HERZ VON JENIN, DAS | The Heart of Jenin
Filmische Qualität:   
Regie: Marcus Vetter, Leon Geller
Darsteller: (Mitwirkender): Ismael Khatib
Land, Jahr: Israel / Deutschland 2008
Laufzeit: 89 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 5/2009


José García
Foto: Arsenal

Ismael Khatib mag Kinder. Das stellt der Palästinenser im Dokumentarfilm „Das Herz von Jenin“ von Leon Geller und Marcus Vetter immer wieder unter Beweis. Eine besondere Beziehung hat er jedoch zu denjenigen Kindern, in denen laut seinen Worten sein eigener Sohn weiterzuleben scheint.

Denn Ismaels Sohn Ahmed starb 12-jährig im November 2005, als er im Flüchtlingslager Jenin (Dschenin) mit anderen Jungen mit einem Spielzeuggewehr spielte. Ein israelischer Soldat hielt die Waffen für echt, schoss und traf Ahmed, der wenig später im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erlag. Ahmed war der Mittlere der fünf Kinder von Ismael und seiner Frau Agla. Sie entschlossen sich, Ahmeds Organe zu spenden – sechs Kinder, die ohne Transplantation keine Überlebenschance gehabt hätten, erhielten die Möglichkeit einer lebensrettenden Operation.

Die Idee, daraus einen Film zu machen, brachte der israelische Regisseur Leon (Lior) Geller zum „Berlinale Talent Campus“ 2006 mit. Aus der Zusammenarbeit mit dem deutschen Filmemacher Marcus Vetter entstand dann der Dokumentarfilm „Das Herz von Jenin“, der an der Berlinale 2009 den „Cinema for Peace“-Preis als bester Dokumentarfilm gewann, und nun im regulären Kinoprogramm anläuft.

Die grobkörnigen Bilder der Eingangssequenz zeigen einen Begräbniszug. Zunächst ohne Musik und ohne Off-Stimme geben die Archivbilder die Beerdigung Ahmeds wieder. Anschließend folgt die Meldung aus dem israelischen Fernsehen und die Stimme eines israelischen Soldaten, der den Vorfall schildert.

Es folgt die Einblendung „Jenin, August 2007“, die in das dramaturgische Gerüst des Dokumentarfilmes einführt: Knapp zwei Jahre nach dem Tod seines Sohnes Ahmed besucht Ismael Khatib, begleitet von einem Kamerateam, drei der Kinder, die damals die Organspende erhielten (zwei weitere Organempfänger-Familien wollten anonym bleiben, das sechste Kind starb trotz Transplantation).

Zuerst fährt Ismael zu einer Drusenfamilie, die in den nördlichen Hügeln nahe der libanenischen Grenze lebt. Dank Ahmeds Herz kann die junge Samah zur Schule gehen, endlich ein normales leben führen.

Beim zweiten Besuch wird dem Zuschauer bildhaft vor Augen geführt, was die Organspende bewirkte: Der Junge, der wild auf dem Fahrrad in der Negev-Wüste herumkurvt, musste bis zur Nierentransplantation dreimal pro Woche zur Dialyse – wie Mohammeds Vater erklärt. Kein Wunder, dass Ismael von der Beduinen-Familie mit offenen Armen empfangen wird.

Der dritte Besuch stellt sich als der schwierigste heraus. Denn die Eltern der kleinen Mehuda Levinson als aus den Vereinigten Staaten stammende, so genannte ultraorthodoxe Juden befinden sich in einer Zwickmühle: Einerseits freuen sie sich natürlich über die gespendete Niere; andererseits hadern sie mit der Tatsache, dass sie von einem palästinensischen Jungen stammt. So äußerte sich etwa Mehudas Vater unmissverständlich, als während der Transplantation plötzlich Journalisten auftauchten und ihn in dieser emotional schwierigen Situation interviewen wollten. Daher gestaltet sich der Besuch Ismaels bei den Levinsons etwas angespannt.

In den Film werden darüber hinaus einige Interviews eingestreut, etwa mit dem (christlichen) Krankenpfleger Raymund, der Ismael seinerzeit nach der möglichen Spende fragte. Ehe Ismael Khatib eine Entscheidung traf, besprach er sich nicht nur mit seiner Frau, sondern auch mit dem Mufti und dem Chef der Al-Aksa-Brigaden in Jenin. „Es geht nicht um Jude oder Nichtjude, es geht um Menschen“, antwortete der Mufti.

Die Geschichte von Ismael Khatib endet aber nicht hier. Geller und Vetter zeigen darüber hinaus, wie der einfache Automechaniker in der Kinderbetreuung eine Berufung gefunden hat. Denn nach Ahmeds Tod erhielt er von der italienischen Stadt Cuneo nicht nur eine goldene Medaille. Die Italiener stellten außerdem Gelder zur Verfügung, damit in Jenin ein Jugendzentrum gebaut werden konnte.

So kümmert sich Ismael Khatib um 200 Kinder, denen er „Dinge auf unterhaltsame Weise“ beibringt. So etwa den palästinensischen Traditionstanz Dabka. In diesem Tanzraum haben die Kinder in Erinnerung an Ahmed ein großes rotes Herz an die Wand gemalt.

„Das Herz von Jenin“, das die persönliche Geschichte Ismaels mit dem politischen Hintergrund verknüpft, macht Hoffnung auf eine bessere Zukunft in einer verzwickten Lage. Mit Menschen wie Ismael Khatib könnte das verfahrene Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern aus der Sackgasse herauskommen, in der es sich zurzeit befindet. Dies ist die prägnante Botschaft dieses außergewöhnlich berührenden Dokumentarfilmes.
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