MEIN FREUND KNERTEN | Knerten
Filmische Qualität:   
Regie: Åsleik Engmark
Darsteller: Adrian Grønnevik Smith, Petrus Andreas Christensen, Amalie Blankholm Heggemsnes
Land, Jahr: Norwegen 2009
Laufzeit: 74 Minuten
Genre: Familienfilme
Publikum:
Einschränkungen: --
im Kino: 7/2011
Auf DVD: 11/2011


José García
Foto: Polyband

Bei der Verfilmung von Kinderbuch-Klassikern überträgt häufig der jeweilige Regisseur die Buchvorlage auf die heutige Zeit. Stammen etwa Erich Kästners „Emil und die Detektive“ sowie „Pünktchen und Anton“ aus dem Jahr 1929 beziehungsweise 1931, so siedelten sie Franziska Buch und Caroline Link in ihrer jeweiligen Verfilmung aus dem Jahr 2001 respektive 1999 in der heutigen Zeit.

Demgegenüber überraschte der französische Regisseur Laurent Tirard mit seiner Filmadaption der von René Goscinny und Jean-Jacques Sempé ab 1959 geschaffenen Abenteuer von „Le Petit Nicolas“: Tirards siedelte seinen Film „Der kleine Nick“ (siehe Filmarchiv) in den sechziger Jahren an, wie Kleidung, Möbel, Einrichtung oder auch die Haushaltsgeräte und die Autos verrieten. Der Erfolg gab ihm Recht: Allein im Ursprungsland Frankreich lockte der Film 5,5 Millionen Zuschauer in die Kinos. Weltweit spielte er knapp 60 Millionen Dollar ein.

In seinem Spielfilmdebüt „Mein Freund Knerten“ („Knerten“) verfilmt der 1965 geborene, norwegische Regisseur Åsleik Engmark den ersten Teil der im Jahre 1962 begonnenen Kinderbuchserie von Anne-Catharina Vestly (1920-2008), der auf Deutsch mit dem Titel „Lillebror und der Knorzel“ (1966) erschien. Die Handlung von „Mein Freund Knerten“, der am „Kplus“-Wettbewerb der Berlinale 2010 teilnahm und nun im regulären Kinoprogramm anläuft, spielt ebenfalls in den beginnenden sechziger Jahren, als der etwa sechsjährige Lillebror (Adrian Gr?nnevik Smith) mit Vater, Mutter und dem zehn Jahre älteren Bruder Phillip (Petrus Andreas Christensen) von der Stadt aufs Land ziehen muss. Denn mit seinem Damenwäsche-Handlungsreisender-Job kann sich der Vater (Jan Gunnar R?ise) kein Haus in der Stadt leisten. Gut, dass die Mutter (Pernille S?rensen) eine Anstellung im Tante-Emma-Laden findet.

Lillebror („kleiner Bruder“ auf Norwegisch) findet allerdings in der neuen Umgebung keine Spielgefährten. Als aber der Vater Zweige vom Baum schlägt, fällt dem Jungen direkt vor die Füße ein Zweig – eine Art Pinocchio mit kugelrunden Augen, den Lillebror „Knerten“ nennt, ein phantastisches, lustiges Zweigmännchen und ein echter Freund. Zusammen erleben sie viele Abenteuer, wobei es auch einmal im Wald gruselig wird. Dafür begegnet Lillebror Prinzessin Tiny auf ihrem Pferd Pegasus, die sich als die gleichaltrige Vesla (Amalie Blankholm Heggemsnes) entpuppt. Bald werden sie Spielgefährten und dicke Freunde – sehr zum Ärger Knertens, der mit Mädchen nichts anfangen kann. Aber Lillebror erweist sich auch als eine wirkliche Hilfe für seinen Vater: Dank der Geistesgegenwart des kleinen Jungen wird aus dem erfolglosen Vertreter der „Strumpfhosenkönig“, so dass die Familie mit der gesamten Dorfgemeinschaft richtig Weihnachten feiern kann.

Dem Drehbuch von Brigitte Bratseth gelingt es, der episodenhaften Handlung mit einem kindgerechten Erzählrhythmus eine einprägsame Einheit zu verleihen. Regisseur Åsleik Engmark erzählt konsequent aus der Perspektive des kleinen Lillebror, der zunächst Mädchen nicht mag, wie etwa eine Episode mit zwei gleichaltrigen Mädchen zeigt, die Knerten entführen, um ihm Puppenkleider anzuziehen. Die Augen des Jungen erschließen dem Zuschauer die Dorfgemeinschaft, ob es sich beim Chef der Mutter oder dem alten Tischler handelt, der nach einem Unfall Knerten repariert. Der Sicht des Kindes entspricht auch Lillebrors Motto „Erwachsene haben keine Phantasie“. Die kindlich-naive Perspektive spiegelt sich ebenfalls in der Musik wider, die sich mal sehr beschwingt ausnimmt, im Wald jedoch geheimnisvoll-bedrohlich klingt. Auch die liebevolle Animation entspricht der 60er-Jahre-Anmutung und setzt einen wohltuenden Kontrapunkt zu den schrillen Spezialeffekten gängiger Animationsfilme.

Dennoch: Åsleik Engmark schafft es, auch Erwachsene anzusprechen. Denn „Mein Freund Knerten“ behandelt ähnlich dem erwähnten Film „Der kleine Nick“ von Laurent Tirard ohne Moralinsäure tiefgreifende Themen wie Familienzusammenhalt und Freundschaft. So urteilte etwa die Kinderjury beim 22. Internationales Kinderfilmfestival Wien vom November 2010: „Schön fanden wir, wie die Familie zusammenhält und Lillebror und sein Vater einander in schwierigen Situationen ermuntern, niemals aufzugeben.

Auch Lillebrors Mutter und sein großer Bruder sind sehr positive Figuren. Und Personen, die anfänglich etwas unfreundlich scheinen, wie der Schreiner und der Ladenbesitzer, werden im Laufe des Films Lillebrors Freunde“. Ein 15-jähriger „Junger Journalist“ kommentierte bei der Berlinale 2010: „Nur ein Kinderfilm, dachte ich zuerst. Doch er ist viel mehr als das, er ist ein Film, der viele Gefühle zeigt. Besonders gefallen hat mir, wie die Schauspieler die ganze Palette wie Liebe, Einsamkeit, Trauer, Verzweiflung, Angst und Wut authentisch darstellen, so dass sich jeder, ob klein oder groß, angesprochen fühlt. ,Mein Freund Knerten‘ ist ein Kinderfilm, ja, aber er ist auch ein Film, der das ältere Publikum zum Lachen und Mitfühlen einlädt.“
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