BROTHERS – ZWISCHEN BRÜDERN | Brødre
Filmische Qualität:   
Regie: Susanne Bier
Darsteller: Ulrich Thomsen, Nikolaj Lie Kaas, Connie Nielsen, Bent Mejding
Land, Jahr: Dänemark 2004
Laufzeit: 110 Minuten
Genre: Familienfilme
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: G, S -


JOSÉ GARCÍA
Foto: Solo Film

Im US-amerikanischen Film wirkte der Vietnamkrieg lange nach: Der Veteran, den die traumatischen Kriegserlebnisse in Vietnam zu einem „Rambo“ werden ließen, und sich deshalb in seinem früheren Leben nicht mehr zurechtfand, wurde zu einer festen Gestalt im Hollywood-Kino der siebziger und achtziger Jahre. Was europäische Soldaten im Blauhelmeneinsatz etwa im Kosovo, im Irak oder Afghanistan erlebt und wie sich diese Erlebnisse auf ihr Leben ausgewirkt haben, hat das Kino hingegen bislang noch nicht behandelt.

Susanne Biers beim Internationalen Filmfestival San Sebastian mit der Silbernen Muschel sowie mit dem Publikumspreis als „Bester internationaler Film“ beim Filmfestival in Sundance ausgezeichneter Spielfilm „Brothers – Zwischen Brüdern“ schließt nun diese Lücke.

Die Brüder, von denen Susanne Biers Spielfilm handelt, könnten kaum unterschiedlicher sein: Michael Lundberg (Ulrich Thomsen) ist Offizier bei der dänischen Armee, glücklich verheiratet mit der schönen Sarah (Connie Nielsen) und ein fürsorglicher Vater seiner zwei aufgeweckten Töchter. Michaels jüngerer Bruder Jannik (Nikolaj Lie Kaas) hat gerade eine Gefängnisstrafe wegen Banküberfalls hinter sich und versucht nach seiner Entlassung, seinen Platz im Leben zu finden.

Doch dann wird Michaels Einheit zu einem UN-Einsatz nach Afghanistan abkommandiert. Als sein Hubschrauber abgeschossen wird, gilt Michael als vermisst und wird für tot erklärt. Jannik kümmert sich liebevoll um die Familie seines Bruders, womit er endlich einen Lebensinhalt gefunden zu haben scheint. Als sich Sarah und Jannik anzunähern beginnen, geschieht das Unerwartete: Michael wird aus den Händen der Taliban befreit. Aus der Gefangenschaft kehrt jedoch ein völlig fremder und traumatisierter Michael zurück. Der starke Charakter ist zu einem geistigen Krüppel geworden. In der Zwischenzeit hat sich indes auch Jannik verändert, das schwarze Schaf der Familie avanciert zum verantwortungsvolleren der zwei Brüder.

Mit einer üblichen Dreiecksgeschichte hat Susannes Biers „Brothers“ nicht das Geringste zu tun. In düsteren Farben, die mit den Szenen unter der gleißenden Sonne im afghanischen Gefangenenlager kontrastieren, erzählt die Regisseurin eine Geschichte, die zwar auch Schwachstellen im Drehbuch besitzt, aber den Zuschauer von Anfang an emotional berührt. Dazu trägt einerseits das intensive Schauspiel der hervorragenden Darsteller entscheidend bei, wobei sich mit „Brothers“ Ulrich Thomsen endgültig in die erste Liga der europäischen Charakterdarsteller spielt. Aber auch Nikolaj Lie Kaas und insbesondere Connie Nielsen gestalten ihre Figuren völlig glaubwürdig.

Andererseits verrät die verdichtete Atmosphäre von „Brothers“ auch den Einfluss der „Dogma“-Bewegung, die 1995 von Lars von Trier und zwei weiteren dänischen Regisseuren ins Leben gerufen wurde, und die für Authentizität im Film eintritt: Die grobkörnigen, verwackelten Bilder der Handkamera spiegeln die wackeligen Gefühle der Hauptakteure wider. Keine große Landschaftsaufnahmen, keine lange Kamerafahrten zeichnen das visuelle Konzept des Filmes aus. Stattdessen konzentriert die Regisseurin ihre Kamera auf Großaufnahmen der Darsteller. Der sparsame Einsatz von Musik verhindert zudem die in den meisten Hollywoodfilmen übliche überzogene Dramatiserung.

In der Tradition des skandinavischen Kinos behandelt „Brothers – Zwischen Brüdern“ universelle Fragen wie Einsamkeit und Schuld. „Brothers“ macht allerdings darüber hinaus die Spuren, die der Krieg in der Seele hinterlassen hat, deutlich. Denn der Film zeigt, „wie internationale Konflikte, über die wir täglich in der Zeitung lesen, in einen alltäglichen Kontekt hinein brechen und alles verändern“ (Susanne Bier). Dadurch bringt die Regisseurin in den zeitgenössischen europäischen Film ein neues Sujet ein, womit sie einen neuen Kinotrend begründen könnte.
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