NOBODY KNOWS | Nobody Knows
Filmische Qualität:   
Regie: Hirokazu Kore-Eda
Darsteller: Yuya Yagira, Ayu Kitaura, Hiei Kimura, Momoko Shimizu, YOU
Land, Jahr: Japan 2004
Laufzeit: 141 Minuten
Genre: Familienfilme
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: ---


JOSÉ GARCÍA
Foto: rapide eye movies

Der Spielfilm über Kinder, der bewusst nicht als Kinderfilm inszeniert wird, sondern Erwachsene zum Nachdenken anregen soll, ist mit dem iranischen Kino einer Samira Makhmalbaf („Der Apfel“, „Schwarze Tafeln“, „Fünf Uhr am Nachmittag“), eines Bahman Ghobadi („Die Zeit der trunkenen Pferde“, ab Mai „Schildkröten können fliegen“) oder auch eines Madji Majidi („Kinder des Himmels“, „Die Farben des Paradieses“) eng verbunden. Nun startet im deutschen Kino ein japanischer Spielfilm mit demselben Sujet: der mit dem Preis für den Besten Hauptdarsteller beim Filmfestival Cannes 2004 sowie mit dem „Grossen Preis für den besten Film“ in Gent 2004 ausgezeichnete japanische Film „Nobody Knows“, in dessen Mittelpunkt vier auf sich allein gestellte Kinder in einer japanischen Großstadt stehen.

Eine junge Mutter zieht mit ihrem zwölfjährigen Sohn Akira in ein kleines Appartement. Ihr Mann sei auf Geschäftsreise, erzählt sie den Nachbarn. Dass dies nicht stimmt, erfährt der Zuschauer spätestens, als kurze Zeit später in der neu bezogenen Wohnung die sechsjährige Yuki und der achtjährige Shigeru aus zwei Koffern herauskommen. Als abends Akira die zehnjährige Kyoko vom Bahnhof abholt, ist die Familie vollzählig. Weil die vier Kinder von verschiedenen Männern abstammen und sich keiner von diesen um sie kümmert, sieht sich die Mutter gezwungen, deren Existenz zu verheimlichen.

Deshalb müssen sich die Kinder immer in der engen Wohnung aufhalten. Nicht einmal auf den Balkon dürfen sie, damit sie nicht gesehen werden. Lediglich Akira besitzt Straßenschuhe, denn er besorgt die Einkäufe. In die Schule darf allerdings auch er nicht – zu groß ist die Verantwortung für seine Halbgeschwister, zu sehr ist er mit dem Haushalt beschäftigt. Es ist Herbst und das Leben in der kleinen Wohnung scheint zu funktionieren. Als jedoch die Mutter einen neuen Mann kennenlernt, verschwindet sie; sie hinterlässt etwas Geld und eine Notiz, in der sie den 12-jährigen Akira beauftragt, auf seine jüngeren Geschwister aufzupassen. Zwar taucht die Mutter einmal wieder auf, aber lediglich, um ihre Wintersachen hastig zu packen. Von nun an sind die vier Kinder auf sich allein gestellt. Während die Jahreszeiten verstreichen, erlebt der Zuschauer den Überlebenskampf und die schleichende Verwahrlosung der Kinder – bis zum heißen Sommer ohne Strom und fließendes Wasser in der Wohnung.

Die Kamera richtet ihr aufmerksames Auge auf Details, auf Großaufnahmen etwa von Füßen und Händen, womit der klaustrophobische Eindruck verstärkt wird – etwa siebzig Prozent des Films entstanden im kleinen Appartement. Selten wagt sich die Kamera nach außen, um dann vor allem immer wieder den Gang Akiras aus der Wohnung zu den täglichen Besorgungen zu zeigen. Noch seltener sind Totalen, die einen Eindruck von der Großstadt vermitteln. Denn den Regisseur interessiert der Mikrokosmos, in dem die Kinder ihren Alltag zu meistern suchen. Mit schnellen Schnitten skizziert zu Beginn Hirokazu Kore-Eda einen solchen Tag, bei dem die Kinder den fehlenden geregelten Alltag durch liebevolles Miteinander ersetzen.

Regisseur Kore-Eda ist ein poetisch-meditativer Film gelungen, bei dem mit wenig Handlung die Gefühle der in Nahaufnahmen gezeigten Gesichter seiner Kinderdarsteller sichtbar werden. Mit einer wirkungsvollen, nie aufdringlichen Musik konzentriert sich „Nobody Knows“ auf die Stärken des Mediums Films, auf kraftvolle Bilder.

Die auf wahren Tatsachen beruhende Handlung von „Nobody Knows“ besitzt eine enorme gesellschaftspolitische Brisanz. Denn der Film zeigt eine Gesellschaft, in der die Erwachsenen in ihrem beinah krankhaften Streben nach persönlicher Befriedigung ihre eigenen Kinder vernachlässigen.

Und doch geht es Regisseur Kore-Eda vor allem darum, „die Entwicklung eines Jungen zu zeigen, der einen Prozess durchläuft. Er wird gezwungen, selbstständig zu werden und seinen Weg zu finden. Dies tut er, indem er sich von einem Jungen zu einem jungen Erwachsenen wandelt. Diese allgemeingültige Geschichte war auch das, was mich an dem Film gereizt hat.“ Mit dem zu Recht in Cannes ausgezeichneten Laiendarsteller Yuya Yagira ist ihm das hervorragend gelungen.
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