FETTEN JAHRE SIND VORBEI, DIE | Die fetten Jahre sind vorbei
Filmische Qualität:   
Regie: Hans Weingartner
Darsteller: Daniel Brühl, Julia Jentsch, Stipe Erceg, Burghart Klaußner, Peer Martiny, Petra Zieser, Laura Schmidt, Sebastian Butz
Land, Jahr: Deutschland / Österreich 2004
Laufzeit: 126 Minuten
Genre: Komödien/Liebeskomödien
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: X -


JOSÉ GARCÍA
Foto: Delphi Filmverleih

Zwei junge Menschen im Studentenalter gehen auf einer belebten Straße und unterhalten sich angeregt ... über ihre Alterssicherung! Der Werbespot einer großen deutschen Bank bedient das Klischee heutiger Studenten, die sich von den Träumen der „68er Generation“ längst verabschiedet hätten, und die nur noch an Materielles dächten.

Ganz anders die jungen Menschen, die Regisseur Hans Weingartner in seinem zweiten Spielfilm „Die fetten Jahre sind vorbei“ präsentiert, der als erster deutscher Beitrag seit elf Jahren zum Wettbewerb des Filmfestivals Cannes zugelassen wurde und nun im deutschen Kino anläuft: Die Freunde Jan (Daniel Brühl) und Peter (Stipe Erceg) verarbeiten ihre tiefsitzende Wut über soziale Ungerechtigkeit in der Welt dadurch, dass sie nachts in Luxusvillen einbrechen, allerdings nicht um zu stehlen, sondern um die gediegene Ordnung der Reichen durcheinander zu bringen. Dabei hinterlassen sie Botschaften wie „Die fetten Jahre sind vorbei" oder „Sie haben zu viel Geld“, gezeichnet: „Die Erziehungsberechtigten“.

Durcheinander gerät freilich auch das Leben der „Erziehungsberechtigten“ selbst, als Peters Freundin Jule (Julia Jentsch) in die Wohnung der Freunde zieht, und sich in Jan verliebt. Eines Nachts steigen Jule und Jan in die Villa von Großverdiener Hardenberg (Burghart Klaußner) ein, einem Top-Manager, dem Jule 100 000 Euro abbezahlen muss, nachdem sie an dessen S-Klasse-Mercedes einen Totalschaden verursachte. Als sie aber vom Besitzer überrascht werden, entführen sie zusammen mit dem herbeigeeilten Peter kurzer Hand den Millionären auf eine Almhütte.

„Die fetten Jahre sind vorbei“ entwickelt sich jedoch nicht zu einer Entführungs-wider-Willen-Handlung, bei der den jungen Menschen, die eigentlich keine Verbrecher und keine Terroristen sind, ihre Taten über den Kopf wachsen. Aus dieser Ausgangslage machte Drehbuchautor und Regisseur Weingartner vielmehr ein Kammerspiel über den Generationenkonflikt zwischen heutigen Rebellen und den Alt-68ern.

Denn irgendwann einmal kommt bei zunehmender Vertrautheit zwischen Entführern und Entführtem ans Tagelicht, dass Hardenberg zwar im Laufe der Zeit Millionär wurde, aber Ende der 60er Jahre selbst zur Revoluzzer-Szene gehörte und sogar mit Rudi Dutschke befreundet war.

Mit dem Porträt der zwei Generationen wird eine Dreiecksgeschichte verknüpft: die Konstellation der zwei Freunde, die sich um ein Mädchen streiten, erinnert stark an einen der bekanntesten Filme des französischen Regisseurs François Truffauts: „Jules und Jim“ (1961). Wie in „Jules und Jim“ die Männerfreundschaft in den Hintergrund tritt, um die Frau ins rechte Licht zu setzen, erweist sich in „Die fetten Jahre sind vorbei“ das Mädchen Jule als das stärkste Glied in der Dreiergruppe. Die Verbindung der Verletzlichkeit der Jule mit deren inneren Kraft wird von Julia Jentsch grandios verkörpert. Die junge Schauspielerin, die Anfang 2005 in der Titelrolle in Marc Rothemund „Sophie Scholl – die letzten Tage“ zu sehen sein wird, kann als die große Entdeckung des Filmes bezeichnet werden.

Passend zur kammerspielartigen Inszenierung drehte Hans Weingartner den Film, wie schon bei seinem Regiedebüt „Das weiße Rauschen“, komplett mit einer lichtempfindlichen, digitalen Videokamera. Die dadurch bedingte recht grobkörnige Auflösung der Bilder verleiht dem Spielfilm mitunter einen dokumentarischen Charakter, wodurch er authentischer wirkt. Besonders gelungen ist Regisseur Weingartner darüber hinaus die Auswahl der Filmmusik, die im Jeff Buckleys Remake von Leonard Cohens berühmten „Hallelujah“ gipfelt, das zur Filmstimmung ausgezeichnet passt.

„Die fetten Jahre sind vorbei“ ist ein politisches Kammerspiel um die Frage nach der Nachhaltigkeit von politischen Idealen. Dazu erklärt Regisseur Hans Weingartner:
„Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der viele junge Menschen den Wunsch nach politischer Veränderung in sich tragen, aber nicht wissen, wie sie ihm zum Durchbruch verhelfen sollen.“ Als Antwort auf die Frage, ob die Träume heutiger „Revoluzzer“ genauso enden werden wie die der „Alt-68er“, ließ sich Hans Weingartner eine vergnügliche Parallelmontage einfallen. Bei dieser Auflösung bleibt lediglich der schale Nachgeschmack, dass sich die Ideale der jungen Leute in einem diffusen Weltverbesserungsgefühl erschöpfen. Als Beitrag gegen die soziale Ungerechtigkeit in der Welt nehmen sich deren Anarcho-Aktionen letztlich als zu belanglos aus.
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