HERR DER DIEBE | The Thief Lord
Filmische Qualität:   
Regie: Richard Claus
Darsteller: Aaron Johnson, Jasper Harris, Rollo Weeks, Alice Connor, George MacKay, Lathaniel Dyer, Vanessa Redgrave
Land, Jahr: Deutschland 2005
Laufzeit: 98 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ab 6 Jahren
Einschränkungen: --
Auf DVD: 10/2006


JOSÉ GARCÍA
Foto: Warner Bros.

Die deutsche Schriftstellerin Cornelia Funke gilt inzwischen als die erfolgreichste deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin der Gegenwart. Von ihren mehr als 40 Jugend- und Kinderbüchern unterschiedlichster Art wurden bislang mehr als 4,5 Millionen Exemplare verkauft. Parallel zum Erscheinen der zwei ersten Bücher ihrer Trilogie „Tintenherz“ und „Tintenblut“ entdeckte auch das Kino Funkes Beststeller. Wird zurzeit „Tintenherz“ in Hollywood für die große Leinwand adaptiert, so kommen die ersten Spielfilme nach den Buchvorlagen der deutschen Autorin als deutsche Produktionen ins Kino.

Wurde „Die wilden Hühner“ mit deutscher Besetzung auf deutsch gedreht (Kinostart: 9. Februar), so ist die erste im Kino anlaufende Verfilmung eines Jugendbuchs Cornelia Funkes „Herr der Diebe“ („The Thief Lord“) allerdings mit englischsprachigen Schauspielern an Originalschauplätzen in Venedig gedreht worden.

Der „Herr der Diebe“ ist der geheimnisvolle, 15-jährige Anführer einer Kinderbande in Venedig, der sich Scipio (Rollo Weeks) nennt, und der in Robin Hood-Manier die Reichen bestiehlt, um für seine Schützlinge zu sorgen. Auf ihn treffen die Waisenkinder-Brüder Bo (Jasper Harris) und Prosper (Aaron Johnson), als sie von zu Hause ausreißen, weil Tante Esther und Onkel Max Hartlieb beschlossen haben, nur Bo zu adoptieren und dessen älteren Bruder in ein Heim abzuschieben.

Scipios Kinderbande – die gutmütige Wespe (Alice Connor), der verrückte Riccio (George MacKay) und der ehrgeizige Träumer Mosca (Lathaniel Dyer) – hausen in einem verlassenen Kino mitten in Venedig. Ihren Lebensunterhalt bestreiten sie durch den Verkauf ihrer Diebesbeute an den Hehler Barbarossa (Alexei Sayle).

Von einem mysteriösen älteren Herrn erhält die Kinderbande den Auftrag, den verschollenen Löwenflügel eines uralten Karussells, das seine Passagiere älter oder jünger machen kann, zu beschaffen. Die Kinder werden jedoch nicht nur von Barbarossa verfolgt, der von diesem Auftrag Wind bekommen hat, sondern darüber hinaus auch vom Privatdetektiv Victor (Jim Carter), den die Hartliebs auf die Suche der Kinder angesetzt haben.

Obwohl sich die Inszenierung, die Kameraführung und die Filmmusik zu sehr an aktuelle Kinder- und Jugendbuchverfilmungen – von „Harry Potter“ bis „Der König von Narnia“ – anlehnen, was dem Film nicht immer gut tut, ist seiner Dramaturgie die literarische Vorlage stets anzumerken: Bei der Einführung der Figuren sowie der Entwicklung der Geschichte behält Regisseur Richard Claus einen gleichmäßigen Rhythmus bei. Der Film überzeichnet genretypisch die Erwachsenenfiguren, vor allem Tante Esther und Onkel Max Hartlieb sowie den Hehler Barbarossa, was immer wieder für lustige Augenblicke sorgt. Besonders nuanciert zeichnet „Herr der Diebe“ den vertrottelten, aber liebenswerten Privatdetektiv Victor, der sich vom Handlanger der Hartliebs zu einem väterlichen Freund der Kinderbande entwickelt.

Bei dem allzu schnellen Tempo, das von der bombastischen Musik zusätzlich immer wieder auf die Spitze getrieben wird, bleibt für die Entwicklung der Kinderfiguren indes wenig Raum. So wirkt etwa die eigentlich hochdramatische Szene, als Scipios „Schützlinge“ entdecken, dass „der Herr der Diebe“ in Wirklichkeit ein Sohn aus reicher Familie ist, der ein Doppelleben führt, auf der Leinwand völlig unglaubwürdig. Von der zerrissenen Existenz einer „Zorro“- oder „Batman“-Gestalt spürt der Zuschauer nichts. Obwohl das Mädchen Wespe und der Träumer Mosca immerhin natürlicher auftreten, wirken die Kinderdarsteller insgesamt stets eine Spur zu schnieke, wie aus dem Ei gepellt.

Obwohl hinter der Inszenierung die geniale Buchvorlage immer wieder durchscheint, hinterlässt die Verfilmung freilich den Eindruck, dass Regisseur Richard Claus das in Cornelia Funkes Roman liegende Potenzial viel zu wenig genutzt hat.
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