MONDKALB | Mondkalb
Filmische Qualität:   
Regie: Sylke Enders
Darsteller: Juliane Köhler, Axel Prahl, Leonard Carow, Ronald Kukulies, Niels Bormann, Udo Schenk, Gabrielle Ertmann, Isabelle Etmann
Land, Jahr: Deutschland 2007
Laufzeit: 102 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 1/2008
Auf DVD: 8/2008


José García
Foto: X Verleih

Das Thema Vergangenheitsbewältigung nimmt im heutigen Kino weiterhin eine herausragende Stellung ein, ob es sich nun in der Wiedergutmachung für eine weit in die Vergangenheit zurückreichende Verfehlung („Abbitte“, siehe Filmarchiv, „Drachenläufer“, siehe Filmarchiv) oder in der Bewusstmachung eines Versäumnisses aus längst vergangenen Tagen („Spuren eines Lebens“, siehe Filmarchiv) äußert.

Sylke Enders’ zweite Regiearbeit „Mondkalb“, der die Internationalen Hofer Filmtage 2007 eröffnete und nun im regulären Kinoprogramm startet, handelt auch von einer Frau, die eine traumatische Vergangenheit hinter sich lassen möchte.

Alex (Juliane Köhler) zieht ins Haus ihrer verstorbenen Großmutter, um sich in die ostdeutsche Kleinstadt ihrer Kindheit zurückzuziehen. In einem Labor findet sie Arbeit. Der Chef freut sich, nicht mehr der einzige „Wessi“ im Betrieb zu sein. Bei den beiden Kolleginnen findet Alex jedoch eine ziemlich kühle Aufnahme, die in eisige Kälte umschlägt, als sie erfahren, dass Alex gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Als Alex nach dem ersten Arbeitstag nach Hause kommt, wundert sie sich über den gedeckten Esstisch. Bald entdeckt sie den Grund: Der 12-jährige Tom (Leonard Carow) rennt aus dem Haus, das offenbar lange leer stand. Tom kommt immer wieder ins Haus. Bald lernt Alex auch Toms Vater Piet (Axel Prahl) kennen, einen mitteilungsfreudigen Fahrschullehrer. Piet scheint von Anfang an von Alex fasziniert zu sein.

Toms Vater wirbt immer offener um Alex. Sie lässt sich nach anfänglichem Zögern aus der Reserve locken, und nimmt die Einladung zu Piets Geburtstag an. Als Piet und sein befreundeter Nachbar Mirco (Nils Bormann) zu einem Bauern gerufen werden, lässt sich Alex überreden, zusammen mit ihnen aufs Land zu fahren. Nach einem wunderschönen Tag in der freien Natur wagt Piet eine vorsichtige Liebeserklärung. Alex fühlt sich indes überrumpelt und zieht sich erneut zurück, als schrecke sie vor zu viel Nähe zurück.

Als Tom wieder einmal versucht, Alex von einem neuen Leben zu dritt zu überzeugen, setzt sie den Jungen vor die Tür. Für den 12-Jährigen bricht die letzte Hoffnung zusammen.

„Mondkalb“ konzentriert sich auf seine drei Protagonisten. Alle anderen Figuren stehen weit im Hintergrund, so dass auch andere hier angesprochene Themen, wie Gewalt, Kin¬der¬erzie¬hung oder auch der Kon¬flikt zwi¬schen Wessis und Ossis kaum angedeutet werden. Sie spielten für die Regisseurin nur eine unter¬geord¬nete Rolle, sagte Enders in einem dpa-Gespräch anlässlich der Hofer Film¬tage.

Sylke Enders’ Film handelt von der unterschiedlichen Art, wie Piet und Alex ihre traumatische Vergangenheit verarbeiten. Strebt Piet danach, die nach dem Selbstmord seiner Frau zerfallene Familie wiederherzustellen, so verschließt sich Alex aus Furcht, dass die alten Wunden wieder aufreißen könnten. Dabei könnte gerade jemand wie Alex die Nähe zu anderen Menschen gut gebrauchen. Aber nach jedem Versuch, sich zu öffnen, macht sie einen Rückzug.

„Mondkalb“ entwickelt seine Dramaturgie in einem ausgesprochen langsamen Erzählrhythmus. „Wir haben viel mit Gesten und Blicken gearbeitet, die hinter den gesprochenen Worten im Verborgenen eine Bedeutungsebene öffnen“, führt Regisseurin Sylke Enders dazu aus. „Ich möchte die Gefühle, die in diesen Gesten und Blicken liegen, nicht durch Sprache demontieren. Der Zuschauer soll die Freiheit haben, sie zu erspüren.“

Diese Strategie der nur allmählichen Informationsmitteilung an den Zuschauer hat allerdings eine Kehrseite: Die Figuren gewähren kaum Einblicke in ihre Motivationen, Entscheidendes wird lediglich angedeutet. Die Beziehung Alex’ zu ihrer Tochter und zu ihrem geschiedenen Ehemann etwa wird kaum beleuchtet. So bleibt die kurze Szene, in der Alex’ Ehemann (Udo Schenk) wie aus dem Nichts auftaucht, unverständlich für den Zuschauer. Die Figuren entwickeln sich so langsam, dass es dem Zuschauer schwer fällt, sich mit ihnen zu identifizieren.

Über dem ganzen Drama liegt eine schwere Schicht Melancholie, aus der sich die Protagonisten kaum befreien können. „Keiner kann aus seiner Haut“, heißt es darin. Oder doch? Wenn auch der Schluss offen gestaltet ist, entlässt er den Zuschauer jedoch nicht ohne Hoffnung.
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