DEUTSCHLAND. EIN SOMMERMÄRCHEN | Deutschland. Ein Sommermärchen
Filmische Qualität:   
Regie: Sönke Wortmann
Darsteller: (Mitwirkende): Jürgen Klinsmann, Joachim Löw, Oliver Bierhoff, Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski, Michael Ballack, Jens Lehmann
Land, Jahr: Deutschland 2006
Laufzeit: 108 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum:
Einschränkungen: --
im Kino: 10/2006
Auf DVD: 2/2007


José García
Foto: Kinowelt

Plötzlich hörte der Regen auf. Die Wolken waren wie weggeblasen. Pünktlich zur Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland zeigte sich der Sommer von seiner schönsten Seite. Das traumhafte Wetter und das immer besser werdende Spiel der Nationalmannschaft hoben die Stimmung im ganzen Land: Mit einem Mal war es nicht mehr peinlich oder „uncool“, die Nationalhymne mitzusingen oder ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen am Auto mitzuführen. Vier Wochen lang lebte Deutschland in einer kollektiven Euphorie, die das Land seit den langen „Nächten der Freiheit“ im November 1989 nicht mehr erlebt hatte.

Sönke Wortmann, der mit seinem Spielfilm „Das Wunder von Bern“ (2003, siehe Filmarchiv) der Fußball-Nationalmannschaft von 1954 ein Denkmal setzte, durfte während der Vorbereitungsphase und der ganzen WM die deutsche Auswahl begleiten. Obwohl Regisseur Wortmann mit seiner Handkamera während der Spiele auf der Bank saß, sind im Dokumentarfilm „Deutschland. Ein Sommermärchen“ ähnlich wenig Spielzüge zu sehen wie im Spielfilm „Das Wunder von Bern“, wenn auch sich diese Bilder teilweise durch ihre Brillanz, teilweise durch ihre Unmittelbarkeit von den üblichen Aufnahmen der Fernsehübertragungen deutlich absetzen.

Dafür bietet die Dokumentation einen geradezu intimen Einblick in die Innenwelt der Nationalmannschaft, was bereits in der Eingangssequenz deutlich wird: Nach der Halbfinale-Niederlage gegen Italien am 4. Juli in Dortmund fährt die Kamera über die Gesichter der Spieler. Sie fängt ihre Enttäuschung, ihre Tränen ein. Totenstille.

Erst dann folgt die Einblendung „7 Wochen früher“. Das „Sommermärchen“ nimmt seinen chronologischen Lauf vom Trainingslager auf Sardinien über den Einzug ins Schlosshotel Berlin-Grunewald, die Fahrten zu den Spielen, die dramatischen Augenblicke auf dem Rasen bis zur Jubelfeier am Brandenburger Tor.

Sönke Wortmann zeigt zwar lustige Momente, meistens im Zusammenhang mit Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski, die sich zu einer Art „Klassen-Clowns“ entwickeln. Als weit wichtiger erweist es sich jedoch, dass der Film die Aufgabenverteilung zwischen Manager Oliver Bierhoff, Co-Trainer Joachim Löw und Bundestrainer Jürgen Klinsmann überzeugend darstellt: Oliver Bierhoff agiert als graue Eminenz. Er war es auch, der das Projekt des Dokumentarfilmes an Sönke Wortmann herantrug: „Wir leben von der Öffentlichkeit, deshalb müssen wir sie bedienen“, hatte er diese Entscheidung begründet.

Der Zuschauer lernt Jürgen Klinsmann vor allem als denjenigen kennen, der seine Mannschaft eins ums andere Mal motiviert – mit Schlachtrufen wie „Heute sind sie fällig, absolut fällig“ oder „Dann schlagen wir zu – und zwar brutal.“ Sönke Wortmanns Kamera ist nicht nur bei diesen Besprechungen in der Umkleidekabine dabei, sondern auch bei den Taktikrunden. Hier erfährt der Zuschauer, wer im Dreiergespann der wahre Experte in Sachen Fußballtaktik und –strategie ist: Joachim „Jogi“ Löw.

„Deutschland. Ein Sommermärchen“ gewährt allerdings auch Einblicke in die ungeheuere Logistik des Unternehmens „Weltmeisterschafts-Teilnahme“: etwa in die Arbeit des 71-jährigen Masseurs Adolf Katzenmeier oder auch der Fitness- und Psychologietrainer. So nah am Geschehen wie Sönke Wortmann war wahrscheinlich kein Dokumentarfilmer seit Leni Riefenstahl.

Fangen Wortmanns mit der Handkamera aufgenommene Videobilder diese intimen Momente ein, so werden seine Bilder durch die Außenaufnahmen des Co-Kameramanns Frank Griebe ergänzt. Parallel zum wachsenden Selbstbewusstsein der Spieler, vor allem nach Oliver Nevilles Tor in der Nachspielzeit gegen Polen, entsteht im Land eine Welle der Begeisterung. Die Kamera zeigt die jubelnden Fans, die Polizisten, die am Straßenrand spontan eine „La Ola-Welle“ vollführen ..., ohne jedoch in Pathos abzugleiten. Diese Bilder verdeutlichen: Im Laufe des Turniers steigert sich das Gemeinschaftsgefühl gleichermaßen unter den Spielern wie unter den Menschen draußen im Land.

Bedingt durch die Nähe des Dokumentarfilmers entsteht indes kaum die übliche Distanz des Filmemachers zu seinem Gegenstand. „Deutschland. Ein Sommermärchen“ ist vielmehr ein Fan-Film, der die Erinnerung an einen wunderschönen Sommer wach hält.
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