BERLINALE 2011 | Generation Kplus und 14plus
Filmische Qualität:   
Regie:
Darsteller:
Land, Jahr: 0
Laufzeit: 0 Minuten
Genre:
Publikum:
Einschränkungen:
im Kino: 2/2011



Foto: Berlinale

Im Rahmen der 61. Internationalen Filmfestspiele Berlin findet erneut die Sektion „Generation“ statt, die sich dem Kinder- beziehungsweise Jugendfilm speziell widmet. In den zwei Wettbewerben „Kplus“ und „14plus“ werden jeweils 13 Langfilme präsentiert, die sich an Kinder bis 14 Jahren („Kplus“) sowie an 14- bis 18-jährige Jugendliche („14plus“) wenden. „Generation“ bietet wie gewohnt eine beeindruckende Internationalität: Die Veranstalter erwarten Gäste, die hier ihre Filme vorstellen, aus insgesamt 30 Ländern.

Kplus: Erste Liebe und Familienwerte

Die erste Liebe trifft Kinder offensichtlich immer früher. Heute gehen Wissenschaftler davon aus, dass sich Mädchen bereits mit 10 Jahren erstmals verlieben. Davon handeln insbesondere zwei Spielfilme des diesjährigen „Kplus“-Wettbewerbs. Im norwegischen Eröffnungsfilm „Jørgen + Anne = Für immer“ (Regie: Anne Sewitsky) erlebt die fast zehnjährige Anne die berühmten Schmetterlinge im Bauch, als ein Junge namens Jørgen in ihre Klasse neu kommt. Früher, so erzählt ein fantasievoller Vorspann, dachten die Kinder an Prinzessinnen und Wikinger. In der fünften Klasse ist für Anne alles jedoch etwas komplizierter geworden, nicht zuletzt wegen der Eifersüchteleien gegenüber der hübschen Ellen. Dreht sich bei „Jørgen + Anne = Für immer“ so gut wie alles um die erste Liebe, so verwebt eine weitere norwegische Produktion dieses Sujet mit anderen Lebensgefühlen: Arild Andresens „Der Liverpool-Torwart“ erzählt mit viel Witz und Situationskomik vom 13-jährigen Jo, der insbesondere vorm Fußballspielen und vor seinem Klassenkameraden Tom Erik Angst hat. Lieber macht er für ihn die Hausaufgaben als von ihm Prügel einzustecken. Außer den mathematischen Gleichungen gilt seine Leidenschaft den Sammelkarten: Hätte er doch die Karte mit dem Liverpool-Torwart! Da nun die ebenfalls Mathematikvernarrte, aber auch Fußballspielende Mari in seiner Klasse sitzt, muss Jo seine Prioritäten ändern.

Die wohl berührendsten Filme im diesjährigen „Kplus“-Wettbewerb handeln von Kindern in schwierigen Lebenslagen: In der polnisch-japanischen Produktion „Morgen wird alles besser“ stehen russische Straßenkinder im Mittelpunkt, die illegal die russisch-polnische Grenze zu überwinden suchen. Obwohl mit knapp zwei Stunden der Film zu lang geworden und der Erzählfluss teilweise zu zäh ist, bleiben insbesondere die Kinderdarsteller im Gedächtnis. In der Tradition des iranischen Kinos erzählt Mohammad Ali Talebis „Wind und Nebel“ von Shouka und Sahand, die nach dem Tod der Mutter vom Vater zum Großvater gebracht werden. Obwohl sich Shouka rührend um ihren kleinen Bruder kümmert, und die beiden in den nebelverhangenen Bergen in Sicherheit sind, kommen bei Sahand schmerzhafte Erinnerungen zurück.

