EIN EINZIGER AUGENBLICK | Reservation Road
Filmische Qualität:   
Regie: Terry George
Darsteller: Joaquin Phoenix, Jennifer Connelly, Elle Fanning, Sean Curley, Mark Ruffalo, Mira Sorvino, Gary Kohn, Eddie Alderson, Cordell Clyde Lochin
Land, Jahr: USA 2007
Laufzeit: 102 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 6/2008
Auf DVD: 9/2008


José García
Foto: Tobis

Das Kino hat schon immer Trauerbewältigung zu seinen Lieblingssujets gezählt, zuletzt etwa in „Things We Lost In The Fire“ (siehe Filmarchiv). Die Darstellung des durch den Tod des eigenen Kindes hervorgerufenen Schmerzes gleitet im Film allerdings häufig ins Pathetische ab. Trotzdem bemühen sich Filmregisseure immer wieder, dieses Thema realistisch darzustellen. Unter ihnen ragen etwa Nanni Moretti mit „Das Zimmer meines Sohnes“ (Goldene Palme in Cannes 2001, siehe Filmarchiv) und Todd Field in seinem Spielfilmdebüt „In the Bedroom“ (2001, siehe Filmarchiv) heraus.

Nun wagt sich an eine solche Materie der gebürtige Nordire Terry George, der in den neunziger Jahren als Drehbuchautor für Jim Sheridans „Im Namen des Vaters“ (1993) sowie als Regisseur für „Mütter und Söhne“ (1996) bekannt wurde, und zuletzt mit dem Drama „Hotel Ruanda“ (siehe Filmarchiv) auf sich aufmerksam machte. In „Hotel Ruanda“ gelang dem inzwischen 55-jährigen Filmemacher, den Völkermord zurückhaltend in Szene zu setzen.

Der deutsche Titel seines ersten in den Vereinigten Staaten gedrehten Filmes „Ein einziger Augenblick“ (Original: „Reservation Road“) bringt es auf den Punkt: Ein kurzer Augenblick kann alles verändern. Der kurze Augenblick, nach dem nichts mehr sein wird, wie es vorher war, ereignet sich an einer Tankstelle in Connecticut. Dort hat der Collegeprofessor Ethan Learner (Joaquin Phoenix) mit seiner Frau Grace (Jennifer Connelly) und den beiden Kindern Emma (Elle Fanning) und Josh (Sean Curley) auf dem Rückweg von einem Schulkonzert kurz angehalten.

Der kleine Josh steht am dunklen Straßenrand, als ein anderer Vater mit dessen Sohn an der „Reservation Road“ vorbeifährt: Der Rechtsanwalt Dwight (Mark Ruffalo) hatte mit seinem 11-jährigen Sohn Lucas gerade ein Baseballspiel besucht, und nun ist er wieder zu spät dran, um den Jungen bei seiner zänkischen Exfrau Ruth (Mira Sorvino) abzuliefern. Eine Sekunde Unaufmerksamkeit, eine unübersichtliche Kurve, an der zudem Dwight zu schnell fährt – ein dumpfer Schlag: Dwight hat den Jungen angefahren.

Dwight hält zwar kurz an. Als er aber sieht, was passiert ist, startet er den Wagen in Panik wieder durch. Der Anwalt begeht Fahrerflucht. Seinem eigenen Sohn, der von der Kollision eine blutende Wunde davongetragen hat, erzählt er, sie hätten lediglich einen Baum gestreift. Joshs Vater Ethan hat mitansehen müssen, wie sein Sohn vom rasenden Auto erfasst wurde. Das Unfallauto kann der Collegeprofessor allerdings nur noch von hinten sehen.

Terry George verfolgt parallel die Reaktionen der zwei Väter – eine Parallelität, die etwa in einer Szene visuell dadurch umgesetzt wird, dass der eine aus einem Taxi aus-, während der andere in ein solches einsteigt. Ethan versucht, mit seiner Trauer zurechtzukommen. In seiner Verzweiflung, weil die polizeilichen Ermittlungen keine Ergebnisse zeitigen, wendet er sich an eine Anwaltskanzlei, und landet ausgerechnet bei Dwight.

Dieser erkennt in Ethan sofort den Sohn seines Opfers. Dwight fühlt sich hin- und hergerissen zwischen den Gewissensbissen und der Furcht, seinen Sohn endgültig an seine Exfrau zu verlieren, sollte er nach einem Geständnis ins Gefängnis wandern.

Ethan erkennt wiederum, dass von offizieller Seite kaum eine Chance besteht, den Täter zu fassen. Der sonst so abgeklärte Intellektuelle fängt an, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. In Internetforen sucht er darüber hinaus Kontakt zu Gleichgesinnten, die ihn drängen, Selbstjustiz zu üben. Durch seine Verbissenheit entfremdet er sich allerdings zusehends von seiner Familie. Schließlich kauft sich eine Waffe und sinnt auf Rache.

Regisseur Terry George entgeht jedoch den Konventionen des Selbstjustizdramas gekonnt. Statt sich auf Action zu konzentrieren, richtet „Ein einziger Augenblick“ sein Augenmerk auf die Seelenzustände der zwei Gegenspieler. Dabei vermeidet er in der Figurenzeichnung des Täters, der Fahrerflucht begangen hat, eine vorschnelle Verurteilung. Der Zuschauer wird Zeuge nicht nur von Trauer, Verzweiflung und Zorn auf Seiten des Opfervaters, sondern auch der widersprüchlichen Gefühle auf Seiten des Täters. Dabei kann der Regisseur auf zwei hervorragende Darsteller zählen, die all diese nuancierten Empfindungen überzeugend verkörpern.

Dies hilft über eine zugegebenermaßen allzu konstruierte Handlung hinweg, so dass die hier aufgeworfenen Fragen von Schuld und Sühne, Rache und Vergebung sowie Trauerbewältigung überzeugend inszeniert werden, ohne allzu simple Antworten zu liefern.
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