ist ein Genie wie Charlie Chaplin". In "Der große Diktator" (1940) hatte Chaplin zwar Hitler und die NS-Ideologie parodiert. Allerdings erklärte er in seiner Autobiographie, er hätte den Film nicht gedreht, wenn er 1940 schon Kenntnis von den Konzentrationslagern gehabt hätte. Der andere Klassiker untern den Hitler-parodien, Ernst Lubitschs "Sein oder Nichtsein" (1942), macht sich eigentlich über ein Hitler-Double lustig.

Einen ähnlichen Weg geht der nun anlaufende Spielfilm "Jojo Rabbit" von Taika Waititi. Im fiktionalen Falkenheim, einem idyllisch-altmodischen Städtchen, haben zwar die Nazis noch das Sagen, doch der Krieg geht spürbar dem Ende zu. Der zehnjährige Johannes, Jojo genannt (Roman Griffin Davis), ist Feuer und Flamme für die Hitlerjugend, was bereits zu Beginn deutlich wird, als der Junge sich in Uniform im Spiegel selbstbewusst betrachtet. Der von der allgegenwärtigen Propaganda eingelullte, gutgläubige Jojo kann er sich endlich dem Jungvolk anschließen.

Das Selbstbewusstsein geht ihm jedoch schnell abhanden, als er es nicht übers Herz bringt, einen Hasen zu töten, was bei einem Ausbildungswochenende als Mutprobe gedacht war - deswegen erhält er den Spitznamen "Rabbit". Wie gut, dass Jojo ein imaginärer Freund zur Seite steht, ein clownesker Hitler-Doppelgänger (dargestellt von Drehbuchautor und Regisseur Taika Waititi selbst). Auch wenn seine Mutter Rosie (Scarlett Johansson) Jojo über alles liebt, vermisst der Junge seinen an der Front stehenden Vater. Deshalb stellt die Hitlererscheinung für ihn eine Verschmelzung des "Führers" mit der Vaterfigur dar. Von ihm bekommt Jojo zu hören, er sei der "beste, loyalste kleine Nazi", den er je getroffen habe.

Jojos Weltbild bekommt kräftige Risse, als er entdeckt, dass seine Mutter im eigenen Haus hinter der Wand das jüdische Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie) versteckt. Der Junge ist verwirrt: Einerseits wäre es seine Pflicht, Elsa und auch seine Mutter zu melden. Andererseits ist dieses Mädchen ganz anders als die eindringliche antisemitische Propaganda verbreitet hat. Ganz abgesehen davon, dass er seine Mutter vergöttert. Richtig gefährlich wird es, als plötzlich fünf Gestapo-Leute auf der Suche nach der Mutter auftauchen, die vom Erdboden verschwunden zu sein scheint.

Taika Waititis Nazi-Satire basiert auf dem 2014 erschienenen, bisher auf Deutsch nicht veröffentlichten Roman "Caging Skies" von Christine Leunens, einer US-amerikanischen Schriftstellerin mit italienischer Mutter und belgischem Vater, die seit 2006 in Neuseeland lebt. Zur Verfilmung durch Waititi führt die Autorin aus: "In Taikas Filmen ist das Lachen nie gratis. Es gibt immer Hintergedanken. Auch wenn man sie nicht gleich erkennt, man spürt sie. Erst kommt das Lachen, dann die Hintergedanken, sie machen einem bewusst, das hier irgendetwas nicht ganz stimmt, etwas nicht wirklich lustig ist, und leiten einen hin zu tieferen, komplexeren Gefühlen - darunter auch die Erkenntnis, wie absurd die Situation, wie tragisch und schmerzlich sie ist."

Zu diesen Hintergedanken gehört etwa auch, dass der Regisseur die ausgelassen fröhlichen Bilder von Jojo und seinem besten Freund Yorki (Archie Yates) mit alten Wochenschau-Aufnahmen mit einer Hitler frenetisch zujubelnden Menschenmenge zusammenschneidet. Dass diese Szenen mit dem Titelsong "Komm gib mir deine Hand", der 1964 von den Beatles aufgenommenen, deutschsprachigen Version von "I Want To Hold Your Hand", unterlegt sind, stellt sich die Frage: Die "Hitlermania", eine Spielart der "Beatlemania"?

"Jojo Rabbit" lebt zum Teil von herrlich überzeichneten Figuren, etwa der Jungvolk-Ausbilderin Fräulein Rahm (Rebel Wilson) oder des eifrigen Gestapo-Hauptmanns Herman Deertz (Stephen Merchant). Das I-Tüpfelchen setzt aber Hauptmann Klenzendorf (Sam Rockwell), der sich als Ausbilder der Hitler-Jugend durch Zynismus und Desillusionierung auszeichnet. Als schwuler Nazi ist Klenzendorf eine besonders ambivalente Figur, die durch seine "rechte Hand" Freddie Finkel (Alfie Allen) ergänzt wird - der Regisseur bezeichnet ihn als "hundertprozentigen Anhänger von Deutschland, und noch mehr von Klenzendorf, zu dem er eine unausgesprochene Verbindung hat".

Über die Verhohnepipelung des Nazi-Regimes hinaus stellt "Jojo Rabbit" die Mutter-Sohn-Liebe in den Mittelpunkt. In einer Schlüsselszene des Films redet Rosie mit Jojo ein ernstes Wort, wozu sie in die Rolle von Jojos abwesendem Vater schlüpft: Sie zeichnet sich einen Bart und beginnt eine Unterhaltung mit sich selbst. Rosie Betzler versteht, dass ihr Sohn von der Nazi-Propaganda verblendet wurde, aber hofft, dass er selbst das NS-Regime als menschenverachtende Ideologie entlarven wird.

Dem Drehbuchautor und Regisseur gelingt eine teilweise erheiternde Komödie über den Nationalsozialismus, ohne die Gräueltaten des Naziregimes zu verharmlosen. Denn dazu gehört auch eine Indoktrinierung, die Kinder von ihren Eltern entfremdet und ihnen letztlich ihre Kindheit beraubt. Wie die von ihm erklärtermaßen bewunderten Charlie Chaplin und Ernst Lubitsch hat auch Taika Waititi einen Weg gefunden, ein verbrecherisches System auf parodistische Weise anzuprangern.

"Jojo Rabbit" wurde für sechs Oscars nominiert, darunter in der Hauptkategorie "Bester Film".
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