BERGKRISTALL | Bergkristall
Filmische Qualität:   
Regie: Joseph Vilsmaier
Darsteller: Dana Vávrová, Daniel Morgenroth, Josefina Vilsmaier, François Göske, Max Tidof, Katja Riemann, Herbert Knaup, Frederick Lau
Land, Jahr: Deutschland 2004
Laufzeit: 93 Minuten
Genre: Literatur-Verfilmungen
Publikum: ohne Altersbeschränkung
Einschränkungen: --


JOSÉ GARCÍA
Foto: Concorde

Interview mit Regisseur Joseph Vilsmaier und Hauptdarstellerin Dana Vávrová: siehe unten

Unter dem Titel „Bunte Steine. Ein Festgeschenk“ erschienen im Jahre 1853 sieben Erzählungen Adalbert Stifters. Die bekannteste Novelle der Sammlung „Bergkristall“ wurde nun, geradezu als Auftakt zum „Stifter-Jahr“ 2005 – der Autor wurde 1805 in Oberplan geboren – von Joseph Vilsmaier verfilmt. Vilsmaier schien geradezu prädestiniert dazu, denn sein bisher größter Kinoerfolg „Schlafes Bruder“ (1994) nach dem gleichnamigen Roman von Robert Schneider spielt in derselben Gegend, wenn auch etwas früher, ist die Handlung von der Romanvorlage doch im Jahr 1815 angesiedelt. Folgerichtig drehte Vilsmaier „Bergkristall“ an gleicher Stelle wie „Schlafes Bruder“, in Schneiders Heimat Vorarlberg.

Drehbuchautor Klaus Richter, der in „Bergkristall“ zum vierten Mal mit Joseph Vilsmaier zusammenarbeitet, adaptierte die Novelle für die Leinwand. Konzentriert sich Stifters Vorlage auf den Heiligen Abend, als sich die Kinder Konrad und Sanna (im Film von Francois Geske und des Regisseurs jüngster Tochter Josefina dargestellt) im Gebirge verlaufen, so breitet das Drehbuch die Feindschaft zwischen den zwei Ortschaften Gschaid und Millsdorf aus: Der Schuster Sebastian (Daniel Morgenroth) aus Gschaid verliebt sich in die Färberstochter Susanne (Dana Vávrová) aus dem reichen Millsdorf. Als Sebastian den Widerstand von Susannes Vater gebrochen hat und seine Liebe endlich heimholen darf, stößt das junge Paar auf eine Mauer der Ablehnung. Aus Fremdenhass verweigern die Gschaider Sebastian die Aufträge. Die Lage der Familie – mittlerweile hat das Ehepaar zwei Kinder – wir immer prekärer, und Susanne entscheidet sich, für eine unbestimmte Zeit zu ihren Eltern zurückzukehren. So machen sich die Kinder allwöchentlich auf den Weg über den Bergkamm nach Millsdorf. Am Heiligen Abend geschieht es dann, dass sie sich auf dem Nachhauseweg verirren. Durch die gemeinsame Suche nach den Kindern werden alte Feindschaften überwunden.

Neben dem guten Schauspielerensemble, in dem zusammen mit Dana Vávrová ihre elfjährige Tochter Josefina besonders hervorsticht, sowie der liebevollen Ausstattung, spielt die heimliche Hauptrolle in „Bergkristall“ die imposante Bergkulisse mit den unterirdischen Eishöhlen. Eine klassische, nur in einer kurzen Episode durch die Handkamera unterbrochene Kameraführung und die lineare Erzählform legen den Hauptakzent auf die „zeitlose Geschichte um Liebe und Hass, um den Wert von Familie und Freundschaft“ (Vilsmaier im Interview, siehe unten).

Zum Kinostart wurde „Bergkristall“ beim Insel Verlag in zwei unterschiedlichen Ausgaben („Bergkristall“ mit Farbfotos aus dem Film und einem Nachwort von Joseph Vilsmaier sowie als Nachdruck von „Bergkristall und andere Erzählungen“) neu aufgelegt.



Interview mit Regisseur Joseph Vilsmaier und Hauptdarstellerin Dana Vávrová.

José García: „Bergkristall“ kann als Familienfilm im doppelten Sinn bezeichnet werden: einerseits vom Sujet her, andererseits weil fast die ganze Vilsmaier-Familie an ihm beteiligt war. Wie funktioniert ein solches Familienunternehmen?

Dana Vávrová: Wenn wir den Film quasi als Familienunternehmen gedreht haben, dann weil wir uns gut ergänzen. Das Team hat sich im Laufe der Jahre eingespielt. Den Kern bildeten schon vor 16 Jahren, bei „Herbstmilch“, wir zwei und Werner Stocker, der zusammen mit mir die Hauptrolle spielte. Das gleiche Prinzip wiederholte sich bei „Rama dama“ 1990. Leider starb Werner schon 1993.

