FLIEGENDE KLASSENZIMMER, DAS |
Filmische Qualität:   
Regie: Tomy Wigand
Darsteller: Hauke Diekamp, Ulrich Noethen, Sebastian Koch, Piet Klocke, Anja Kling, Thresa Vilsmaier, Frederick Lau
Land, Jahr: Deutschland 2002
Laufzeit: 110 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ohne Altersbeschränkung
Einschränkungen: -


JOSÉ GARCÍA


Erich Kästners Kinderromane gehören zu den meist verfilmten Werken deutscher Jugendliteratur – teilweise unter Mitwirkung des Autors selbst: Die erste Kinofassung von „Emil und die Detektive“ aus dem Jahre 1931 nennt als Drehbuchautor neben Billy Wilder Erich Kästner. Für die erste Verfilmung von „Das fliegende Klassenzimmer“ (1954) schrieb wiederum Kästner seinen eigenen Roman zum Drehbuch um.

Zum hundertsten Geburtstag Erich Kästners (1899 - 1974) beauftragten die Produzenten Uschi Reich und Peter Zenk Caroline Link, die mit „Jenseits der Stille“ (1996) ein fulminantes Spielfilmdebüt geliefert hatte, mit einer Neuverfilmung von Kästners „Pünktchen und Anton“. Der Regisseurin gelang eine spritzig-amüsante, pfiffig gespielte Adaption, ohne auf die Werte der Vorlage – Freundschaft, Loyalität, Gerechtigkeitssinn – zu verzichten. Ein Jahr später verfilmte Franziska Buch „Emil und die Detektive“: Zwar litt ihr Film unter gewissen Zugeständnissen an den Zeitgeist – eine multikulturell zusammengesetzte Kinderbande fährt Skateboard durch Berlin – und einer wohlmeinenden Überfrachtung. Der Verfilmung tat allerdings gut, dass die mitwirkenden Erwachsenen spürbar großen Spaß an der Arbeit hatten, so dass die inzwischen sechste Filmadaption von Kästners erstem Kinderroman spannend und unterhaltsam blieb.

Nach den Regisseurinnen Link und Buch übertrugen Reich und Zenk einem Mann die Regie bei einer Kästner-Adaption: Für Tomy Wigand ist die nun vorgelegte dritte Filmadaption von „Das fliegende Klassenzimmer“ nach der Schalke-04-Komödie „Fußball ist unser Leben“ (2000) erst sein zweiter Spielfilm. Natürlich erfährt die Handlung eine „Modernisierung“: Wie in Buchs „Emil und die Detektive“ tritt ein Mädchen – hier die burschikos-bezaubernde Mona Egerland – als Bandenanführerin auf. Auch die Musik wurde gründlich aktualisiert: statt Lyrik begleitet Rap das Theaterstück, das die Kinder für die Weihnachtsfeier proben. Wigand konzentriert sich dennoch auf das Wesentliche der Kästnerschen Geschichte: auf Menschlichkeit und vor allem Freundschaft.

Durch die Verlagerung der Handlung ins heutige Leipzig stellt der Thomanerchor samt Internat einen geeigneten Rahmen für eine moderne Version des Kästnerschen Stoffes dar. Der Thomanerchor bietet auch die Gelegenheit für eine wunderbare Szene, als ein Auftritt der Sängerknaben und eine Schneeballschlacht parallel geschnitten werden – eine zauberhafte Einlage, die an die märchenhafte Szene von „Pünktchen und Anton“ erinnert, bei der Pünktchen im U-Bahn-Tunnel unter Mitwirkung von Punks und Obdachlosen fetzige Songs singt.

Die Ansiedlung des Filmes in Leipzig soll auch ein wesentliches Element im Roman erklären: warum sich Chorleiter Dr. Johann „Justus“ Bökh und sein alter Schulfreund „Nichtraucher“ aus den Augen verloren haben. „Wisst ihr, da gab es mal eine Mauer“, erzählt Lieblingslehrer Justus den Jungen. Sein Freund habe damals die DDR verlassen und sei aus verschiedenen Gründen nicht mehr zurückgekommen. Sehr glaubwürdig klingt dieser Erklärungsversuch allerdings nicht – schließlich steht seit dreizehn Jahren diese Mauer nicht mehr –, was einer der wenigen Schwachpunkte der Wigand-Version bleibt. Darin war die „klassische“ Fassung stimmiger, wurde doch der tragische Tod seiner Frau als Begründung angeführt, warum der „Nichtraucher“ den Arztberuf aufgab und wegzog. Zu den dramatischen Momenten der Verfilmung von 1973 – mit Joachim Fuchsberger als „Justus“ und Heinz Reincke als „Nichtraucher“ – gehörte der Entschluss des „Nichtrauchers“, den schmächtigen Uli nach dessen gefährlicher Mutprobe ärztlich zu versorgen und dadurch zu seinem Beruf zurückzukehren.

Insgesamt gelingt es jedoch Tomy Wigand zwischen klassischem Stoff und zeitgemäßem Film, zwischen humorvollen und ernsten Augenblicken – etwa im Gespräch über die Scheidung der Eltern, die einen Jungen aus der Bahn wirft – die Balance zu halten. Dazu trägt wesentlich die hervorragende Darstellerriege bei: Nach „Das Sams“ und „Bibi Blocksberg“ scheint Ulrich Noethen auf den Kinderfilm abonniert zu sein; hier liefert er eine grandiose Darstellung des warmherzigen Dr. Bökh, während der Komiker Piet Klocke als skurriler Direktor Kreuzkamm glänzt. Aber auch die Kinder, ob sie nun bereits Schauspielerfahrung hatten – wie Theresa Vilsmaier als Mona und Frederick Lau als der stets hungrige Matz – oder zum ersten Mal vor der Kamera agierten, überzeugen in den von der Romanvorlage deutlich gezeichneten, vorgegebenen Charakteren.

Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren