KLEINE NICK, DER | Le Petit Nicolas
Filmische Qualität:   
Regie: Laurent Tirard
Darsteller: Maxime Godart, Kad Merad, Valérie Lemercier, Sandrine Kiberlaine, Michel Duchaussoy
Land, Jahr: Frankreich 2009
Laufzeit: 91 Minuten
Genre: Familienfilme
Publikum:
Einschränkungen: --
im Kino: 8/2010
Auf DVD: 1/2011


José García
Foto: Wild Bunch

Ob Erich Kästner (1899-1974), der amerikanische Autor Roald Dahl (1916–1990) oder die britische Schriftstellerin Christianna Brand (1907-1988): Seit der Jahrhundertwende werden vermehrt klassische Kinderbücher berühmter Autoren verfilmt, die oft erst nach Jahrzehnten den Weg (wieder) auf die große Leinwand finden.

In Frankreich startete Ende September 2009 die Kinderbuchadaption „Le Petit Nicolas“, die mit mehr als 5,5 Millionen Zuschauern zu einem der größten Kassenerfolge der letzten Jahre im französischen Kino wurde. Der Film von Laurent Tirard, der nun unter dem Titel „Der kleine Nick“ im deutschen Kinoprogramm anläuft, basiert auf der im Jahre 1959 von René Goscinny geschaffenen, gleichnamigen Figur. Zusammen mit den Zeichnungen von Jean-Jacques Sempé erschienen in den sechziger Jahren rund 160 Kleine-Nick-Geschichten zuerst in einem Magazin und in einer Regionalzeitung, ehe sie später in fünf Büchern veröffentlicht wurden. Übersetzt in mehr als 30 Sprachen, gingen diese Bücher mehr als 8 Millionen Mal über den Ladentisch.
Entsprechend der comicartigen Vorlage besitzt „Der kleine Nick“ eine durchaus episodische Struktur, spiegelt diese doch am besten die kleinen Abenteuer wider, die der etwa 11-jährige Nick (Maxime Godart) insbesondere mit seinen Klassenkameraden in der Schule erlebt. Als da wären der ununterbrochen essende Otto, Georg, der als Sohn reicher Eltern alle Wünsche erfüllt bekommt, der Klassenbeste Adalbert, der auch gerne petzt, oder Chlodwig, der nie die richtige Antwort weiß und deshalb immer in der Ecke stehen muss, oder der Polizistensohn Roland und der starke Franz, der auch mal gerne austeilt. Zu dieser kleinen Welt gehören auch Erwachsene, insbesondere die geduldige Klassenlehrerin (Sandrine Kiberlaine) sowie der griesgrämige Hilfslehrer Herr Hühnerfeld. In einer kleinen Episode versucht Gérard Jugnot, der Chorleiter aus „Die Kinder des Monsieur Mathieu“, die Rasselbande zum Singen zu bewegen.

In Nicks Leben nehmen selbstverständlich seine Eltern (Valerie Lemercier und Kad Merad) einen besonderen Platz ein. Von seiner Mutter sagt Nick lediglich „Mama wollte immer Mama werden“. Sein Vater arbeitet wohl in einem Büro. Seine Bemühungen um eine Gehaltserhöhung führen zu einer weiteren Episode, in der es um die Einladung des Chefs mitsamt Gattin zum Abendessen geht – und die in einer Katastrophe endet.

Das von Regisseur Tirard zusammen mit Grégoire Vigneron verfasste Drehbuch fügt die von Nicks Offstimme kommentierten Episoden zu einer übergreifenden Story zusammen, bei der die in der Schule behandelte Geschichte vom kleinen Däumling eine besondere Rolle spielt. Den Ausgangspunkt für die Rahmenhandlung liefert die Neuigkeit, die eines Tages Joachim in der Schule erzählt: Er hat ein Geschwisterchen bekommen, worüber der Junge nicht besonders erfreut ist. Als Joachim von den „Symptomen“ spricht, steigt in Nick der Verdacht auf, auch seine Eltern würden wohl ein Baby bekommen. Schließlich streiten sie sich in letzter Zeit kaum, und Nicks Vater versucht, besonders lieb zu seiner Frau zu sein. Als dann Nicks Eltern eine Spazierfahrt in den Wald vorschlagen, steht es für den Jungen fest: Seine Eltern wollen ihn wie Däumling dort aussetzen. Denn ohne Gehaltserhöhung sind die Eltern doch zu arm, um sich zwei Kinder zu leisten. Nick geht zum Angriff über: Mit seinen Freunden plant er die Entführung des (noch nicht geborenen) Babys, wofür sie sich der Dienste eines Profigangsters versichern müssen.

Regisseur Laurent Tirard siedelt seinen Film in einer knallbunten Welt an. Obwohl Kleidung, Möbel, Einrichtung oder auch die Haushaltsgeräte und die Autos an die fünfziger oder frühen sechziger Jahre erinnern, in denen die ersten Geschichten von Goscinny und Sempé erschienen, nimmt sich Nicks Welt alles andere als realistisch an. Sie ist vielmehr eine Fantasiewelt, die mit den verklärten Augen einer glücklichen Kindheit gesehen wird. Diese Perspektive behält Tirards Inszenierung konsequent bei, nicht nur weil die Kamera bevorzugt Nicks Sicht übernimmt und darüber hinaus seine Off-Kommentare den ganzen Film begleiten. Die kindlich-naive Perspektive spiegelt sich außerdem in der Musik wider, die sich mal sehr beschwingt ausnimmt, im Wald jedoch geheimnisvoll-bedrohlich klingt.

Obwohl diese allzu eng an die Vorlage angelehnte, mit Sempé-Originalzeichnungen im Vorspann angekündigte, verklärte Inszenierung dem heutigen Zuschauer zu unrealistisch scheinen mag, spricht „Der kleine Nick“ auch tiefgründige Fragen an: Zu Beginn sollen Nick und seine Klassenkameraden einen Schulaufsatz darüber schreiben, was sie werden wollen. Was Nick in große Schwierigkeiten bringt. Denn so glücklich wie jetzt kann er sich keine Zukunft vorstellen.
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