MANDERLAY | Manderlay
Filmische Qualität:   
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Bryce Dallas Howard, Isaach De Bankolé, Danny Glover, Willem Dafoe, Lauren Bacall, Michaël Abiteboul, Jean-Marc Barr, Virgile Bramly, Ruben Brinkmann, Udo Kier
Land, Jahr: Dänemark 2005
Laufzeit: 139 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: U, D, S, X +


JOSÉ GARCÍA
Foto: Legend Filmverleih

Vor zwei Jahren zeigte der eigenwillige dänische Regisseur Lars von Trier auf dem Filmfestival von Cannes den ersten Teil seiner bewusst als „Provokation“ und „zynische Anklage“ angelegten Amerika-Trilogie „Dogville“, der im Herbst 2003 im deutschen Kino startete (siehe Filmarchiv). Zwei Jahre später setzt der 49-jährige Filmemacher ebenfalls in Cannes seine laut Filmverleih „streitbare Auseinandersetzung mit amerikanischen Mythen und den sich daraus ergebenen verzerrten Selbstbildern“ fort. Das Mittelstück der Trilogie mit dem Titel „Manderley“ läuft am 10. November im deutschen Kino an.

Auf dem Weg von „Dogville“, wo Grace ihren Vater das Bergdorf, das sie ausgenutzt hatte, zerstören ließ, stoßen sie, ihr Vater und dessen Gangsterbande auf die Baumwollplantage „Manderlay“ im Bundesstaat Alabama. Dort wird, siebzig Jahre nach deren offizieller Abschaffung, die Sklaverei noch immer praktiziert.

Grace glaubt fest daran, dass es ihre Pflicht sei, die Ungerechtigkeiten ihrer Rasse gegenüber den Sklaven wieder gut zu machen: „Wir brachten sie her, wir missbrauchten sie und machten sie zu dem, was sie sind“. Deshalb entschließt sie sich, auf „Manderlay“ bis zur nächsten Ernte zu bleiben, die schwarzen Sklaven von der weißen Gutsherrenfamilie zu befreien, und sie Demokratie und Freiheit zu lehren.

Wie bereits „Dogville“ inszeniert Lars von Trier „Manderlay“ theaterhaft, in einer Halle. Spärliche Requisiten, etwa ein Eisenzaun, ein antikisierender Torbogen und eine Treppe, sonst aber lediglich Markierungen auf dem Boden und ausschließlich künstliches Licht unterstützen den Verfremdungseffekt, der die Nähe zum Theater Bertolt Brechts andeutet. Eine elliptische Kameraführung, die von einer Einstellung zur nächsten förmlich springt, die wackelige Handkamera sowie weiße Leinwände und stimmungsvolle Orgelmusik zwischen den einzelnen Kapiteln gehören ebenfalls zum eigenwilligen Inszenierungsstil des dänischen Regisseurs. Wie „Dogville“ endet „Manderlay“ mit David Bowies’ „Young Americans“ und Standbildern aus der wenig schmeichelhaften Geschichte der Vereinigten Staaten: die Leiche Martin Luther Kings, Opfer von Lynchjustiz, Demonstranten, Drogenopfer und arme Kinder sind auf der Leinwand in Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen.

Obwohl „Manderlay“ mit einer Spieldauer von 139 Minuten rund vierzig Minuten kürzer als „Dogville“ (178 Minuten) ausfällt, wirkt der neue Film viel länger als der erste. Am blassen Spiel von Bryce Dallas Howard, die den Part der Grace übernommen hat, nachdem die ursprünglich für die gesamte Trilogie verpflichtete Nicole Kidman absagte, kann es allein nicht liegen. Schuld daran ist vielmehr das vorsehbare Drehbuch mit den vielen Leerstellen und – wie bei einer unendlich langen Sexszene – in die Länge gezogenen Situationen. Darüber hinaus ermüdet die in „Dogville“ wenigstens originell und eigenwillig anmutende Inszenierung in dieser Neuauflage völlig.

Nach Aussagen Lars von Triers gibt es in den Bemühungen Graces, die Menschen von Manderlay Demokratie zu lehren, „eine Menge Parallelen zur Gegenwart“ („Ich sehe Herrn Bush, der die ganze Welt mit amerikanischen Werten beglücken will“). Die „zynische Anklage“ des dänischen Regisseurs gegen die Vereinigten Staaten gipfelt in der rhetorischen Frage eines ehemaligen Sklaven: „Wie dumm sind wir, denken Sie, Miss Grace? Zu dumm, um eine Leiter zu bauen, wenn wir wirklich hier raus wollten? Du meine Güte … Glaubten Sie wirklich, dass wir selbst nach siebzig Jahren nicht in der Lage wären, uns zu befreien? Das hätten wir getan, wenn wir irgendeinen Sinn darin gesehen hätten.“

Berührt das „moralische Dilemma“ Graces kaum die universalen Fragen, die „Dogville“ aufzuwerfen vermochte, so ist jedoch wieder einmal festzustellen, wie Lars von Trier eine Parabel mit christlichen Elementen ausstattet, in „Manderlay“ etwa mit dem Gerechtigkeitsdrang der jungen Grace. Lars von Trier verkehrt diese Elemente freilich in ihr Gegenteil: Ließe sich die zentrale Aussage von „Dogville“ im Satz zusammenfassen, die Menschen seien der Gnade Gottes nicht würdig, so erlaubt „Manderlay“ eine ähnliche Leseart: Die Menschen selbst wollten Sklaven sein, man dürfe sie nicht zum Glück zwingen, weil sie unfähig seien, zum moralisch guten Leben zu finden.
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