KLASSE, DIE | Entre les murs
Filmische Qualität:   
Regie: Laurent Cantet
Darsteller: (Mitwirkende): François Bégaudeau, Vincent Caire, Rachel Régulier, Anne Langlois
Land, Jahr: Frankreich 2008
Laufzeit: 128 Minuten
Genre: Zwischenmenschliche Beziehungen
Publikum:
Einschränkungen: D
im Kino: 1/2009
Auf DVD: 6/2009


José García
Foto: Concorde

Das Internationale Filmfestival Cannes 2008 zeichnete mit seinem höchsten Preis, der Goldenen Palme, einen französischen Film aus, der – verglichen mit der Konkurrenz bekannter europäischer Regisseure oder aus Hollywood – eher als „kleiner Film“ einzustufen ist. „Die Klasse“ von Laurent Cantet schildert den Alltag in einer französischen Schule während eines Schuljahres. Nach einigen Jahren Schuldienst schrieb François Bégaudeau einen Tatsachenbericht, der als Grundlage für das zusammen mit Cantet und Robin Campillo von ihm selbst verfasste Drehbuch diente. Darüber hinaus übernahm er die Hauptrolle des Lehrers in der „Klasse“.

Am Tag vor dem ersten Unterrichtstag trifft sich das Lehrerkollegium zur ersten Lehrerkonferenz nach den Sommerferien, bei der sich neue und ältere Lehrer miteinander bekannt machen. François Marin (François Bégaudeau) gehört trotz seiner Jugend zu den Veteranen, und gibt einem neuen Französischlehrer seine Erfahrungen weiter.

Diese hat er „innerhalb der Mauern“ – wie der Originaltitel „Entre les murs“ aussagt – einer schmucklosen Schule im 20. Arrondissement von Paris gemacht. Seine etwa 14- bis 15-jährigen Schüler sind fast ohne Ausnahme Kinder von Migranten. Multikulti-Gesellschaft auf kleinstem Raum. Einige, wie der Chinese Wei, leben noch nicht lange in Frankreich, und haben Schwierigkeiten mit der Sprache. Das Schulfranzösisch bereitet aber so gut wie allen Schülern Probleme. „Niemand redet so“ heißt denn auch der am häufigsten vorgebrachte Einwand der Schüler auf die Bemühungen des Lehrers, den Pubertierenden, eher Desinteressierten die Regeln der französischen Sprache beizubringen.

Die Sprache ist die heimliche Protagonistin in der „Klasse“. Um sie dreht sich im Grunde alles in diesem Ensemblefilm, der kaum eine Dramaturgie erkennen lässt. Mit einer überwiegend elliptischen Erzählweise reiht „Die Klasse“ Impressionen aus dem Schulalltag aneinander. Dennoch gibt es im Film einige Ereignisse oder auch herausragende Aufgabenstellungen, die gewisse erzählerische Höhepunkte markieren, etwa die Autobiographie, die jeder Schüler verfassen soll. Sie spielt eine bedeutende Rolle auch deshalb, weil sie Einblicke in die unterschiedlichen Persönlichkeiten gewährt.

Einen weiteren „Spannungsbogen“ bietet die Konfrontation zwischen zwei Hitzköpfen in der Klasse: Souleymane beleidigt dabei einen anderen Schüler und darüber hinaus auch den Lehrer. Beim hektischen Hinausgehen aus dem Klassenraum verletzt er versehentlich mit seinem Rucksack eine Schülerin. Souleymane sieht sich daraufhin einem Disziplinarverfahren gegenübergestellt. Falls er von der Schule verwiesen wird, droht ihm sein Vater damit, ihn nach Mali zurückzuschicken.

François und andere Lehrer versuchen, sich für ihn vor dem Disziplinarausschuss einzusetzen, ohne sich jedoch von diesen Bemühungen viel zu versprechen. An ihre Grenzen kommen die Lehrer ebenfalls, als die Nachricht die Runde macht, die Mutter eines Schülers solle abgeschoben werden. So engagiert die Lehrer auch sein mögen, in manchen Situationen haben sie keine befriedigende Lösung.

Die Eltern der Schüler sind in Cantets Film jedoch nur vereinzelt zu sehen. Um die Lebensbedingungen der Schüler oder des Lehrers geht es überhaupt nicht. Im Unterschied zu den genretypischen Schulfilmen erfährt der Zuschauer nichts aus dem Privatleben des Lehrers – lediglich, dass er nicht homosexuell ist, weil er auf die entsprechende Frage diese knappe Antwort gibt. „Die Klasse“ spielt sich zum größten Teil tatsächlich zwischen den vier Wänden des Klassenraumes ab. Etwas Abwechselung bieten lediglich einige Bilder aus dem Computerraum, oder auch aus dem Lehrerzimmer, wo etwa eine Versetzungskonferenz stattfindet, an der auch Schüler-Vertreterinnen teilnehmen.

Obwohl einige Totalen eher grobkörnige Bilder aus dem Pausenhof zeigen, bleibt die Kamera sehr nah an den Gesichtern des Lehrers und der Schüler. Deshalb überwiegen nahe und halbnahe Kameraeinstellungen, was den dokumentarischen Charakter des Filmes unterstreicht. „Die Klasse“ ist jedoch ein Spielfilm, der nach einem festgelegten Drehbuch realisiert wurde. Der Regisseur lud Schüler aus einer Pariser Schule zu Vorbereitungsworkshops ein, bei denen er mit Hilfe von François Bégaudeau eine Auswahl für seinen Film traf, und mit den Laiendarstellern probte. Trotzdem blieb offensichtlich viel Platz für Improvisation. Davon zeugt etwa auch, dass Laurent Cantet mit drei Kameras filmte, einer für den Lehrer, einer für die Schüler, und einer für das Unerwartete. Doch die Akteure bewegen sich so natürlich, dass es dem Zuschauer schwer fällt, zwischen Einstudiertem und Improvisiertem zu unterscheiden.
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