Die Familie spielt herkömmlich eine bedeutende Rolle im Kinderfilm. In der israelischen Produktion „Sintflut“ (Regie: Guy Nattiv) findet eine auseinanderbrechende Familie wieder zusammen, nachdem der autistische ältere Sohn unerwartet wieder nach Hause kommt. Nicht begeistert darüber zeigt sich zunächst einmal der jüngere Yoni, der mit seiner bevorstehenden Bar-Mitzwa genug Probleme hat. Nach und nach entdeckt er aber seine Verantwortung für den großen Bruder. In Mark de Cloes „Der stärkste Mann von Holland“ spürt Luuk die Sehnsucht nach dem Vater, den er nie kennengelernt hat, und macht sich auf eigene Faust auf die Suche. Vernachlässigt fühlt sich die kleine Cathy in der belgisch-französischen Produktion „Auf leisen Pfoten“. Der überaus poetische Film von Olivier Ringer besticht durch seine originelle Filmsprache: Der gesamte Film besteht aus einem einzigen Monolog der kleinen Cathy.

Eine eigenwillige Bildersprache kennzeichnet ebenfalls den französischen Animationsfilm „Die Katze von Paris“ von Alain Gagnol und Jean-Loup Felicioli: Die auf den ersten Blick einfach erscheinende Zeichnung entfaltet eine atmosphärisch dichte Wirkung dank der Helldunkel-Kontraste und insbesondere der hervorragenden Animation. Wie bereits im letzten Jahr nimmt am „Kplus“-Wettbewerb auch 2011 ein Dokumentarfilm teil: der philippinische Beitrag „Sampaguita“ schildert das Leben von Kindern, die in Quiapo, der Altstadt Manilas, auf offener Straße mitten durch dichten Verkehr die philippinische Nationalblume zu Ketten aufgefädelt verkaufen.


14plus: Liebe und Suche nach der eigenen Identität

Am Freitagabend eröffnet ebenfalls im Haus der Kulturen der Welt der „14plus-Wettbewerb“ mit Leon Fords australischem Beitrag „Griff the Invisible“, der von einem schüchternen jungen Mann handelt, der sich nachts in einen Superhelden mit schwarz-gelben Muskelanzug verwandelt und die Bürger der Stadt beschützt. Unter der Oberfläche einer bildgewaltigen Story erzählt „Griff the Invisible“ ebenfalls eine schöne Liebesgeschichte an der Schnittstelle zwischen Wirklichkeit und Fantasie. Eine herzzerreißende Liebesstory in den Zeiten der chinesischen Kulturrevolution steht im Mittelpunkt von Zhang Yimous „Shanzha shu zhi lian“ („Unter the Hawthorn Tree“): Nach seinen Ausflügen in den Martial Arts-Film kehrt der Regie-Altmeister zu seinem ureigenen Sujet zurück. Der Film mit einer kräftig-poetischen Filmsprache erinnert an die frühen Epen des chinesischen Regisseurs, etwa an „Leben!“ (1994) oder auch an „Heimweg“ (1999).

Auf der Suche nach der eigenen Identität befindet sich nicht nur die Hauptperson in „Griff the Invisible“. Das typische Sujet des Jugendfilmes zieht sich auch im Jahre 2011 wie ein roter Faden durch etliche Produktionen, so etwa durch den britischen Film „West is West“ von Andy De Emmony: Sajid, der jüngste Sohn von Papa Khan wird von seinem Vater auf eine Reise in seine kulturellen Wurzeln nach Pakistan mitgenommen. Der zunächst in seiner verstaubten Schuluniform deplatziert wirkende britische Junge findet dort bald neue Freundschaften. Auf die Suche nach seiner Mutter macht sich in der venezolanisch-peruanischen Produktion „El chico que miente“. Die Suche nach den Wurzeln und das Unterwegssein vereinen sich zu einer bildgewaltigen, aber auch dank des hervorragenden Jungdarstellers berührenden Geschichte vom Jungen, der unterschiedlichen Menschen sehr verschiedene, teils ziemlich unglaubwürdige Geschichten auftischt (daher der Filmtitel: „Der Junge, der lügt“). Einen starken Protagonisten hat auch der US-amerikanische Film von Matthew Gordon „The Dynamiter“: Der 15-jährige Robbie, der mit seinem jüngeren Halbbruder bei der Oma lebt, muss seinen eigenen Weg finden – auch in Abgrenzung zu seinem plötzlich auftauchenden ältesten Bruder Lucas, der sich im Laufe der Zeit als ein regelrechter Schmarotzer herausstellt. Ein Roadmovie besonderer Art bietet der australische Film „Red Dog“ (Regie: Kriv Stenders), der eine Legende aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in schönen Landschaftsaufnahmen und mit Witz erzählt.

