MATCH POINT | Match Point
Filmische Qualität:   
Regie: Woody Allen
Darsteller: Scarlett Johansson, Jonathan Rhys-Meyers, Emily Mortimer, Brian Cox, Matthew Goode, Penelope Wilton, Alexander Armstrong, Simon Kunz, Geoffrey Streatfeild
Land, Jahr: USA / Großbritannien 2005
Laufzeit: 123 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X
Auf DVD: 9/2006


JOSÉ GARCÍA
Foto: Prokino

„Die existentiellen Themen sind die einzigen, für die es sich zu arbeiten lohnt. Immer wenn man sich mit anderen auseinander setzt, unterfordert man sich eigentlich“, schrieb Woody Allen Ende der achtziger Jahre. In der Tat hatte der wohl bekannteste New Yorker Filmregisseur insbesondere in seinen Filmwerken aus diesem Jahrzehnt allgemein menschliche, tief gehende Fragen angesprochen. So behandelte etwa „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ („Crimes and Misdemeanors“, 1989) Gewissenskonflikte aus einer vergessen geglaubten Religiosität heraus und geißelte die Verdrängung der Schuld.

Das Filmschaffen Woody Allens erfuhr eine deutliche Zäsur nach seiner privaten und beruflichen Trennung von Mia Farrow im Jahre 1992, die ein Jahrzehnt lang seine „Muse“ gewesen war. Seitdem hielt er zwar weiterhin an seinem „Projekt“ fest, jedes Jahr einen neuen Spielfilm zu drehen, die filmische Qualität dieser Filmwerke ließ jedoch merklich nach. Auch die dort behandelten Fragen waren keineswegs mehr die „existentiellen Themen“, die er früher anstrebte.

Für seinen aktuellen Spielfilm „Match Point“, der beim Filmfestival Cannes uraufgeführt wurde, kehrte Woody Allen New York den Rücken, wo er bisher so gut wie ausschließlich Filme gedreht hatte. „Match Point“ entstand in London, wo er inzwischen auch den nächsten Spielfilm zu drehen angefangen hat.

„Match Point“ handelt von dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Tennislehrer Chris Wilton (Jonathan Rhys-Meyers), der in einem noblen Londoner Sportclub einen jungen Mann der High Society, Tom Hewett (Matthew Goode), kennen lernt. Da die beiden etwa gleichaltrigen Männer die Liebe zur Oper verbindet, wird Chris bald ein häufiger Gast der Hewetts, zumal sich Toms Schwester Chloe (Emily Mortimer) von Anfang an für Chris zu interessieren scheint. Bald hat der ehemalige erfolglose Tennisprofi den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft, weil Hewett sen. (Brian Cox) ihm einen angesehenen Posten in seiner Firma anbietet. Doch Chris ist zwischen der gutbürgerlichen Existenz, das ihm Chloe und ihre Familie versprechen, und der aufkeimenden Leidenschaft für Toms Verlobte, die Möchtegern-Schauspielerin Nola Rice (Scarlett Johansson), hin und her gerissen.

Obwohl London, englische Landhäuser mit ihrem gepflegten Rasen und sonstige typisch englische Dekors ins Bild gesetzt werden, die „Match Point“ einen sehr britischen Anstrich geben, obwohl italienische Opernmusik statt Jazz den Soundtrack bestimmt und zugleich den Inhalt kommentiert, könnte „Match Point“ genauso gut in Allens gewohnter Umgebung in Manhattan spielen. Nicht nur deshalb, weil etwa die Straße, in der Nola Rice lebt, den Straßen aufs Haar gleicht, die der Zuschauer aus etlichen Woody Allen-Filmen kennt.

Darüber hinaus entstammen die Figuren aus „Match Point“ aller britischer Umgebung zum Trotz Allens Universum: Chloe reiht sich in die früher von Mia Farrow gespielten Rollen ein, und Nola könnte eine Neuauflage der Holly aus „Hannah und ihre Schwestern“ (1986) oder auch der Dolores aus „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ sein. Mit letzterem und seinen Anklängen an Dostojewskis „Schuld und Sühne“ – das in „Match Point“ durch das Buch, das Chris liest, ausdrücklich zitiert wird – verbinden den neuen Allen-Film gar viele Gemeinsamkeiten.

Trotz dieser Übereinstimmungen, die so weit gehen, dass „Match Point“ streckenweise als ein „Remake“ von „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ gelten könnte, besteht zwischen beiden Filmen ein fundamentaler Unterschied: Im früheren Film von 1989 erlebte der Zuschauer die Gewissensbisse des Protagonisten nach einem Kapitalverbrechen. Als er sie verdrängt hatte, und in sein gewohntes Leben zurückgekehrt war, hieß es: „Dann haben sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet“.

In „Match Point“ bleiben indes dem von seinen Leidenschaften getriebenen Verbrecher solche Gewissenskonflikte offenbar erspart: Wenn der Protagonist dann den Ausgang seiner Tat als „Glück“ bezeichnet, erinnert er zudem an diejenigen, von denen der damalige Kardinal Ratzinger in einem Vortrag aus dem Jahre 1992 sprach: „Das Leben scheint die Zyniker zu belohnen, die Hochmütigen, die sagen: Gott nimmt von dem Treiben auf Erden keine Kenntnis: Er reagiert nicht.“ In Anlehnung an seinen früheren Film hätte Woody Allen „Match Point“ genauso gut „Verbrechen und andere Leidenschaften“ nennen können.
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