ZWEITE LEBEN DES MONSIEUR MANESQUIER, DAS | L'homme du train
Filmische Qualität:   
Regie: Patrice Leconte
Darsteller: Jean Rochefort, Johnny Hallyday, Jean-François Stevenin, Charlie Nelson, Pascal Parmentier
Land, Jahr: Frankreich / Deutschland / Großbritannien / Schweiz 2002
Laufzeit: 90 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --


JOSÉ GARCÍA
Foto: Alamode Film

In der wunderbaren Komödie „Lust auf Anderes“ (Le goût des autres, Frankreich 2000) zeigte die französische Regisseurin Agnès Jaoui das Aufeinanderprallen zweier Welten, als sich in einer französischen Provinzstadt ein Unternehmer in eine Schauspielerin verliebte. Der Zuschauer erlebt die Emanzipation eines Mannes aus den Zwängen seines traditionellen Lebens, aber auch den Dünkel einer Künstlerwelt, die sich für souverän hält, jedoch eigentlich vom „Geschmack der anderen“ völlig abhängig ist. Die große Wirkung dieses Psychograms resultierte aus den liebevoll gezeichneten, in keinster Weise zu einer Karikatur verkommenen Figuren sowie aus den mit zurückhaltendem Humor gespickten Dialogen.

Nun startet mit dreijähriger Verspätung ein weiterer französischer Film im deutschen Kino, der beim Internationalen Filmfestival Venedig 2002 mit dem Publikumspreis ausgezeichnete „Das zweite Leben des Monsieur Manesquier“ („L’homme du train“), der die Ausgangssituation der Komödie „Lust auf Anderes“ weiterführt: Einmal im Leben jemand anderes sein, könnte das Motto des zwanzigsten Spielfilms von Patrice Leconte lauten.

„Das zweite Leben des Monsieur Manesquier“ lässt zwei Männer aufeinandertreffen, die gegensätzlicher nicht sein könnten: An einem verschlafenen Bahnhof in der französischen Provinz steigt ein mysteriöser Fremder als einziger Reisender aus dem Zug. Der nicht mehr ganz junge Milan (Johnny Hallyday) begegnet zufällig Monsieur Manesquier (Jean Rochefort), einem pensionierten Lehrer, in der örtlichen Apotheke. Weil das Hotel gerade geschlossen hat, lädt der höfliche Manesquier Milan in sein Haus für einige Tage ein – genau genommen für drei Tage, denn am nächsten Samstag muss sich der ehemalige Französischlehrer einer Herzoperation unterziehen, die zwischen Leben und Tod entscheiden soll. Für Milan geht es um kaum etwas Geringeres, hat er doch vor, an diesem Tag eine Bank zu überfallen.

Auf der ersten Ebene nimmt sich „L’homme du train“ als moderner Western aus: Von der Inszenierung, wie der Fremde aus dem Zug steigt, über das Motiv des Banküberfalls bis zu den „Wyatt Earp“-Foto und der Gitarrenmusik Ry Cooders... all diese Elemente sind deutliche Anleihen aus diesem klassischen Genre. Statt aber zu einem Duell unter der Sonne kommt es in Lecontes Film zu Wortduellen im biederen Umfeld des Manesquier-Hauses. Es handelt sich um geistreiche-tiefgründige Dialoge, die wegen der Wortspiele erst in der Originalfassung ihre Wirkung voll entfalten (etwa: wenn man älter werde, sei „le temps qu'il fait“ wichtiger als „le temps qui passe“).

Durch die häufiger werdenden Gespräche kommen sich die beiden Männer näher, deren Verschiedenheit sich in der je zugeordneten Farbgebung oder auch in der unterschiedlichen Musik ausdrückt: das bereits erwähnte Gitarrenspiel Ry Cooders wird mit Milan, Klaviermusik mit Manesquier in Verbindung gebracht. Milan und Manesquier beobachten sich. Irgendwann einmal fangen sie an, sich das Leben des anderen vorzustellen. Durch feinsinnig inszenierte Szenen setzt Leconte diese Sehnsucht ins Bild, etwa durch die Bitte Milans, ihm eben solche Hauspantoffeln zu leihen, wie Manesquier sie trägt, oder durch den modernen Haarschnitt, den sich der pensionierte Lehrer entgegen seiner Gewohnheit zulegt.

In demselben Rhythmus, wie zwischen den beiden Männern eine Art Freundschaft entsteht, wird dem Zuschauer klar, dass jeder sich wünscht, er hätte das Leben des anderen führen können: Der Lehrer, der davon träumt, in seinem Leben mehr Risiko und Abenteuer erlebt zu haben, der Ganove, der sich nach Häuslichkeit und Heimat sehnt. Das konzentrierte Spiel der beiden Schauspieler Jean Rochefort und Johnny Hallyday verleiht dem Film eine besondere Eindrücklichkeit.

Spielte Agnès Jaouis „Lust auf Anderes“ auf der Ebene einer Satire, so stellt „L’homme du train“ eine beinahe philosophische Betrachtung dar, die niemals ins Sentimental-Kitschige abdriftet, über verborgene Sehnsüchte und über das Älterwerden und die Freundschaft. Das in ein irreales Licht getauchte Ende lässt zwar viele Frage offen, aber es sind Fragen, die den Zuschauer zum Nachdenken anregen.
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