EL CUSTODIO - DER LEIBWÄCHTER | El Custodio
Filmische Qualität:   
Regie: Rodrigo Moreno
Darsteller: Julio Chávez, Osmar Núñez, Marcelo D'Andrea, Elvira Onetto, Cristina Villamor, Luciana Lifschitz, Osvaldo Djeredjián
Land, Jahr: Argentinien / Deutschland / Frankreich 2006
Laufzeit: 95 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X
im Kino: 5/2007


José García
Foto: Realfiction

Anfang der neunziger Jahre produzierte Hollywood gleich zwei Spielfilme über Leibwächter: „The Bodyguard“ (Mick Jackson, 1992) mit Kevin Costner als Leibwächter einer Popsängerin sowie „In der Line of Fire“ (Wolfgang Petersen, 1993) mit Clint Eastwood als Personenschutz für den US-Präsidenten. In den beiden Filmen sorgt ein Attentat auf die zu bewachende Person für einen actiongeladenen Höhepunkt.

Keinen solchen spektakulären Höhepunkt weist dagegen der nun anlaufende argentinische Spielfilm „El custodio – Der Leibwächter“ vor, der auf der Berlinale 2006 mit dem Alfred Bauer-Preis ausgezeichnet wurde. Ganz im Gegenteil: Der erste eigenständige Langspielfilm von Rodrigo Moreno scheint einen Gegenpol zum US-amerikanischen Actionfilm liefern zu wollen. Denn das Leben von Rubén (Julio Chávez), dem Leibwächter eines argentinischen Ministers (Osmar Núnez), besteht hauptsächlich aus Leergang. Der Bodyguard steht immer bereit, gleichzeitig aber auch seltsam teilnahmslos, hinter oder neben dem Minister.

Rubéns Beruf wird vom Warten geprägt. Warten vor den verschlossenen Türen, hinter denen sich die Besprechung mit dem Minister etwas länger als zunächst geplant hinzieht. Warten auf sterilen Gängen oder vor einem Fernsehstudio, in dem der Minister interviewt wird. Warten im Dienstwagen zusammen mit dem Chauffeur des Ministers. Warten vor einem Glasfenster, hinter dem sich das Meer ausbreitet, in dem der Leibwächter nie geschwommen ist.

Der Leerlauf, die Eintönigkeit setzt sich in Rubéns Privatleben fort. Der Leibwächter lebt allein. Außer zu seiner psychisch labilen Schwester und zu seiner Nichte sind seine Kontakte auf rein berufliche Beziehungen beschränkt, etwa zu dem Händler, bei dem er sich mit einer neuen Schutzweste versorgt. Auch seinem eigenen Leben steht Rubén ziemlich teilnahmslos gegenüber.

Der Regisseur erzählt konsequent aus der Perspektive des Protagonisten. So erlebt der Zuschauer die kleinen Demütigungen, die der Leibwächter erfährt, aus dessen Sicht. Etwa, als der gute Zeichner vom Minister aufgefordert wird, von einem wichtigen Gast ein Portrait zu malen, das dann achtlos auf dem Kaffeetisch zurückgelassen wird. Rubéns Rolle als „Mädchen für alles“ scheint sich in einer Szene fortzusetzen, die allerdings als Paradebeispiel gelten kann, wie Rodrigo Moreno den Erwartungen des Zuschauers zuwiderläuft: Wieder einmal steht Rubén neben dem Geschehen, diesmal vor der Küche in dem Landhaus, wo der Minister mit seiner Familie das Wochenende verbringt. In einer angeschnittenen Einstellung hört der Zuschauer die Frau des Ministers fragen: „Könnten Sie bitte das Kleid aufbügeln?“ Doch die Bitte gilt nicht dem Leibwächter, sondern einem Dienstmädchen, das dann in den Bildausschnitt tritt.

Mit solchen Stilmitteln – der Trennung von Bild und Ton – stellt der Regisseur nicht nur einen knochentrockenen Humor unter Beweis. Darüber hinaus erzielt er auf diese Weise eine gewisse Abwechselung in seinem Regieminimalismus, der auf Musikeinsatz und sogar auf Dialoge beinahe verzichtet. Als minimalistisch kann ebenso das Schauspiel von Julio Chávez bezeichnet werden. Dem argentinischen Mimen stehen lediglich Gesten und Blicke zur Verfügung, um seine Figur zu gestalten. Und dies tut er derart überzeugend, dass „El custodio – Der Leibwächter“ allein von Chávez’ alles durchdringender körperlicher Präsenz getragen wird.

Bei einer solchen lakonischen Inszenierung drängt sich der Vergleich mit dem finnischen Regisseur Aki Kaurismäki auf, sind Kaurismäkis Helden – etwa auch der Wachmann Koistinen in seiner letzten Regiearbeit „Lichter der Vorstadt“ (siehe Filmarchiv) – einsame Menschen, die durch eine menschenleere Welt tappen.

Moreno setzt wie Kaurismäki auf lange Einstellungen, auf die Gestik statt auf die Dialoge seiner Protagonisten. Die beiden Regisseure unterscheiden sich jedoch nicht nur in der Verwendung von Musik: Setzt Kaurismäki vorwiegend argentinische Tangos ein, um die Melancholie seiner Figuren zu unterstreichen, so verzichtet der argentinische Regisseur paradoxerweise auf eine solche Musik. Seine Tonspur setzt sich vielmehr aus Geräuschen zusammen.Gelingt es jedoch Kaurismäki immer wieder, den Zuschauer für seine Figuren einzunehmen, so kennt Rodrigo Moreno kein Mitleid mit seinem Protagonisten. Die als Befreiungsschlag gedachte Schlusstat wirkt eher wie eine der Verzweiflung entstammende, hilfslose Geste.
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