Joseph Vilsmaier: Sicher ist „Bergkristall“ ein Familienfilm, ein Märchen für Kinder. Er besitzt aber darüber hinaus einen sozialkritischen Hintergrund. Denn dahinter steckt eine allgemeingültige Geschichte von Feindschaft zwischen zwei Dörfern, die universalen Charakter besitzt. Bei „Bergkristall“ geht es also auch um eine zeitlose Geschichte um Liebe und Hass, um den Wert von Familie und Freundschaft. Deshalb vermittelt der Film auch christliche Werte.

José García: Was etwa darin zum Ausdruck kommt, dass der einzige, der in Gschaid Susanne den Gruß nicht verweigert, der Pfarrer ist.

Joseph Vilsmaier: Ja, und er ist der einzige, der noch seine Schuhe zu Sebastian bringt, als alle anderen ihn ignorieren.

Dana Vávrová: Im Grunde handelt der Film von allgemein menschlichen Werten: Neid und Missgunst, Toleranz und Menschlichkeit.

José García: „Bergkristall“ spielt in der gleichen Landschaft wie „Schlafes Bruder“, Ihr großer Kinoerfolg aus dem Jahre 1994. Es wurde sogar an gleicher Stelle gedreht (Gaschurn, Vorarlberg). Allerdings dominieren in „Schlafes Bruder“ rohe Elemente und Charakteren, es werden Schlammschlachten inszeniert …

Dana Vávrová: Natürlich sind beide Kostümfilme, aber die Geschichte ist grundverschieden.

Joseph Vilsmaier: In „Schlafes Bruder“ ist die Handlung viel brutaler, was sich natürlich in der Inszenierung niederschlägt. „Bergkristall“ wendet sich an die ganze Familie, auch an die Kinder. Das hatten wir auch vor Augen, als wir das Produktionsdesign entwickelten.

José García: Sie schreiben ja die Drehbücher nicht selbst. Inwieweit waren Sie in den Entstehungsprozess des Filmes eingebunden?

Joseph Vilsmaier: Für das Drehbuch war Klaus Richter zuständig, der bereits für drei meiner früheren Filme die Bücher geschrieben hatte, und dem ich blind vertraue. Deshalb pfusche ich ihm nicht dazwischen; erst nachdem er die erste von insgesamt drei Fassungen fertiggestellt hatte, haben wir uns zusammengesetzt. Danach kommen die Leute von der Produktionsfirma dazu…

Dana Vávrová: … und dann kommt das Schönste: Es wird die Kalkulation erstellt und es wird gestrichen.

José García: Aber Sie sind ja kein Neuling, sind seit 16 Jahren Regisseur. Dies ist nun ihr zehnter Spielfilm. Müssen Sie noch immer um die Finanzierung Ihrer Filme kämpfen?

Joseph Vilsmaier: Es gibt keinen Produzenten, keinen Verleih unter dem Himmel, mit dem man sich nicht auseinandersetzen muss.

Dana Vávrová: Das muss aber nicht schlecht sein.

Joseph Vilsmaier: Ja, genau. Schlecht muss es nicht sein: Die Filmproduktion gab vor, wie viel Geld zur Verfügung steht. Wir überlegten zwei oder drei Monate lang, ob wir es mit dem Budget schaffen. Dabei hatten wir das Glück, dass wir mit einer kleinen Mannschaft ausgekommen sind. Und das alles in 3.000 Meter Höhe bei Minus 20 Grad; es war schon eine Anstrengung. Es war aber sehr schön: die Landschaft, die Ruhe, es war einfach grandios. Allerdings machte uns das Wetter zu schaffen, denn wir drehten in drei Eishöhlen, von denen wir eine selbst bauten und bei der wir warten mussten, dass das Wasser gefror und sich Eiszapfen bildeten.

José García: Haben Sie dann viel mit dem Computer nachgeholfen?

Dana Vávrová: Christoph Hierl hat zwar den Film mit digitalen Tricks unterstützt. Es hätte jedoch nichts geholfen, wenn nur mit dem Computer gearbeitet würde. Die Aufnahmen müssen stimmen.

José García: Auffällig bei der Verfilmung ist die Einbettung der Novelle in eine Rahmenhandlung, die in unserer Zeit spielt. Ist dies eine Hommage an Riefenstahls „Das blaue Licht“?

Joseph Vilsmaier: Die Absicht war eine andere: Wir wollten den Gegensatz zur damaligen Zeit zum Ausdruck bringen, weil heute Weihnachten häufig mit Hektik verbunden ist. Im Übrigen liegt dem eine eigene Erfahrung zugrunde: Vor einigen Jahren bin ich selbst von einer acht Meter hohen Lawine von der Außenwelt abgeschnitten worden.

José García: Im Film wiederholen die Kinder mehrfach, dass sie ihr Herz opfern werden. Die Dramaturgie arbeitet fast auf eine griechische Tragödie statt auf ein Weihnachtsmärchen hin, in dem am Ende alles gut wird.