Zum „14plus“-Wettweb gehört darüber hinaus ebenfalls ein Dokumentarfilm, Anka Schmids „Mit dem Bauch durch die Wand“, die drei junge Mütter in der Schweiz portraitiert: Sandra, Jasmine und Jennifer wurden mit 17 Jahren schwanger. Die Reaktion der Männer ist unterschiedlich: Der eine heiratet nach der Geburt des Kindes seine Freundin, der zweite weiß nicht recht, ob er ein gemeinsames Leben mit der Mutter seines Kindes beginnen will, der dritte verschwindet schnell von der Bildfläche. Ein schöner Film, der Mut zum Austragen eines Kindes aller Schwierigkeiten zum Trotz macht, und der auch schöne Bilder findet, so etwa wenn die junge Mutter eine Klassenarbeit schreiben soll und die aufsichtführende Lehrerin währenddessen ihr Kind hält.

Handelten früher Kinder- und Jugendfilme häufig von virtuellen Welten, so spielen Facebook, Internet oder auch PC-Spiele kaum eine Rolle in der diesjährigen Berlinale. Die reale Welt scheint aufregend genug zu sein.

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Interview mit Maryanne Redpath, seit 2008 Leiterin der Berlinale-Sektion Generation. Das Interview führte José García.

Im Unterschied zu früheren Jahren spielen die Filme von Klpus und 14plus im Jahre 2011 in unserer, nicht etwa in der virtuellen Welt. Facebook, Internet usw. haben kaum eine Bedeutung. Worauf führen Sie es zurück?

Redpath: Die persönlichen Gedankenreisen, wie sie die Protagonisten in den Filmen vielfach antreten, sind mit der Vertiefung in virtuelle Welten durchaus zu vergleichen: Es geht um das Erkunden des eigenen Selbst im Schutzraum einer Phantasiewelt oder das Ausbrechen aus der wirklichen Welt an einen vermeintlich sicheren Zufluchtsort. Dass dies dieses Jahr mehr im Kopf als im Computer passiert, mag Zufall sein.

Einige Filme spielen sogar in der Vergangenheit (Zhang Yimous Film ist z.B: in der Kulturrevolution angesiedelt)…

Redpath: Kindheit und Jugend sind zeitlose Phänomene und in den verschiedensten Epochen mit universalen Herausforderungen verbunden. Wir empfinden es als eine große Chance für heutige Zuschauer, zu sehen, wie es Gleichaltrigen in den verschiedenen Jahrzehnten und (politischen) Systemen ergangen ist.

Im Jahre 2011 fällt es schwer, außer den herkömmlichen thematische Schwerpunkte zu finden: Kinder leiden natürlich unter dem Krieg, aber auch unter mangelnder Aufmerksamkeit, unter der Abwesenheit des Vaters oder auch der Mutter (z.B. im venezolanischen „El chico que miente“).

Redpath: Die Themen sind so klassisch wie die Probleme, denen Kinder und Jugendliche weltweit ausgesetzt sind. Die individuellen Wege, die die jungen Protagonisten wählen, und die Entscheidungen, die sie treffen, machen die Filme aus unserer Sicht sehr besonders.

Würden Sie damit übereinstimmen, dass sich auch die Filmsprache bis auf einige Ausnahmen (v.a. „Jess + Moss“) eher klassisch ausnimmt?

Redpath: Formal begeistern uns die Filme durch ihre oft radikale Konsequenz: Sie erzählen aus der Tiefe der kindliche Seele („Auf leisen Pfoten“), machen innere Gedankenwelten sicht- und erlebbar („Wind und Nebel“, „Jess + Moss“). Und sie wählen starke Genres: Superheldengeschichten („Griff The Invisible“), politisches Melodram („Shanza Shu Zhi Lian“), Roadmovies („El chico que miente“), modernen Western („Apflickorna“), bitterschwarze Komödie („Skyskraber“)...
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