ICH SEHE DEN MANN DEINER TRÄUME | You Will Meet a Tall Dark Stranger
Filmische Qualität:   
Regie: Woody Allen
Darsteller: Naomi Watts, Josh Brolin, Antonio Banderas, Anthony Hopkins, Gemma Jones
Land, Jahr: USA; Spanien 2010
Laufzeit: 98 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: D, X
im Kino: 11/2010
Auf DVD: 4/2011


José García
Foto: Concorde

Zu Woody Allens 75. Geburtstag am 1. Dezember startet in Deutschland sein 41. Spielfilm „Ich sehe den Mann deiner Träume“ („You Will Meet a Tall Dark Stranger“). Wie so oft in den letzten Jahren hat der Zuschauer allerdings bald den Eindruck, dass der Regie-Altmeister für seinen neuen Film einfach altbekannte Versatzstücke neu zusammensetzt.

Die Off-Stimme gibt mit einem Zitat aus Shakespeares Macbeth den Ton des Filmes vor: Das Leben sei nichts anders als Schall und Wahn, die nichts bedeuten. Um dies zu illustrieren, entfacht Woody Allen in „Ich sehe den Mann deiner Träume“ einen turbulenten Beziehungsreigen. Alfie (Anthony Hopkins) ist eine Art Wiedergänger von Jack aus „Ehemänner und Ehefrauen“ (1992): Wie Jack verlässt der alternde Alfie nach jahrzehntelanger Ehe seine Ehefrau, weil er an der Seite einer viel Jüngeren seine alte Vitalität wiederzufinden meint. Alfies Frau Helena (Gemma Jones) sucht nach einem misslungenen Selbstmordversuch Zuflucht bei einer Wahrsagerin (Pauline Collins), die ihr schlicht nach dem Mund redet. Auch die Ehe von Alfies und Helenas Tochter Sally (Naomi Watts) ist alles andere als glücklich: Ihr Mann Roy (Josh Brolin) leidet nach vielversprechendem Romandebüt unter einer Schreibblockade. Statt am Computer verbringt er lieber seine Zeit am Fenster, um die bildschöne Nachbarin Dia (Freida Pinto) zu betrachten. Sally fühlt sich wiederum zu ihrem Chef, dem charmanten und vermögenden Galeriebesitzer Greg (Antonio Banderas), hingezogen. Als er ihr eröffnet, dass seine Ehe ebenfalls vor dem Aus steht, macht sie sich Hoffnungen – hat aber nicht damit gerechnet, dass Greg inzwischen ein Verhältnis mit ihrer besten Freundin Iris (Anna Friel) angefangen hat.

Es gab eine Zeit, in der Woody Allens Filme schon allein wegen ihrer visuellen Kraft Wiedererkennungscharakter besaßen. Dies hing im Wesentlichen damit zusammen, dass der New Yorker Regisseur über einen langen Zeitraum hinweg mit demselben Kameramann zusammenarbeitete: Von 1977 bis 1985 fotografierte ausschließlich Gordon Willis seine Filme. In den Filmen, die Woody Allen von 1986 bis 1998 drehte, führte Carlo di Palma elfmal, Sven Nykist – der inzwischen verstorbene Haus-Kameramann von Ingmar Bergman – viermal die Kamera. Seitdem arbeitet der Altmeister mit wechselnden „directors of photography“ zusammen. In „Ich sehe den Mann deiner Träume“ übernimmt diese Aufgabe Vilmos Zsigmond, der bereits in Woody Allens „Melinda und Melinda“ (2004) und „Cassandras Traum“ (2007) mitgewirkt hatte. Die von Zsigmond bevorzugten satten Farben kontrastieren derart mit den entsättigten Bildern eines Carlo di Palma und vor allem eines Sven Nykist, dass auf der Bildebene wenig von der Allen-typischen Anmutung aus seiner wohl besten Schaffensperiode übrig bleibt.

Demgegenüber mischt Woody Allen, was das Drehbuch an sich betrifft, Zutaten aus seinen früheren Filmen einfach neu. Über die bereits angesprochene deutliche Ähnlichkeit Alfies mit Jack aus „Ehemänner und Ehefrauen“ hinaus verwendet der Regisseur in seinem neuen Film einen ebenfalls Woody-Allen-eigenen Topos: Roy steht für den Möchtegern-Künstler, dem jedoch das Talent dazu fehlt. Als ihm ein Freund das Manuskript zu seinem ersten Roman zum Lesen überlässt, erkennt Roy zu seinem Entsetzen, dass sein Freund genau jenes schriftstellerische Talent besitzt, das er nicht hat. Nur: Josh Brolins Roy erreicht in keinem Augenblick die Tiefe etwa der Figur, die Dianne Wiest in „Hannah und ihre Schwestern“ (1986) ungleich glaubwürdiger spielte. Die Wiederverwertung setzt sich sogar im Soundtrack fort: Zu der Filmmusik von „Ich sehe den Mann deiner Träume“ gehört ein Leitthema, das der Regisseur bereits in „Alle Sagen: I Love You“ (1996) eingesetzt hatte.

Dass der New Yorker Regisseur in der Lage ist, aus einem altbekannten Sujet etwas Neues zu schaffen, stellte er zuletzt mit „Match Point“ (2005) unter Beweis, der ja wie eine Neuauflage von „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ (1989) wirkte. Vielleicht liegt dies an den tiefgründigen moralischen Fragen, die in beiden Spielfilmen behandelt wurden. Demgegenüber zeichnet sich sein jetziger Film durch die absolute Abwesenheit solcher Fragestellungen aus: Die Figuren von „Ich sehe den Mann deiner Träume“ scheinen von einem unwiderstehlichen Drang getrieben zu sein, das Glück ausgerechnet in dem zu suchen, was sie gerade nicht (mehr) besitzen, wobei moralische Kategorien etwa eheliche Treue gar keine Rolle spielen. Die Irrungen und Wirrungen auf der Suche nach Liebesglück führen zu der desillusionierenden Feststellung, dass dieses nie zu erreichen ist. Sobald jemand das Objekt der Begierde erreicht hat, erlebt er eine Enttäuschung. Er sehnt sich nach dem, was er gerade aufgegeben hat. Und damit beginnt das Ganze von vorne, so dass die Figuren von „Ich sehe den Mann deiner Träume“ einem leeren Wahn nachjagen. Der Zynismus stellt sich als eigentliches Sujet von „Ich sehe den Mann deiner Träume“ heraus.
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