SUITE HAVANNA | Suite Habana
Filmische Qualität:   
Regie: Fernando Pérez
Darsteller: Mitwirkende: Francisquito (10 ), Ivan (30), Norma (70), Juan Carlos (37), Ernesto (20), Raquel (43), Heriberto (40), Amanda (79), Julio (67), Waldo (77), Francisco (55), Jorge Luis (41)
Land, Jahr: Kuba 2003
Laufzeit: 80 Minuten
Genre: Dokumentation
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --


JOSÉ GARCÍA
Foto: Kairos

Vor fünf Jahren entfachte Wim Wenders „Buena Vista Social Club“ (1999) eine wahre Kuba-Begeisterung. Der Versuch des Wenders-Schülers German Kral, mit dem Musikfilm „Musica Cubana“ (2003) den Erfolg des Originals einfach fortzusetzen, misslang jedoch kläglich: Das nahezu idyllische Bild von Havanna stand der kubanischen Wirklichkeit so offensichtlich fern, dass „Musica Cubana“ jegliche Authentizität abhanden kam.

Ganz anders Fernando Pérez‘ 80minütige Dokumentation „Suite Havanna“, die auf dem Filmfestival Havanna 2003 mit Preisen überhäuft wurde (bester Film, beste Regie, beste Musik und Ton, Preis der internationalen Filmkritik) und nun nach und nach in unterschiedlichen deutschen Städten anläuft.

In der Tradition von Walter Ruttmanns „Berlin, Symphonie einer Großstadt“ porträtiert er einen Tag in Havanna, vom Morgengrauen bis in die Nacht hinein. Wie zuletzt die italienische Dokufiktion „Gente di Roma“ (siehe Filmarchiv) begleitet die Kamera unterschiedliche Menschen an diesem Tag: einen 10jährigen Jungen mit Down-Syndrom, einen Gleisarbeiter, der gerne Musiker wäre, einen Krankenhauswäscher, einen pensionierten Professor und ihre Frau Amanda, die ihre karge Rente mit dem Verkauf von Erdnüssen aufbessert, einen jungen Mann, der sich von seiner Heimat verabschiedet, um in die USA zu emigrieren, sowie weitere Bewohner von Havanna.

Im Unterschied zu den meisten Dokumentarfilmen gibt es in „Suite Havanna so gut wie keine Dialoge. Die Kamera folgt den Protagonisten bis in deren Wohnungen und Arbeitsplätze, aber er führt keine Interviews mit ihnen, er beobachtet sie nur – obgleich wie etwa auch bei „Gente di Roma“ einige Szenen offenbar inszeniert wurden.

Fehlte „Gente di Roma“ eine filmische Struktur, die all die darin gezeigten Impressionen über die „Menschen aus Rom“ zu einer Einheit fügen könnte, so übernimmt in Fernando Pérez‘ Film diese Funktion die Musik. Dies rechtfertigt vollends den Titel „Suite Havanna“, obwohl er kein Musikfilm im eigentlichen Sinn, etwa im Stil von Wenders „Buena Vista Social Club“, sondern eher ein in seiner Struktur einem Musikstück nachempfundener Dokumentarfilm ist. Statt aus Dialogen setzt sich die Tonspur von „Suite Havanna“ aus Alltagsgeräuschen und Menschenstimmen zusammen. Dazu gesellt sich ab und zu Klavier- oder Jazz-Musik, die dem Film einen eigenen Rhythmus verleiht.

Dabei überkreuzen sich die einzelnen Geschichten im Verlauf des Films immer wieder: Der 10jährige Francisquito kauft Erdnüsse bei Amanda; der Arzt, der im Nebenberuf bei Kindergeburtstagen als Clown auftritt, verabschiedet seinen Bruder in die USA und begegnet auf dem Weg zum Flughafen anderen Leuten aus dem Film.

„Suite Havanna“ bietet eine facettenreiche Momentaufnahme der Stadt und ihrer Bewohner. Beschäftigt sich der Film nicht vordergründig mit der politischen Situation Kubas, so entwirft er jedoch ein Bild der desolaten wirtschaftlichen Lage des Landes. „Suite Havanna“ zeigt, wie sich die Menschen mit dieser Situation arrangieren.

Im Abspann gibt „Suite Havanna“ die Träume seiner Protagonisten wieder, etwa des Gleisarbeiters, der gerne ein bekannter Trompetenspieler wäre, oder des jungen Mannes, der ein großer Tänzer werden will, aber erst einmal das Haus seiner Mutter reparieren muss. Nur Amanda hat keine Träume mehr.

Darüber hinaus verkehren sich diese Träume zunächst einmal in Melancholie. Eine Melancholie, die auf den Gesichtern liegt, und die sich im augenfälligen Verfall der Stadt widerspiegelt. Und die von den melancholischen Klängen der Musik untermalt wird. Mit seiner eigenwilligen Bild- und Tonmontage gelingt es dem Regisseur Fernando Pérez, ein bereits mehrfach auf der Leinwand ausgebreitetes Kuba in seiner traurigen Schönheit ganz neu wieder erstehen zu lassen.
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