HOLY LOLA | Holy Lola
Filmische Qualität:   
Regie: Bertrand Tavernier
Darsteller: Jacques Gamblin, Isabelle Carré, Bruno Putzulu, Maria Pitarresi, Philippe Said, Anne Loiret, Lara Guirao, Jean-Yves Roan, Laurence Lasheb
Land, Jahr: Frankreich 2004
Laufzeit: 128 Minuten
Genre: Familienfilme
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: S, X-


JOSÉ GARCÍA
Foto: Prokino

Es ist schon paradox: In Europa werden einerseits immer weniger Kinder geboren, andererseits gibt es offenbar immer mehr Ehepaare, die sich Kinder wünschen, aber keine bekommen können. Während etwa in Deutschland die Diskussion um die „anonyme Geburt“ weiter anhält, müssen sich adoptionswillige Paare ins Ausland, in die so genannte Dritte Welt begeben, um verhältnismäßig schnell ein Adoptionsverfahren durchzustehen. Hat Deutschland in Sachen Adoption beispielsweise mit Kolumbien gute Erfahrungen gemacht, so besteht in Frankreich wohl wegen der Kolonialvergangenheit offensichtlich ein gutes Verhältnis zu Kambodscha. Während das ZDF zurzeit einen Zweiteiler („Durch Himmel und Hölle“) zum Thema Adoption produziert, drehte in Frankreich Altmeister Bertrand Tavernier den halbdokumentarischen Kinofilm „Holy Lola“ dazu, der am 18. August in unseren Kinos startet.

Tavernier braucht keine lange Exposition: Einige Landschaftsaufnahmen, dann ein Anrufbeantworter. Das kinderlose Paar Pierre (Jacques Gamblin) und Geraldine (Isabelle Carré) ist bereits unterwegs, kurz vor Weihnachten wollen sie in Frankreich zurück sein. Es folgt ein Schnitt: Pierre und Geraldine sind gerade in Kambodscha gelandet, die ruhigen Bilder der französischen Provinz lassen dem hektischen Treiben in Phnom-Penh Platz. Mit filmischen Mitteln und nicht etwa durch lange Diskussionen teilt der Regisseur dem Zuschauer den Entschluss des Paares mit, ein Kind im Ausland zu adoptieren.

Am Flughafen wird das französische Paar abgeholt und ins Hotel gebracht, wo es bald die Bekanntschaft anderer Paare macht, die mehr oder weniger lange auf ein Adoptivkind warten. Denn selbstverständlich wird alles viel schwieriger, als es sich Pierre und Geraldine vorgestellt hatten: Die französische Botschaft zeigt sich nur bedingt kooperativ: eine Liste der infrage kommenden Waisenhäuser sowie den Ratschlag, „großzügig“ zu spenden werden ihnen gegeben. Mehr aber nicht. So sind sie bald auf sich und auf die Erfahrung der anderen adoptionswilligen Paare angewiesen, die teilweise seit Monaten einen Kampf im Dschungel der Bürokratie ausfechten.

Die an authentischen Drehorten mit der Handkamera aufgenommenen Bilder und Sequenzen vermitteln den Eindruck des Halbdokumentarischen, weil die Kamera stets nahe am Geschehen agiert. So hat Tavernier etwa in „Guest House Rega“ gedreht, wo viele französische Adoptions-Interessenten in Phnom-Penh tatsächlich wohnen, so besucht die Kamera die Waisenhäuser, wo die Adoptivkinder vermittelt werden. Der europäische Zuschauer kennt diese halbdokumentarische Ästhetik besonders aus iranischen oder auch aus israelisch/palästinensischen Filmen, die zwar den Anschein einer Dokumentation durchaus erwecken, sich jedoch eines fertigen Drehbuchs bedienen. Die Figuren, die in „Holy Lola“ das Ensemble bilden, und die unterschiedlichen Ausgangssituationen bei den Adoptions-Interessenten darstellen, sind denn auch aus dem Drehbuch heraus entwickelt. Dies gilt ebenso für die dramaturgische Entwicklung der Beziehung zwischen den Ehepartnern, die durch die vielen Schwierigkeiten auf die Probe gestellt, auch mal zu zerbrechen droht.

Durch diese Verknüpfung von halbdokumentarischen und fiktionalen Elementen erschließt das Kino dem Zuschauer fremde Welten. Auch in „Holy Lola“ erfährt der westliche Zuschauer einiges von den Lebensbedingungen in Kambodscha. Zur wahren Filmkunst wird jedoch ein Film erst, wenn er diese fremde Welt mit einer allgemein gültigen Geschichte verknüpft. Dies ist Regisseur Tavernier mit „Holy Lola“ weitgehend gelungen, obwohl einige Situationen, um die Handlung voranzutreiben, als zu sehr einer spannungsgeladenen Dramatik verpflichtet erscheinen, und auch der mitunter istische Blick auf die Hauptdarstellerin bei einer solch universell-menschlichen Geschichte stört.
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