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José GarcÃa Foto: Arsenal Ein Familienausflug: Ein junges Ehepaar und der kleine Sohn haben sich auf einer Decke im Wald ausgebreitet. Die Eltern versuchen, dem Jungen bei dessen Hausaufgaben zu helfen, was sie jedoch sichtlich überfordert. Diese Exposition führt ohne Umschweife in die Figuren ein: Jean (Vincent Lindon) arbeitet als Maurer, seine Frau Anne Marie (Aure Atika) in einer Druckerei. Mit Grammatik-Fragen sind sie hingegen nicht besonders vertraut. Die einfache Szene verrät aber noch etwas anderes: Sie verdeutlicht eine gelassene Familienidylle, in der die Gefühle zwar nicht überschäumend, jedoch echt scheinen. Dass der Maurer Jean zu ganz anderen Empfindungen fähig ist, kann er wahrscheinlich weder in Worte fassen noch sich selbst eingestehen. Denn als er von so etwas wie âLiebe auf den ersten Blickâ getroffen wird, bemerkt er es selbst nicht â wohl aber der Zuschauer. Genau dies geschieht, als Jean die neue Lehrerin seines Sohnes, die titelgebende Mademoiselle Chambon (Sandrine Kiberlain) kennenlernt. Die elegante Erscheinung aus Paris, die etwas entrückt wirkende junge Frau, hat in der Provinzstadt-Schule eine Mutterschaftsvertretung übernommen. Ob sie dort länger bleiben möchte, weià sie noch nicht. Allerdings hat Véronique Chambon dieses unstete Leben als âSpringerinâ, die in jeder Stadt immer nur kurze Zeit bleibt, langsam satt. Von der einnehmenden Art, wie der eigentlich recht wortkarge Jean ihrer Klasse von seinem Beruf erzählt, zeigt sie sich angenehm überrascht. Mademoiselle Chambon bittet Jean darum, in ihrer Wohnung ein Fenster zu reparieren. Im Gegenzug spielt sie ihm auf der Geige vor, womit sie ihm eine bisher unbekannte Welt eröffnet. Langsam nähern sich die beiden über die Musik an, weitere Treffen folgen. Jean sieht sich mit entgegen gesetzten Gefühlen konfrontiert, insbesondere als ihm seine nichts ahnende Frau Anne Marie ihre erneute Schwangerschaft mitteilt. Das auf dem gleichnamigen Roman von Ãric Holder basierende, von Florence Vignon und Regisseur Stéphane Brizé selbst verfasste Drehbuch, das bei der Verleihung des französischen Filmpreises 2010 mit dem César für âBestes adaptiertes Drehbuchâ ausgezeichnet wurde, erzählt eine einfache Geschichte. Dass einer im Grunde einfachen Geschichte viel Poesie innewohnen kann, stellte Stéphane Brizé bereits 2006 mit seinem vielfach prämierten Spielfilm âMan muss mich nicht liebenâ (âJe ne suis pas là pour être aiméâ, siehe Filmarchiv) unter Beweis. Ãhnlich âMan muss mich nicht liebenâ liegt in âMademoiselle Chambonâ der Hauptakzent nicht auf der Handlung, sondern auf der Charakterentwicklung und auf der Interaktion von sehr unterschiedlichen Charakteren. Dazu führt der 1966 geborene Regisseur Brizé aus: âEs ist nicht die Handlung, die mich fesselte, sondern mehr die Art, in der Ãric Holder die Gefühle dieser einfachen Menschen übersetztâ. Um diese Atmosphäre einzufangen, nimmt Kameramann Antoine Héberlé eine beobachtende Position mit langen, von einem klugen Lichtkonzept unterstützten Einstellungen ein, die insbesondere die Gesichter der Schauspieler zur Geltung bringen. Denn vieles bleibt unausgesprochen: Nicht die eher knappen Dialoge treiben die Handlung voran, sondern vielmehr der Subtext der Gesten und Blicke, wozu die Leinwandpräsenz von Sandrine Kiberlain und Vincent Lindon wesentlich beitragen. Diese ruhige Inszenierung erhält durch das CinemaScope-Format laut dem Regisseur eine âepische Dimensionâ, die allerdings an einigen Stellen etwas plakativ wirkt, etwa wenn Jeans Frau Anne Marie im Gegensatz zur geheimnisvollen Véronique als allzu schlichtes Gemüt gezeichnet wird, oder wenn die Kamera eine Träne Jeans im Gegenlicht filmt. Allerdings erschwert die leicht elliptische Erzählstruktur des Filmes hin und wieder das Verständnis. Darüber hinaus bietet der Film dadurch gleichsam zwei aufeinanderfolgende Abschlüsse. Wäre Regisseur Stéphane Brizé beim ersten Ende geblieben, hätte er eine runde, durchaus sehenswerte Geschichte geliefert. Indem er jedoch die Handlung weiterführt und eine Körperlichkeit einführt, der er sich den ganzen Film lang verschlossen hatte, lässt âMademoiselle Chambonâ ins Abgedroschene, tausend Mal Gesehene, ja Plumpe abgleiten. Das zweite, trotz oder gerade wegen gekünstelt erzeugter Spannung unglaubwürdigere Ende enttäuscht hingegen. |
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