BESTEN JAHRE, DIE | La meglio gioventù
Filmische Qualität:   
Regie: Marco Tullio Giordana
Darsteller: Luigi Lo Cascio, Alessio Boni, Adriana Asti, Sonia Bergamasco, Fabrizio Gifuni, Maya Sansa, Riccardo Scamarcio
Land, Jahr: Italien 2003
Laufzeit: 366 Minuten
Genre: Historische Filme
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -


JOSÉ GARCÍA
Foto: Ventura Film

Marco Tullio Giordanas „Die besten Jahre“ („La meglio gioventù“) wurde ursprünglich vom italienischen öffentlichen Fernstehen RAI als TV-Miniserie produziert, kam aber nach dem großen Erfolg im Fernsehen als sechsstündige Filmfassung in die Kinos. Der Spielfilm wurde beim Filmfestival Cannes 2003 in der Reihe „Un certain regard“ als bester Film ausgezeichnet und gewann im Jahre 2004 sechs italienische Filmpreise („David di Donatello“), u.a. für „Bestes Drehbuch“, „Beste Regie“ sowie „Besten Film“. Nun startet er in zwei Teilen à 180 Minuten im deutschen Kino.

Um das stärkste Gegenargument von Anfang an zu entkräften: jeder der zwei dreistündigen Teilfilme bleibt spannend von den ersten Einstellungen bis zum zugegebenermaßen etwas kitschigen Ende.

„Die besten Jahre“ beleuchtet vierzig Jahre italienische (und europäische) Geschichte durch das Prisma der römischen Familie Carati: von Mitte der sechziger Jahre bis 2003. Im Mittelpunkt stehen insbesondere die Brüder Nicola (Luigi Lo Cascio) und Matteo (Alessio Boni), die zu Beginn im Jahre 1966 etwa zwanzig Jahre alt sind. Mit ihren Freunden Carlo und Berto teilen sie die Träume ihrer Generation, wollen reisen, die Welt entdecken. Die Wege der zwei Brüder trennen sich jedoch, als Matteo die psychisch kranke Giorgia (Jasmine Trinca) kennen lernt. Kurzerhand entführen die Brüder die junge Frau aus der geschlossenen Anstalt, um sie der Behandlung mit Elektroschocks zu entziehen. Obwohl der Plan, Giorgia zu ihrem Vater zurückzubringen, misslingt, hat die Begegnung Folgen: Matteo bricht sein Philologiestudium ab und tritt in die Polizei ein. Nicola entscheidet sich, Psychiater zu werden und sich in den Dienst einer Humanisierung der Behandlungsmethoden psychisch Kranker zu stellen.

Aber zunächst reist Nicola durch Europa: In Norwegen lernt er Hippies und amerikanische Vietnamkriegs-Gegner kennen. Zurück nach Italien fährt Nicola wieder los, um in Florenz während der Überschwemmungen 1966 mitzuhelfen. Dort begegnet er der Klavierspielerin und linken Aktivistin Giulia (Sonia Bergamasco), mit der er zusammenleben und eine Tochter haben wird. Bis Giulia in die Roten Brigaden abgleitet und die Familie verlässt, um im terroristischen Untergrund zu leben.

Zielscheibe des Terrors der Roten Brigaden wird auch Nicolas engster Freund Carlo, der in den siebziger Jahren in der Bank von Italien eine große Karriere macht, und Nicolas und Matteos jüngste Schwester Francesca heiraten wird. Die älteste Schwester Giovanna wird in den achtziger Jahren Richterin in Sizilien, womit ein weiteres Feld italienischer Geschichte eingeführt wird: Siziliens Kampf gegen die Mafia.

Zum Ensemble gehört schließlich Mirella (Maya Sansa), die immer wieder auf verschiedene Art und Weise in das Leben von Matteo und Nicola tritt. Doch Mirella gelingt es nicht, dem hochbegabten Matteo, der sich als Versager fühlt und sich immer mehr von der Familie zurückzieht, Halt zu geben.

Wenn auch manche Situation, durch die sich im Laufe von fast vier Jahrzehnten der Lebenslauf dieser Figuren immer wieder kreuzt, etwas konstruiert erscheint, erlebt der Zuschauer auf diese Weise die wichtigsten Ereignisse in Italien seit Ende der 60er Jahre: Florenz während der Überschwemmungen 1966, die Arbeiterbewegung im Turin während der 70er Jahre, den Terror der Brigate Rosse, den Kampf gegen den Mafiaterror in den 80er Jahren, die Aufdeckung des Korruptionsskandals Anfang der 90er Jahre und schließlich das Sichzurückziehen der müde gewordenen Weltverbesserer ins Private.

Regisseur Marco Tullio Giordana nimmt reale historische Ereignisse als Hintergrund für seine Protagonisten, die Geschichte erleben. Dank der bemerkenswerten schauspielerischen Leistung des gesamten Ensembles – ganz besonders aber Luigi Lo Cascios – gelingt es Regisseur Giordana, persönliche Schicksale mit der großen Geschichte zu verknüpfen. Die Einschränkungen des Digitalvideos machen ein temporeicher Schnitt und eine klug gewählte Musik wieder wett.

Zwei Fußballspiele stehen am jeweiligen Anfang der zwei Filmteile – auch das sagt Einiges über Italien aus. Das eine stellt ein offensichtlich bis heute nicht überwundenes Trauma dar, als sich am 19. Juli 1966 bei der WM in England Italien Nordkorea 1:0 geschlagen geben musste. Im zweiten gewann Italien seinen vorerst letzten WM-Titel: am 11. Juli 1982 wurde Italien Weltmeister bei einem 3:1-Sieg gegen Deutschland im Endspiel der WM in Spanien.
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