CASSANDRAS TRAUM | Cassandra's Dream
Filmische Qualität:   
Regie: Woody Allen
Darsteller: Colin Farrell, Ewan McGregor, Hayley Atwell, Tom Wilkinson, Tamzin Outhwaite, Sally Hawkins, Andrew Howard, Mark Umbers
Land, Jahr: USA / Großbritannien 2007
Laufzeit: 108 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 6/2008
Auf DVD: 12/2008


José García
Foto: Constantin

Der Schaffensdrang des mittlerweile 72-jährigen Woody Allen scheint ungebrochen. Seit Jahrzehnten liefert er Jahr für Jahr einen Spielfilm ab, den er zumeist auf den Filmfestivals von Venedig oder Cannes vorstellt. Präsentierte er Ende Mai in Cannes seinen neuen Spielfilm „Vicky Christina Barcelona“ außer Konkurrenz, so startet endlich im deutschen Kino der Film des vorigen Jahres „Cassandras Traum“, der in Venedig 2007 ebenfalls außer Konkurrenz lief.

Nach „Match Point“ (siehe Filmarchiv) und „Scoop – Der Knüller“ (siehe Filmarchiv) ist „Cassandras Traum“ der dritte und vorerst letzte Spielfilm aus Allens Londoner Zeit. „Match Point“ handelte von einem Kapitalverbrechen, das nur auf den ersten Blick aus Leidenschaft verübt wurde. Der aus einfachen Verhältnissen in eine gutbürgerliche Existenz aufgestiegene Chris Wilton handelte vielmehr aus bloßer Berechnung, als er die Möchtegern-Schauspielerin Nola Rice ermordete. Obwohl Chris in einer Szene Dostojewskis „Schuld und Sühne“ las, blieben ihm Gewissenskonflikte offenbar erspart.

In „Cassandras Traum“ kehrt der Regisseur nach dem komödiantischen Ton von „Scoop“ zur Tragödie zurück. Die Brüder Ian (Ewan McGregor) und Terry Blaine (Colin Farrell) kommen wie Chris Wilton aus „Match Point“ aus einfachen Verhältnissen: Terry arbeitet als Automechaniker, Ian im väterlichen Restaurant. Die beiden träumen indes vom großen Geld, an das Terry durchs Glückspiel, Ian durch Immobiliengeschäfte in Kalifornien zu kommen hoffen.

Zunächst konzentrieren sich ihre Geldsorgen darauf, das filmtitelgebende Segelboot „Cassandras Traum“ käuflich zu erwerben. Denn obwohl sie nur einen Bruchteil des Preises zahlen können, sind 6000 Pfund letztlich auch nicht so viel Geld. Bald gewinnt Terry denn auch beim Hunderennen genug, um das Boot zu bezahlen. Die Glückssträhne hält zunächst an: Terry gewinnt beim Pokern eine ansehnliche Summe, um sich zusammen mit seiner Freundin Kate (Sally Hawkins) ein eigenes Haus leisten zu können.

Schlagartig wendet sich jedoch das Blatt. Terry verspielt nicht nur alles, sondern schuldet auf einmal Kredithaien einen gigantischen Betrag. Auch Ians Geldbedarf wächst sprunghaft, als er in einem geliehenen Luxuswagen die ehrgeizige Schauspielerin Angela (Hayley Atwell) kennen lernt.

Als die Situation so gut wie aussichtslos wird, erscheint der „reiche Onkel“ auf der Bildfläche: Der von Terrys und Ians Mutter nur so angehimmelte Onkel Howard (Tom Wilkinson), der mit Schönheitskliniken in der halben Welt ein Vermögen angesammelt hat, kündigt seinen Besuch an. Der Onkel zeigt größtes Verständnis für die Geldsorgen der Neffen. Gerne hilft er seinen Verwandten, denn „Familie ist Familie. Und Blut ist Blut“. Allerdings erbittet er von ihnen eine Gegenleistung: Sein Londoner Geschäftspartner Martin Burns steht kurz davor, vor einem Gericht auszusagen. Was sich für Onkel Howard als äußerst nachteilig auswirken würde. Es bleibe wohl nichts anderes übrig, als Mr. Burns zu „beseitigen“.

Ian drängt seinen Bruder dazu, seinem Onkel den „Gefallen“ zu tun. Nachdem ein erster Mordversuch misslingt, schaffen sie es beim zweiten Anlauf doch, Burns in einer dunklen Gasse zu töten, und es nach einem Überfall aussehen zu lassen. Von der Polizei bleiben sie deshalb unentdeckt.

Kehrt Ian wie Chris in „Macht Point“ schnell zum alten Leben zurück, so fällt sein Bruder Terry in eine tiefe Depression. Er kann nicht mehr schlafen, verfällt dem Alkohol und der Medikamentensucht. Auch die Gottesfrage stellt sich. Terry wird so von Gewissensbissen geplagt, dass er sich der Polizei stellen will.

Erinnert vieles in „Cassandras Traum“ an „Match Point“, so fallen jedoch eher Parallelen zu einem früheren Film Woody Allens ins Auge: In „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ (1989) wurde auch eine lästig gewordene Person durch einen Mord unter Brüdern „beseitigt“. Dieser bereits zum Klassiker gewordene Film stellte ebenfalls die Gewissenskonflikte aus einer vergessen geglaubten Religiosität heraus in den Mittelpunkt.

Siegte in „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ letztendlich die Verdrängung der Schuld, was allerdings negativ konnotiert wurde, so ist der Regisseur mit „Cassandras Traum“ moralisch reifer geworden. Näher als in diesen früheren Spielfilmen lehnt sich Woody Allen in „Cassandras Traum“ an Dostojewskis „Schuld und Sühne“ an.

Obwohl sich der Schluss weniger dramaturgisch dicht als der Rest ausnimmt, leuchtet die geradlinige Inszenierung mit den gedämpften Farbtönen der Kamera von Vilmos Zsigmond und der unaufdringlichen Musik von Philip Glass sowie den guten Schauspielern ein. Vor allem aber überzeugt die trotz allem Fatalismus angemessene Herangehensweise, mit Schuld und Strafe umzugehen.
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