KICK, DER | Der Kick
Filmische Qualität:   
Regie: Andres Veiel
Darsteller: Susanne-Marie Wrage, Markus Lerch
Land, Jahr: Deutschland 2006
Laufzeit: 82 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2006


José García
Foto: Piffl Medien

In der Nacht zum 13. Juli 2002 schlugen und misshandelten drei Jugendliche – die Brüder Marco und Marcel Schönfeld sowie ihr Freund Sebastian Fink – Stunden lang den 16-jährigen Marinus Schöberl. Sie ermordeten ihn auf brutalste Weise in einem Schweinestall in Potzlow, einem Dorf sechzig Kilometer nördlich von Berlin. Die Täter verscharrten die Leiche des 16-Jährigen in einer Jauchegrube. Sie wurde erst vier Monate später gefunden.

Der renommierte Dokumentarfilmer Andreas Veiel, der zuletzt für seinen Dokumentarfilm „Die Spielwütigen“ (siehe Filmarchiv) vier angehende Schauspieler sieben Jahre lang begleitete, und dafür einhelliges Lob einheimste, schrieb nach monatelangen Gesprächen mit den Tätern und deren Familien sowie mit den Freunden des Opfers zusammen mit Gesine Schmidt das Theaterstück „Der Kick“. Der Titel spielt auf die barbarische Art an, wie sie nach dem Vorbild des Bordsteinkicks aus dem Film „American History X“ den Jugendlichen regelrecht hinrichteten.

Aus dem bei diesen Gesprächen und Interviews zusammengestellten sowie den Vernehmungsprotokollen und den Gerichtsakten entnommenen Textmaterial entwickelte Andres Veiel in „Der Kick“ eine Art Bühnen-Protokoll für zwei Schauspieler. Das Theaterstück wurde im Berliner Gewerbehof uraufgeführt. Und auf eben dieser Bühne hat Andres Veiel eine gefilmte Version erstellt, die nun im regulären Kinoprogramm anläuft. Wie schon im Theaterstück spielen auch in der Filmadaption zwei Schauspieler in schwarzen Kostümen – Susanne-Marie Wrage und Markus Lerch – alle Figuren, vom Staatsanwalt bis zu den Tätern, die heute im Gefängnis sitzen. Eine bewundernswerte schauspielerische Leistung.

Das überaus karge Bühnenbild besteht lediglich aus einer Bank und einem Container, der hin und wieder hell erleuchtet wird, wenn er abwechselnd zur Verhörzelle oder zum Gerichtssaal werden soll. Also lediglich gefilmtes Theater? Dazu führt Regisseur Veiel aus: „Ich habe bei den Proben für das Stück manchmal gemerkt, dass ich sehr nah an die Schauspieler herangegangen bin, quasi in Naheinstellungen gedacht habe. Das funktioniert für die Bühne nicht. Man muss im Theater immer einen großen Raum bespielen, also in Totalen denken. In diesem Moment war für mich klar, dass ich mit dem Stoff auch einen Film machen will“. Und die Kamerabewegungen sowie die Ausleuchtung als Gestaltungselement – der Film ist von Licht-Schatten-Spielen geprägt – geben ihm Recht: Als Dokumentarfilmer nutzt er die Möglichkeiten des Mediums Film voll aus.

Inhaltlich gehr es Veiel ebenfalls darum, sich die Möglichkeiten des Kinos für eine vertiefte Sicht auf die Täter zu Nutze zu machen. Veiel: „Während des Prozesses wurden die Täter auf kalte, unberührbare Monster reduziert, rechtsradikale Täter ohne Reue, ohne Reflexion. Das ganze Dorf stand unter dem Generalverdacht, die Tat zu decken. In den Medien und aus der Politik wurden formelhaft die üblichen Klischees als Ursache der Gewalt zitiert: Perspektivlosigkeit, Alkoholismus, Arbeitslosigkeit. Schon beim zweiten Blick auf den Fall wird deutlich, dass diese schnellen Zuweisungen nicht weiterhelfen. In den meisten Fällen wurden die Täter in einen Monsterkäfig gesperrt. Ich wollte sie da von Anfang an herausholen. Wir müssen uns die Täter als Menschen vorstellen. Wir geben ihnen eine Biografie. Das ist die eigentliche Provokation.“

Nach der Rekonstruktion der Hintergründe dieser abscheulichen Tat, die Andreas Veiel vornimmt, liest sie sich auch etwas anders: Was zunächst als Mord im Neonazimilieu interpretiert wurde, stellt sich als Einschlagen der Stärkeren auf den Schwachen heraus. Dadurch erhalten nicht nur die Täter menschliche Züge. Auf diese Weise gewinnt die Tat hinter den Klischees des rechtsradikalen Milieus gewisse Nuancen. Für die vielschichtige Handlung spielen neben Fremdenfeindlichkeit etwa auch die Verunsicherung nach der Wende, eine sehr hohe Arbeitslosigkeit sowie die Hilflosigkeit der Eltern eine wichtige Rolle.
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