MELINDA UND MELINDA | Melinda and Melinda
Filmische Qualität:   
Regie: Woody Allen
Darsteller: Radha Michell, Chiwetel Ejiofor, Will Ferrell, Jonny Lee Miller, Amanda Peet, Chloë Sevigny
Land, Jahr: USA 2004
Laufzeit: 99 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: D, X -


JOSÉ GARCÍA
Foto: Twentieth Century Fox

„Komödie ist Tragödie plus Zeit“, doziert der von Alan Alda gespielte erfolgreiche, oberflächliche Fernsehproduzent Lester in „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ („Crimes and Misdemeanors“, 1989), einem der tiefgründigsten Spielfilme Woody Allens. Die Kamera schwenkt auf den von Woody Allen selbst verkörperten Dokumentarfilmautor Cliff Stern um, der eine Dokumentation über seinen Schwager, den erfolgreichen, oberflächlichen Fernsehproduzenten, in dessen Auftrag dreht, und wie sehen: Verdruß. Nein, mit solch einfachen Formeln zeigt sich der tiefsinnige Filmautor Cliff überhaupt nicht einverstanden.

Dennoch: für Woody Allen liegen Komödie und Tragödie eigentlich nicht weit auseinander. Der New Yorker Filmemacher scheint sogar inzwischen derart pessimistisch geworden zu sein, dass er Komödie als eine Variante der Tragödie ansieht. In einem kürzlich erschienenen Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ erklärte er denn auch: „Es gibt nicht so etwas wie das Tragische und das Komische – alles ist tragisch. Die einen Menschen sehen das Leben als Tragödie und halten Tragödien aus, andere sehen das Leben so tragisch, dass sie darüber Witze machen.“

Diese These untermauert der Regie-Altmeister in „Melinda und Melinda“ mit einer Erzählung, die mit kleinen Veränderungen zweimal inszeniert wird. Je nach Perspektive ergibt die Geschichte Melindas eine Tragödie oder eine Komödie. Die Rahmenhandlung bildet eine Diskussion in einem New Yorker Restaurant, die an die Gespräche in Woody Allens „Broadway Danny Rose“ aus dem Jahre 1984 erinnert: Am Tisch sitzen zwei Frauen und zwei Männer, die sich über das Wesen von Komödie und Tragödie unterhalten. Einer der Männer dreht Fernsehkomödien, der andere schreibt Tragödien fürs Theater.

Letzterer illustriert seine Position mit der Handlung für eine Tragödie: die junge Melinda (Radha Mitchell) steht unvermittelt in der Wohnung ihrer Freundin Laurel (Chloë Sevigny), die mit ihrem Mann Lee (Jonny Lee Miller) ein Diner für Geschäftsfreunde gibt. Melinda hat ihren Mann und die Kinder wegen einer Liebesaffäre verlassen, die aber bald zu Ende ist. Nach der Scheidung und dem Verlust des Sorgerechts für ihre Kinder wird sie von ihren Freunden aufgepäppelt.

Der Komödien-Autor im Restaurant findet indes diese Ausgangssituation hervorragend für eine Komödie, und variiert sie wie folgt: Melinda (ebenfalls Radha Mitchell) wohnt neben dem Ehepaar Hobie (Will Ferrell) und Susan (Amanda Peet). Auch bei der zweiten Melinda ist die Ehe geschieden worden. In beiden Fällen soll Melinda mit einem Zahnarzt verkuppelt werden, in beiden Geschichten aber verliebt sich Melinda in einen Pianisten. Wie sich aber für einen Woody-Allen-Film gehört, gestalten sich die Beziehungen zwischen Männern und Frauen nicht einfach. In beiden Fällen schüttelt Melinda das emotionale Leben ihrer Umwelt gehörig durcheinander.

„Melinda und Melinda“ verschränkt beide Erzählungen durch Parallelmontage, die darüber hinaus immer wieder durch einen Rückgriff auf die Rahmenhandlung im Restaurant unterbrochen wird. Das Stilmittel der Parallelerzählung hatte zwar Woody Allen etwa im erwähnten „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ bereits eingesetzt. Dieser Film verknüpfte jedoch zwei eigenständige, parallel laufende Handlungen zu einem Film. Bei „Melinda und Melinda“ handelt es sich demgegenüber um eine einzige Handlung, die auf zweierlei Weisen erzählt wird, was durch die Besetzung der doppelten Hauptrolle mit derselben Schauspielerin unterstrichen wird.

Obwohl es „Melinda und Melinda“ nicht ganz gelingt, aus den zwei halben Handlungen einen einheitlichen Film zu machen, sind es vor allem der feinsinnige Humor, die gelungenen Dialoge und die Selbstbezüglichkeit der Welt Woody Allens, die den Film tragen.

Im Laufe der doppelten Erzählung gleichen sich beide Stränge immer mehr an. Denn zu jeder guten Komödie gehört auch eine Prise Tragik – und umgekehrt. Auch wenn in „Melinda und Melinda“ schlußendlich die humorvolle Komponente siegt, ist in diesem Film der Unterschied zwischen Tragödie und Komödie lediglich eine Frage der Perspektive.
Diese Seite ausdrucken | Seite an einen Freund mailen | Newsletter abonnieren