Joseph Vilsmaier: Des es aber sche ’sagt. Allerdings: Wie soll etwa zehnjährigen Kindern vermittelt werden, dass es einen Weg gibt, damit Menschen wieder zusammen kommen? Bei der Dramaturgie muss nicht nur an die Erwachsenen gedacht werden, die alles wissen. „Bergkristall“ wendet sich auch und zunächst an Kinder.

Dana Vávrová: Warum sollte man sich schämen, in einem deutschen Film Gefühle zu zeigen? Wenn die Amerikaner das tun, warum heißt es dann, wenn die Deutschen das machen. „Oh, Gott, wie kitschig!“

José García: Dieser Eindruck könnte sich allerdings etwa beim Schlussbild einstellen.

Dana Vávrová: Ich empfinde es als ein schönes Gemälde. Die Menschen sprechen nicht mehr, sie gehen aufeinander zu. Sie müssen auch physisch aufeinander zukommen, weil die einen von links, die anderen von rechts kommen.

Joseph Vilsmaier: Es war interessant zu beobachten, wie die Einheimischen reagiert haben, die als Komparsen arbeiten. Als sie Glocken läuten hörten, haben sie sich hingekniet; es war eine spontane Reaktion. Ich brauchte ihnen keine Anweisungen zu geben.

José García: Im Vergleich zu „Schlafes Bruder“ sprechen die Figuren hochdeutsch ohne dialektale Färbung.

Joseph Vilsmaier: Ja, aber das tut auch schon Stifter. Er gebraucht eine hochstehende Sprache, aber eben keinen Dialekt.

Dana Vávrová: Trotzdem stellte die Sprache eine Herausforderung für die Kinder dar, die manche Ausdrücke – etwa „in die Hand versprechen“ – gar nicht kannten. Solche Filme helfen den Kindern und Jugendlichen einen Zugang zur klassischen Literatur zu finden.

José García: In „Bergkristall“ spielen zwei Ihrer Töchter: Die elfjährige Josefine füllt ihre Rolle wunderbar natürlich. Teresas Part ist zwar klein, aber sie zeigt – wie auch schon im „Fliegenden Klassenzimmer“ –, dass sie Leinwandpräsenz besitzt. Wie stehen Sie als Eltern zu einer Schauspielkarriere Ihrer Kinder?

Joseph Vilsmaier: Josefina mag es nicht, über den Film zu sprechen…

Dana Vávrová: Sie empfindet so eine Art Scham. Momentan hat sie andere Wünsche, sie will Innenarchitektin werden. Aber es ist ja ihr Leben, die Entscheidung liegt bei ihnen.

José García: Die Kameraführung in der Dorfwirtschaft-Szene hebt sich von der im restlichen Film ab.

Joseph Vilsmaier: Ja, dadurch werden Sebastians Gefühle ausgedrückt: Er geht hinein, um zu provozieren.

Dana Vávrová: Wir haben den Weg durch die Kneipe mit Steadycam gedreht.

Joseph Vilsmaier: Mit Handkamera haben wir jedoch nur auf dem Gang gedreht. Dann wird geschnitten: die Szene im hinteren Raum wurde wieder mit einer festen Kamera aufgenommen.

José García: Die Filmsprache von „Bergkristall“ ist ja sehr klassisch. Müssen Familienfilme eine klassische, mitunter veraltet wirkende Filmsprache besitzen? Könnten Familienwerte nicht auch den Bezug zur heutigen Zeit durch zeitgemäßere Stilmittel herstellen?

Dana Vávrová: Einige Beispiele gibt es schon: Vor einiger Zeit war ich mit den Kindern in „Mein Leben ohne mich“. Ich habe so geweint, dass sich die Mädchen für ihre Mutter geschämt haben. Es war schon ein sehr moderner Familienfilm.

José García: Ja, ein wunderbarer Film, der vor zwei Jahren auf der Berlinale sehr gut aufgenommen wurde. Dazu könnte man noch „Pieces of April“ oder „Casomai“ zählen. Könnten nicht häufiger solche Filme gedreht werden?

Joseph Vilsmaier: Eigentlich gibt es heute viel mehr Stoffe als früher: man könnte etwa zeigen, wie Kinder leiden, wenn ihre Eltern geschieden sind. Dafür brauchen wir gute Drehbücher. Wenn ich ein gutes Drehbuch bekäme und das Projekt bezahlbar bleibt, würde ich es schon machen.

José García: Haben Sie sich schon Gedanken über Ihre nächsten Projekte gemacht?

Joseph Vilsmaier: Ich habe mehrere Angebote: einen Film über Heinrich Zille, ein Remake vom „Stern von Afrika“ über den Jagdflieger Hans-Joachim Marseille an der Rommelfront – es könnte eine schöne deutsch-britische Koproduktion werden –, einen Film über den verschollenen Reinhold Messner und seinen Bruder... Aber als Nächstes werden wir „Traber“ machen, einen Kinderfilm über einen Arzt, der mit seinem Pferd sprechen kann.
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