WEISSE BAND, DAS – EINE DEUTSCHE KINDERGESCHICHTE | Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte
Filmische Qualität:   
Regie: Michael Haneke
Darsteller: Christian Friedel, Leonie Benesch, Ulrich Tukur, Ursina Lardi, Burghart Klaußner, Susanne Lothar, Rainer Bock, Josef Bierbichler
Land, Jahr: Deutschland / Österreich / Frankreich / Italien 2009
Laufzeit: 144 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: U, X
im Kino: 10/2009
Auf DVD: 2/2010


José García
Foto: X-Verleih

Der österreichische Regisseur Michael Haneke ist für seine filmischen Analysen über die Wurzeln der Gewalt bekannt. Bricht etwa in „Funny Games“ (1997) eine rohe Brutalität offen aus, so schwebt über dem gesamten Film „Caché“ (2005) eine unbestimmte Bedrohung, die zwar nie konkret wird, sich aber nicht minder beklemmend auswirkt.

Der aktuelle, beim diesjährigen Filmfestival Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnete Spielfilm Hanekes „Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“ entfaltet seine psychologische Wucht bereits durch die Offstimme (Ernst Jacobi) auf schwarzer Leinwand, die den Film eröffnet: „Ich weiß nicht, ob die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will, in allen Details der Wahrheit entspricht. Erzählen muss ich sie trotzdem.“ Die Stimme gehört dem Lehrer (Christian Friedel), der aus dem Abstand von einem halben Jahrhundert von seltsamen Vorkommnissen berichtet, die sich in einem kleinen protestantischen Dorf in seiner Jugend ereigneten.

Die unheimlichen Zwischenfälle brechen in eine vermeintliche Idylle hinein, vermitteln doch die ersten Einstellungen der norddeutschen Gemeinde am Vorabend des Ersten Weltkrieges den Eindruck einer ländlichen Welt, in der ein natürlicher Lebensrhythmus und Ordnung herrschen. Es fängt mit einem Reitunfall an, der sich alsbald als Anschlag herausstellt. Denn das Pferd des Dorfarztes stolpert über ein zwischen zwei Bäumen gespanntes Drahtseil. Bald folgen weitere verstörende Gewaltakte: Eine Scheune brennt ab, ein behindertes Kind wird misshandelt, der Sohn des Gutsherrn entführt. Nach und nach nehmen die Zwischenfälle den Charakter einer rituellen Bestrafung an.

Obwohl der epische Duktus der fast zweieinhalbstündigen Erzählung eine literarische Vorlage suggeriert, die in der Sozialkritik etwa an Theodor Fontanes Romane erinnert, stammt das Drehbuch aus der Feder von Michael Haneke selbst. Der teilweise episodische Charakter von „Das weiße Band“ mit seiner Vielzahl an Figuren erklärt sich daraus, dass Haneke den Film ursprünglich als Fernseh-Mehrteiler konzipiert hatte.

Zur Authentizität trägt nicht nur das bis in die kleinsten Details sorgfältige Produktionsdesign bei. Zur protestantischen Strenge passen die ebenso genauestens komponierten Bildeinstellungen des Kameramanns Christian Berger, die nichtsdestoweniger manchmal ins Surreale wechseln. Das visuelle Konzept wird von einer kontrastarmen schwarzweißen Fotografie dominiert, die allerdings deshalb eine bestechende Schärfe und gleichzeitig bewusste Kälte besitzt, weil „Das weiße Band“ in Farbe gedreht, und erst der fertige Film in Schwarz-Weiß digital umgewandelt wurde. Die historische Anmutung wird darüber hinaus durch den in deutscher Kurrentschrift wiedergegebenen Untertitel „Eine deutsche Kindergeschichte“ betont.

Obwohl der Film auf die Frage nach der Urheberschaft der Ritualanschläge eine Antwort nahe legt, die mit dem Filmtitel eng verknüpft ist, stellt sich die Suche nach den Tätern als letztlich unerheblich heraus. Michael Haneke geht es vielmehr darum, die heuchlerischen Gesellschaftsstrukturen als Ursache für die Gewalt bloßzustellen. Deshalb werden diejenigen Männer, die an der Spitze dieser patriarchalischen Gesellschaft stehen, samt und sonders als autoritär und selbstverständlich als verlogen gezeichnet. Der Gutsherr (Ulrich Tukur) gibt sich zwar gönnerhaft, nutzt aber seine Untergebenen aus. Seine Frau (Ursina Lardi) herrscht er an: „Du gehst erst dann durch diese Tür, wenn ich es dir sage“. Der Pastor (Burghart Klaußner) kümmert sich vorbildlich um seine Gemeinde, zu Hause jedoch züchtigt er immer dann seine Kinder, wenn sie gegen seine Vorstellungen gefehlt haben. Körperliche Strafen setzt ebenfalls der Gutsverwalter (Josef Bierbichler) nach Gutdünken ein. Die Spitze der Menschenverachtung bildet jedoch der Arzt (Rainer Bock), der nicht nur seine Geliebte, die Hebamme (Susanne Lothar), auf unerträgliche Weise demütigt, sondern darüber hinaus seine eigene Tochter (Roxane Duran) missbraucht.

In seinem neuen Film erforscht Michael Haneke menschliche Abgründe. Zwar besitzt der hergestellte Zusammenhang zwischen Familien- und öffentlicher Gewalt einen unmittelbar politischen Bezug, werden die hier Heranwachsenden doch zwei Jahrzehnte später dem Nationalsozialismus den Boden bereiten. „Das weiße Band“ zeichnet sich jedoch durch einen allgemeinen pessimistischen Blick auf die conditio humana aus: In den autoritären Gesellschaftsstrukturen lägen die Wurzeln der Gewalt. Oder in Umkehrung des Mephisto-Satzes, sie seien „ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft“.

„Das weiße Band“ wurde als deutscher Beitrag für den nichtenglischsprachigen Oscar ausgewählt. Ob er es unter die Nominierungen schafft, entscheidet sich Anfang Februar.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren