MAN MUSS MICH NICHT LIEBEN | Je ne suis pas là pour être aimé
Filmische Qualität:   
Regie: Stéphane Brizé
Darsteller: Patrick Chesnais, Anne Consigny, Georges Wilson, Cyril Coupon, Lionel Abelanski, Geneviève Mnich
Land, Jahr: Frankreich 2005
Laufzeit: 93 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --
Auf DVD: 9/2007


JOSÉ GARCÍA
Foto: Kool Film

Im Kino wird der Tanz gerne als Metapher für eine Bewegung eingesetzt, die ein eingerostetes Leben zum Schwingen bringt. So geschehen zuletzt etwa in „Darf ich bitten? (Shall we dance?“, Peter Chelsom 2004, siehe Filmarchiv), in dem ein von Richard Gere verkörperter Rechtsanwalt im Tanz eine Antwort auf verborgene Sehnsüchte erhält.

In Stéphane Brizés Spielfilmdebüt „Man muss mich nicht lieben“ („Je ne suis pas là pour être aimé“), der beim Filmfestival San Sebastian 2005 als „Arthouse-Entdeckung der Saison“ ausgezeichnet wurde und nun im deutschen Kino startet, ist die Bewegung, die einer trägen Existenz neues Leben einhaucht, jedoch zunächst einmal wörtlich gemeint: Der Arzt rät dem fünfzigjährigen Gerichtsvollzieher Jean-Claude (Patrick Chesnais) etwas sportliche Betätigung. Daraufhin meldet sich Jean-Claude für einen Tangokurs in der Tanzschule gegenüber seinem Büro an.

Dass er diesen Schritt lediglich aus gesundheitlichen Gründen und nicht etwa, wie der Rechtsanwalt in „Darf ich bitten?“, aus irgendeinem inneren Beweggrund tut, legt Regisseur Brizé in einer meisterhaften Exposition dar: Jean-Claude ist geschieden. Er erledigt mit gleichgültiger Routine seinen Job als Gerichtsvollzieher, verbringt die Sonntage bei seinem Vater im Altersheim. Dass die Menschen, denen er die nicht gerade fröhliche Kunde einer bevorstehenden Wohnungspfändung bringt, ihn nicht lieben, versteht sich von selbst, zumal der pflichtbewusste Gerichtsvollzieher doch nur ein Achselzucken und eine „Das ist nicht mein Problem“-Antwort für sie übrig hat.

Bei seinem greisen Vater, der ihn andauernd mit Vorwürfen überhäuft und sich der Pokale, die Jean-Claude in seiner Jugend als Tennisspieler gewann, anscheinend entledigt hat, ohne sich um die Meinung des Sohnes zu scheren, findet er ebenso wenig Zuneigung. Aber auch zu seinem eigenen Sohn, den er gerade zum Juniorpartner erhoben hat, hält Jean-Claude eine höfliche Distanz. Das Wort Liebe kommt im Leben des Fünfzigjährigen nicht mehr vor.

Aus dieser Gefühlskälte erwacht Jean-Claude allerdings, als er beim Tangokurs in der Tanzschule die bezaubernde Françoise (Anne Consigny) kennen lernt, die sich vor einem routinierten Charmeur an seine Seite flüchtet. Zwischen der jungen Frau, die sich von ihrem Verlobten vernachlässigt fühlt, und dem älteren Mann entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte.

Aber „Man muss mich nicht lieben“ ist nicht nur ein Liebesfilm, sondern auch ein Film über das Älterwerden. Diese Perspektive, die Jean-Claude bei seinen Besuchen bei seinem herrischen Vater jeden Sonntag erneut vor Augen geführt wird, erhält eine zweite Brechung in Jean-Claudes Beziehung zu seinem eigenen Sohn, dessen berufliche Zukunft er bestimmten möchte, obwohl der junge Mann ganz offensichtlich andere Vorlieben hat.

Wie so oft in französischen Filmen liegt der Hauptakzent von „Man muss mich nicht lieben“ indes nicht auf der größtenteils vorhersehbaren Handlung, sondern auf der Charakterentwicklung und auf der Inszenierung.

Die Protagonisten drücken die zwei unterschiedlichen Charaktere durch eine entgegengesetzte Mimik aus: Scheint das minimalistische Spiel von Patrick Chesnais in Anlehnung an Bill Murray in „Lost in Translation“ (2003) oder „Broken Flowers“ (siehe Filmarchiv) in seinem Gesicht regelrecht die Leere in seinem Leben widerzuspiegeln, so erlaubt Anne Consignys Gesichtsausdruck, darin jede Gefühlserregung abzulesen.

Regisseur Stéphane Brizé inszeniert „Man muss mich nicht lieben“ in langen, ruhigen Einstellungen und mit einem niemals vordergründigen, eher subtilen und intelligenten Humor. Der melancholisch-warmherzige Blick auf seine Figuren, der dem Zuschauer die Protagonisten ans Herz wachsen lässt, erinnert an die Tonart in den Werken des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki.

Wie in den Spielfilmen des finnischen Regiemeisters spielt in „Man muss mich nicht lieben“ die Musik eine zentrale Rolle, ohne sich jedoch in den Vordergrund zu drängen. Für die Filmmusik zeichnen Christoph Müller und Eduardo Makaroff verantwortlich, zwei Mitglieder des „Gotan Project“, einer für die Kombination des Tango mit elektronischen Klängen bekannten Musikband, die insbesondere die Tanzszenen kongenial untermalen.
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