THE TREE | L'Arbre
Filmische Qualität:   
Regie: Julie Bertucelli
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Marton Csokas, Morgana Davies, Christian Byers, Tom Russell, Gabriel Gotting
Land, Jahr: Frankreich / Australien / Deutschland / Italien 2010
Laufzeit: 92 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 6 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 3/2011
Auf DVD: 8/2011


José García
Foto: Pandora

Trauerbewältigung gehört zu den ureigenen Sujets des Kinos, weil sich im Film die Fragen der menschlichen Existenz, freilich aus dem Blickwinkel jeweiliger zeitbedingter Gesellschaftsströmungen, widerspiegeln. Wenn man die Spielfilme Revue passieren lässt, die in letzter Zeit dieses Thema behandelt haben, fällt es auf, dass neben einer realistischen Darstellung in Jim Sheridans „Brothers“ in etlichen Filmen eine eher magisch-mysteriöse, teilweise ins Esoterische abdriftende Sicht auf den Umgang mit dem Tod eines geliebten Menschen überwiegt: In „Hereafter – Das Leben danach“ verknüpft Clint Eastwood Nahtod- und die Erfahrungen eines Mediums, der mit Verstorbenen in Kontakt tritt, mit der Sehnsucht eines 12-Jährigen nach dem verstorbenen Zwillingsbruder. In „Wie durch ein Wunder“ führt ein junger Mann jahrelang Gespräche mit seinem toten jüngeren Bruder. Noch einen Schritt weiter geht „In meinem Himmel“: Regisseur Peter Jackson erzählt konsequent aus der Perspektive eines ermordeten jungen Mädchens, das von einer Art Zwischenreich aus beobachtet, wie ihre Familie mit der Trauer umgeht.

Mit Trauer umzugehen lernen müssen auch die Mitglieder einer Familie in der australischen Provinz in Julies Bertuccellis Spielfilm „The Tree“. Basierend auf Judy Pascoes Roman „Our Father Who Art in the Tree” (“Die Geschichte vom großen Baum”) erzählt „The Tree” vom plötzlichen Tod eines jungen Familienvaters: Peter O’Neil erliegt einem Herzinfarkt am Steuer seines Geländewagens, auf dessen Ladefläche sich seine achtjährige Tochter Simone (Morgana Davies) befindet. Das Auto kracht gegen den mächtigen, ausladenden Feigenbaum neben dem Haus der O’Neils. Peters Frau Dawn (Charlotte Gainsbourg) ist vom überraschenden Tod ihres geliebten Mannes wie gelähmt. Sie schläft bis in den späten Tag hinein, vernachlässigt den Haushalt und überlässt ihre vier Kinder weitgehend sich selbst.

Simone fühlt sich im Baum geborgen: Sie ist überzeugt, dass ihr Vater durch die Ästen und die rauschenden Blätter des Baumes zu ihr spricht. Als Dawn das Geheimnis ihrer Tochter erfährt, wird auch sie zunehmend in den Bann des riesengroßen Feigenbaumes gezogen. In der lang anhaltenden Dürrezeit wuchern allerdings die Baumwurzeln auf der Suche nach Feuchtigkeit immer weiter. Sie beschädigen nicht nur den Zaun der Nachbarin, sondern verstopfen auch die Rohrleitungen im Haus. Auf der Suche nach professioneller Hilfe lernt Dawn den Klempner George (Marton Csokas) kennen, der ihr spontan Arbeit in seiner Firma anbietet. Als sich Dawn und George näher kommen, reagiert nicht nur Simone eifersüchtig auf den Mann, der die Stelle ihres Vaters einzunehmen droht. Eifersucht scheint auch der Baum zu empfinden: Ein schwerer Ast zertrümmert das Fenster von Dawns Schlafzimmer und stürzt auf ihr Bett. Die junge Frau legt sich neben den Ast in ihr Bett, als wäre er ein menschliches Wesen. Auf Georges Bemerkung „Er hätte Dich töten können“, antwortet sie: „Ich glaube nicht, dass er mir weh tun wollte.“ George setzt sich jedoch mit Vernunftargumenten durch: Der Baum ist zu einer lebensgefährlichen Bedrohung geworden und muss gefällt werden. Dawn stimmt ihm zu, hat aber nicht mit der Hartnäckigkeit ihrer Tochter gerechnet. Simone setzt alles daran, dies zu verhindern.

Obwohl die Kamera von Nigel Bluck der urtümlichen Natur Australiens schöne Bilder entnimmt, verkommt die eindrucksvolle Landschaft über weite Strecken zu einer von der ebenso kitschigen Filmmusik untermalten Postkartenkulisse. Charlotte Gainsbourg bemüht sich zwar, die unausgegorene Figurenzeichnung und ihre seichten Dialoge mit einer von den Naheinstellungen der Kamera unterstützten Leinwandpräsenz zu konterkarieren. Aber den tiefgreifenden Eindruck hinterlässt eher die kleine Morgana Davies als achtjährige Simone.

„The Tree“ deutet an einigen Stellen an, der verstorbene Vater lebe im Baum weiter. Dies geht jedoch nicht über Anspielungen hinaus. Dazu führt Regisseurin Julie Bertucelli selbst aus, ihr Film „flirtet mit den Möglichkeiten des Übernatürlichen, und ist zugleich ganz tief in der Wirklichkeit verwurzelt.“ Bertucellis Film spielt mit gegensätzlichen Interpretationen: Für George stellt sich das Wuchern des Baumes als schlichte Naturkatastrophe dar, Dawns und Simones Beziehung zum Baum ist jedoch mit zweideutigen Empfindungen aufgeladen. Als irritierend für den Zuschauer stellt sich jedoch heraus, dass Julie Bertuccelli nicht konsequent aus der Sicht des Kindes erzählt, sondern die Mutter mit einbezieht. Denn auf einen Erwachsenen übertragen, wirken die durchaus poetischen Fantasien des Kindes an manchen Stellen einfach infantil. Dennoch: Der Baum kann lediglich als Metapher, und Bertucellis „The Tree“ als ein Drama über Träume und Wirklichkeit, über die Trauerbewältigung angesehen werden.
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