HAPPY-GO-LUCKY | Happy-Go-Lucky
Filmische Qualität:   
Regie: Mike Leigh
Darsteller: Sally Hawkins, Alexis Zegerman, Eddie Marsan, Samuel Roukin, Kate O'Flynn, Sylvestra Le Touzel, Karina Fernandez, Andrea Riseborough, Sinéad Matthews
Land, Jahr: Großbritannien 2008
Laufzeit: 118 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: S, D
im Kino: 7/2008
Auf DVD: 1/2009


José García
Foto: Tobis

Eine frohe Natur oder ganz schön nervig: Das ist hier die Frage, wenn es um die Hauptfigur in Mike Leighs neuem Spielfilm „Happy-Go-Lucky“ geht. Sie heißt eigentlich Pauline, wird aber von allen Poppy (Sally Hawkins) genannt.

Bereits in der ersten Szene bekommt der Zuschauer eine Kostprobe davon: Zu poppiger Musik radelt Poppy fröhlich durch die Straßen Londons. In einem Buchladen geht sie dem einsilbigen Verkäufer mit ihrer Redseligkeit auf die Nerven, ehe sie feststellen muss, dass ihr Fahrrad gestohlen wurde. Die gelassene Art, mit der sie es nimmt, etabliert endgültig die Figur: Obwohl sie etwa dreißig Jahre alt ist, hat sich Poppy eine Unbeschwertheit bewahrt, die allerdings schon ans Infantile grenzt.

Der Verlust ihres Gefährts bringt sie auf den Gedanken, es endlich einmal mit Fahrstunden ernst zu nehmen – obwohl sie nicht gerade den Eindruck macht, als würde sie irgendetwas überhaupt ernst nehmen (können). So lernt sie den Fahrlehrer Scott (Eddie Marsan) kennen, der so ziemlich das Gegenteil von Poppy zu sein scheint: Stets schlecht gelaunt, wettert er immer wieder gegen alles mögliche. Dieser Scott entpuppt sich als rassistisch und sexistisch. Und obendrein hält er den Papst für den Antichrist.

Was auf den ersten Blick wie ein Drehbuchkonstrukt wirkt – man nehme die Eigenschaften Poppys und verkehre sie einfach ins Gegenteil –, wird von Eddie Marsan mit Leben gefüllt. Nicht nur seine Wutausbrüche gegen das Schuhwerk seiner unverbesserlichen Fahrschülerin, sondern vor allem seine „Zauberformel“, um Poppy an den Blick in den Rück- uns Seitenspiegel zu erinnern („En Ra Ha“, „Enraha“), bleibt in Erinnerung.

Viel Handlung bietet „Happy-Go-Lucky“ nicht, eher Bruchstücke oder Schnappschüsse aus dem Leben Poppys: das Herumalbern mit Freundinnen in der Frauen-WG am Morgen nach der Disco, den Besuch bei der jüngeren Schwester, die viel erwachsener als sie wirkt, das Trampolin-Springen und die Flamenco-Stunden, die eine weitere herrliche Figur einführen: die Tanzlehrerin Rosita (Karina Fernandez). Eine kleine Episode am Rande mit einem Obdachlosen scheint zunächst kaum in diesen Film zu passen, zeigt aber beim näheren Hinsehen das große Herz der immer fröhlichen jungen Frau.

Aber selbst im Leben einer solchen Frohnatur gibt es doch ernste Seiten. Im Kindergarten, wo sie als Erzieherin arbeitet, fällt ein Problemkind auf: Der kleine Nick schlägt bei jeder Gelegenheit andere Kinder. Poppy nimmt sich des Jungen an. Es stellt sich heraus, dass Nick vom Freund seiner allein erziehende Mutter misshandelt wird. Die Episode dient nicht nur dazu, die Sorge Poppys um andere Menschen – wie um den Obdachlosen, der niemand zum Reden hat – zu verdeutlichen. Dadurch wird eine neue Figur eingeführt, die im Leben Poppys eine bedeutende Rolle übernehmen soll: der Sozialarbeiter Tim (Samuel Roukin), den die Kindergartenleiterin in Sachen gewalttätiges Kind zu Rate gezogen hat. Denn was als berufliche Beziehung beginnt, entwickelt sich in Richtung Romanze. Als der Fahrlehrer Scott dies merkt, wird er regelrecht wild, und wirft Poppy vor, mit seinen Gefühlen gespielt zu haben. Offensichtlich hatte sich der griesgrämige Scott, der an seiner Fahrschülerin eigentlich nichts Gutes fand, doch noch aller Vernunft zum Trotz in die außergewöhnliche Frau verliebt.

All diese Momentaufnahmen im Leben der stets knallbunt gekleideten und stets gut gelaunten jungen Frau werden so geschickt in den Film eingebaut, dass der Zuschauer eine klassische Handlung kaum vermisst. Denn „Happy-Go-Lucky“ gehört zu einer Art Spielfilm, der zurzeit sehr im Trend liegt, und der Charakterzeichnung eine viel größere Bedeutung beimisst als dem dramaturgisch korrekten Fortgang einer Handlung samt Figurenentwicklung.

Über die flippigen und bunten Figuren, die Mike Leighs Film bevölkern, hinaus stellt „Happy-Go-Lucky“ auch tief greifende Fragen. Denn es geht nur vordergründig ums Erwachsenwerden. Der Film erhebt zwar keinen pädagogischen Zeigefinger, stellt aber die richtigen Fragen, etwa: Ist am Ende Poppy die Erwachsene gegenüber ihrem Fahrlehrer, der sich zuletzt kindisch benimmt? Gehört zum Erwachsenwerden dazu, sich um andere Menschen zu kümmern?

Dies alles tut Regisseur und Drehbuchautor Leigh mit großer Leichtigkeit dank auch einer Schauspielerin, die in dieser Rolle aufzugehen scheint. Dafür wurde Sally Hawkins auf der letzten Berlinale mit dem Silbernen Bären als beste Darstellerin ausgezeichnet.
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