2046 | 2046
Filmische Qualität:   
Regie: Wong Kar-wai
Darsteller: Tony Leung, Gong Li, Takuya Kimura, Faye Wong, Zhang Ziyi, Carina Lau, Chang Chen, Siu Ping-Lam, Wang Sum, Maggie Cheung, Thongchai McIntyre, Dong Jie
Land, Jahr: Hongkong 2004
Laufzeit: 127 Minuten
Genre: Science-Fiction/Fantasy
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: S, X


JOSÉ GARCÍA
Foto: Prokino

Möglicherweise war es Zufall, dass die aktuellen Spielfilme der zwei bekanntesten chinesischen Regisseure in zwei aufeinander folgenden Wochen im deutschen Kino starten: Nach Zhang Yimous „House of Flying Daggers“ (siehe Filmarchiv) kommt nun in die Lichtspieltheater der lang ersehnte „2046“ von Wong Kar-Wai, der im vorigen Mai auf dem Filmfestival von Cannes uraufgeführt und im Dezember beim Europäischen Filmpreis als Bester nicht-europäischer Film ausgezeichnet wurde.

Stand Zhang Yimou nach dem großen Publikums- und Kritikererfolg von „Hero“ unter enormem Erwartungsdruck, so gilt dies erst recht für Wong Kar-Wai, der nach seinem vielgelobten, ebenfalls mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichneten „In the Mood for Love“ (2000) endgültig so genannten „Kultstatus“ errungen hatte.

Weil in der Filmsprache des Kinos sowohl von Zhang Yimou als auch von Wong Kar-Wai dem eigenen visuellen Konzept eine größere Bedeutung als der eigentlichen Handlung zukommt, bedeutet eine Fortführung der vorangegangenen Filmwerke „Hero“ respektive „In the Mood for Love“ nicht primär inhaltliche Fortsetzung, sondern vielmehr Fortschreibung der ballettartig choreographierten Kampfszenen (Zhang) beziehungsweise der melancholischen Stimmung, des Umgangs mit Einstellungen und Bildkompositionen (Wong).

„2046“ ist die Nummer des Hotelzimmers, in dem sich im Spielfilm „In the Mood for Love“ Anfang der sechziger Jahre die platonische Beziehung zwischen dem Journalisten Chow Mo-Wan (Tony Leung) und seiner Nachbarin (Maggie Cheung) abspielte, deren Ehepartner miteinander eine Liebesaffäre angefangen hatten. Im Zimmer 2046 trafen sie sich, um zusammen an einem Manuskript zu arbeiten.

Im Film „2046“ arbeitet nun im Hotel Oriental, in Hongkong 1966, der Schriftsteller Chow (Tony Leung) an einem Science-Fiction-Roman über eine Reise ins Jahr 2046, auf der sich ein Reisender (Takuya Kimura) in einen weiblichen Androiden (Faye Wong) verliebt.

Der Roman, an dem Chow schreibt, bildet eine Art Rahmenhandlung in grellen Farben und futuristischem Design. Während er seine in der Zukunft spielende Liebesgeschichte ausgestaltet, ergeht sich Chow in Erinnerungen an seine eigenen Liebesaffären. Episodenhaft tauchen diese Beziehungen auf: zur lebenslustigen Bai Ling (Zhang Ziyi), die in das Zimmer nebenan zieht, und die Chow leidenschaftlich liebt, bis die Leidenschaft erkaltet. Zur geheimnisvollen Spielerin Su Li Zhen (Gong Li), die ihre Identität nicht preisgeben mag, sowie zu Lulu (Carina Lau), die kurz in Zimmer 2046 zieht und von ihrem Liebhaber erstochen wird. Diese Liebeleien erweisen sich jedoch lediglich als Widerhall seiner großen, unerfüllten Liebe zu Man Yuk (Maggie Cheung).

Die Reise ins Jahr 2046 führt nicht so sehr in eine Zeit, sondern eher an einen Ort, „an dem wir bestimmte Erinnerungen, Gedanken, Impulse, Hoffnungen und Träume aufbewahren“ (Wong Kar-Wai), an dem die Zeit aus einer Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft besteht.

„2046“ variiert immer wieder dieselben Augenblicke und Einstellungen, etwa die Aufnahme auf dem Balkon des „Oriental Hotels“ oder die Großaufnahmen der Gesichter. Die langsamen Kamerafahrten und meisterhaft komponierten Bildeinstellungen lassen sich wie ein Zitat aus „In the Mood for Love“ erschließen, wenn etwa Chow an der Wand lehnt und eine Zigarette raucht, während der Rauch in Zeitlupe zur Decke steigt. Die Bilder in den immer gleichen, immer zu engen Fluren, Treppenhäusern und Zimmern verschmelzen mit einer exquisiten Musik, die von den nostalgischen Klängen der Originalmusik Shigeru Umebayashis und Peer Rabens über Nat King Cole, lateinamerikanische Klänge wie „Perfidia“ und „Siboney“ bis zu Bellinis „Casta Diva“ aus der Oper „Norma“ reicht.

Bei aller Verschiedenheit der musikalischen Auszüge, die auf deren Zuordnung zu den verschiedenen Frauen zurückzuführen ist, gelingt „2046“ ein vollkommenes Ineinanderfließen der Musik und der Bildkompositionen, das die unterschiedliche Wahrnehmung der Zeit, letztlich aber eine melancholische Sehnsucht nach der idealen Liebe ausdrückt.

Nicht die Erzählung, sondern die traumhaften Bildern mit ihrer melancholischen Stimmung, die nur von der allzu realistischen Darstellung der sexuellen Beziehung zu Bai Ling irritierend unterbrochen wird, drücken Fragen wie die Flüchtigkeit der Liebe und die Einsamkeit aus.

Dadurch stellt „2046“ neben die klassische Erzählform des Spielfilmes eine eigene Film-Grammatik, die sich dem Vorrang des Bildes und der Musik vor der klassischen Erzählung verschrieben hat. Auch dies haben die zwei Regisseure Zhang Yimou und Wong Kar-Wai gemeinsam.

Möglicherweise war es kein Zufall, dass die Originalmusik für „House of Flying Daggers“ und „2046“ (wie auch bereits für „In the Mood for Love“) von demselben Komponisten Shigeru Umebayashi stammt.
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