GIULIAS VERSCHWINDEN | Giulias Verschwinden
Filmische Qualität:   
Regie: Christoph Schaub
Darsteller: Corinna Harfouch, Bruno Ganz, Stefan Kurt, André Jung, Sunnyi Melles, Teresa Harder, Max Herbrechter, Daniel Rohr, Christine Schorn, Renate Becker, Babett Arens
Land, Jahr: Schweiz 2009
Laufzeit: 87 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X
im Kino: 2/2010
Auf DVD: 9/2010


José García
Foto: X-Verleih

In Woody Allens „Eine andere Frau“ („Another Woman“, 1988) lässt der berühmte amerikanische Filmregisseur die von Gena Rowlands verkörperte Hauptfigur sinnieren: „Als ich dreißig wurde, habe ich mir nichts dabei gedacht. Jeder hatte mich davor gewarnt. Dann sagten sie, ich würde verzweifeln, wenn ich vierzig werde. Sie haben sich aber geirrt. Dann sagten sie, ich würde ein Trauma bekommen, wenn ich fünfzig werde. Und da hatten sie Recht.“

Fünfzig Jahre alt werden. Das scheint für manche Menschen eine traumatische Erfahrung, so etwa auch für Giulia (Corinna Harfouch). Sie sitzt in einem Bus in Zürich auf dem Weg ins Restaurant, wo sie mit einigen Freunden den runden Geburtstag feiern möchte. Als sie ihre Tasche nicht vom Nebensitz nimmt, hört sie von einer älteren Dame einen Kommentar, der sie nachdenklich macht: „Uns Alte sieht man nicht mehr, wir sind unsichtbar“. Und siehe da: Giulia sieht sich nicht mehr im spiegelnden Fenster. Nun ist es ihr offenbar nicht mehr danach zumute, den runden Geburtstag zu feiern. Stattdessen schlendert sie durch die Stadt, bis sie in einem Optikergeschäft dem älteren Gentleman John (Bruno Ganz) begegnet, der sie zu einem Drink einlädt, und sie mit Komplimenten umgarnt („Es gibt keinen Anlass, zu dem eine Frau wie Sie nicht zu spät kommen dürfte“).

Diese Formulierung lässt die literarische Vorlage von Christoph Schaubs Komödie Spielfilm „Giulias Verschwinden“ erahnen. Dies trifft allerdings lediglich insofern zu, als das Drehbuch aus der Feder des Schweizer Autors Martin Suter stammt, dessen Roman „Lila, Lila“ kürzlich von Alain Gsponer verfilmt wurde (siehe Filmarchiv). Konzentriert sich „Lila, Lila“ auf eine einzige Handlung, so verknüpft Drehbuchautor Suter in „Giulias Verschwinden“ die Haupterzählung um Giulias 50. Geburtstag mit zwei Nebensträngen, die ihren Ursprung in der erwähnten Busfahrt haben: Dieselbe ältere Dame gehört zu den Gästen, die in einem Altersheim zu Leonies (Christine Schorn) 80. Geburtstag eingeladen sind. Leonie fühlt sich von ihrer Tochter abgeschoben, und nimmt ihre Feier zum Anlass, mit einem Rundumschlag der Heuchelei ein Ende zu setzen. Wie man sich mit 80 Jahren benehmen soll, wisse sie nicht: „Meine Tochter ist 49, und seit zwanzig Jahren benimmt sie sich wie 80.“

Am anderen Ende der Altersskala steht ein 18. Geburtstag: Zwei weitere Bus-Fahrgäste, die 14-jährigen Jessica und Fatima, sind wie Giulia unterwegs in der Stadt. Die Teenager suchen nach einem passenden Geschenkt zum 18. Geburtstag eines Freundes. Da sie aber kein Geld für die ausgesuchten goldenen Turnschuhe besitzen, versuchen sie es mit Diebstahl – und werden prompt vom Ladendetektiv erwischt. Jessicas geschiedene Eltern werfen sich gegenseitig das Versagen in ihrer Erziehung vor.

„Giulias Verschwinden“, der beim Filmfestival in Locarno 2009 den Publikumspreis gewann, verknüpft mit sicherer Hand diese drei Handlungsstränge miteinander. Ein Film wie Christoph Schaubs Komödie, in dem sehr viel geredet wird, ja in dem die Dialoge im Mittelpunkt von sehr langen Szenen stehen, birgt allerdings die Gefahr der Ermüdung in sich. So etwa wenn sich im Laufe eines Abends unter angeblich guten Freunden kein weiterer Diskussionsstoff als das Altern und die unterschiedlichen Strategien, dem entgegenzutreten, findet. Einige Inszenierungseinfälle wie das erwähnte Verschwinden des Spiegelbildes Giulias im Bus oder auch das Aufsetzen der Lesebrille wie auf Kommando, wenn es um das Bestellen im Restaurant geht, können zwar noch als witzig bezeichnet werden. Die Choreografie etwa in der Position von Alessia (Sunnyi Melles) direkt im Zentrum unter Botticellis „Geburt der Venus“, die penetranten Witze über die Vergesslichkeit von Giulias Freunden, die entweder das Portemonnaie oder das Geburtstagsgeschenk nicht finden können, wirken indes genauso arg konstruiert wie das Zugeständnis an den Zeitgeist, dass unter den Geburtstagsgästen unbedingt ein Schwulen-Pärchen sein muss.

Geht dadurch viel komödiantisches Potential verloren, so überzeugen vor allem die schauspielerischen Leistungen der zwei großartigen Darsteller Corinna Harfouch und Bruno Ganz, bei denen die vielzitierte „Chemie“ vom ersten Augenblick an stimmt. Die geschliffenen, von einer leisen Melancholie, aber auch von Lebensfreude und einer wunderbaren Selbstironie durchdrungenen Dialoge strafen den Jugendwahn in unserer Gesellschaft Lügen. Sprechen alle anderen dauernd vom Alter, so scheint John über das Alter erhaben, einfach alterslos zu sein.
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