SCHLECHTE ERZIEHUNG - LA MALA EDUCACIÓN | La mala educación
Filmische Qualität:   
Regie: Pedro Almodóvar
Darsteller: Gael García Bernal, Fele Martínez, Daniel Giménez-Cacho, Javier Cámara, Lluis Homar
Land, Jahr: Spanien 2004
Laufzeit: 106 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: Erwachsene
Einschränkungen: U, X++


JOSÉ GARCÍA
Foto: Tobis Film

Eine Abrechnung mit der Erziehung in katholischen Internaten der sechziger und siebziger Jahre – die Assoziation im Titel des neuen Spielfilms von Pedro Almodóvar „La mala educación – Schlechte Erziehung“ ist eindeutig. Der katholische Priester, der sich an einem seiner Schüler vergreift, erweist sich jedoch als bloße Nebenfigur im neuen Spielfilm des spanischen Regisseurs. Soll also die offensichtliche Anklage gegen pädophile Priester als bloße Marketingstrategie für „Schlechte Erziehung“ abgetan werden, der im Mai das renommierte Filmfestival Cannes eröffnete? Wird die in den Vorberichten unterstrichene Kirchenkritik eher beiläufig behandelt, zumal der Regisseur zynisch betont: „Ich wollte keinen antiklerikalen Film drehen. Für antiklerikale Schlagzeilen sorgt die Kirche schon selbst, dafür braucht man nur Zeitung zu lesen“?

Als bloßer Gimmick, der die Aufmerksamkeit des Zuschauers wecken soll, lässt sich dies freilich nicht abtun. Denn einerseits gehörte Kirchenhäme bereits zu den Filmen Almodóvars, ob dies eindeutig wie in „Alles über meine Mutter“ (1999) geschieht, wo eine junge Nonne von einem HIV-positiven Transsexuellen geschwängert wird, oder etwas subtiler wie in „Sprich mit ihr“ (2002), in dem ein Vergewaltiger zum Heiligen stilisiert, aber auch gehässige Witze über Missionare in Afrika gerissen werden. Andererseits fungiert in „Schlechte Erziehung“ der Kindesmissbrauch als das Ereignis, das ein veritables „Labyrinth der Leidenschaften“ (so der Titel eines frühen Almodóvar-Streifens aus dem Jahre 1982, aber im Grunde die Handlung oder wenigstens der Hintergrund eines jeden seiner Filme) hervorruft.

Die Geschichte der zwei zehnjährigen Ignacio und Enrique, die 1969-1970 in einem katholischen Internat die homoerotische Anziehung zueinander entdecken und von einem Pater Manolo, der sich selbst zu Ignacio hingezogen fühlt, unbarmherzig getrennt werden, erzählt Almodóvar als Rückblende eines Films im Film.

Die eigentliche Story des Filmes „Schlechte Erziehung“ – sofern bei diesem verworrenen Drehbuch von einer solchen überhaupt gesprochen werden kann – ist jedoch in den achtziger Jahren angesiedelt, als bei einem dieser Jungen, Enrique, der inzwischen zum erfolgreichen Regisseur geworden ist, ein junger Schauspieler vorstellig wird. Dieser nennt sich Angel, behauptet, Enriques Schulfreund Ignacio zu sein, und bietet ihm ein selbstverfasstes Drehbuch an, das von den Erlebnissen im Internat sowie von späteren Versuchen, den ehemaligen Lehrer zu erpressen, handelt.

Als Enrique einwilligt, das Drehbuch mit Angel in der Hauptrolle zu verfilmen, entwickelt sich zwischen den beiden eine verlogene homosexuelle Beziehung: Dass Angel nicht seine alte Liebe Ignacio sein kann, muss Enrique eigentlich sehr bald klar geworden sein. Angel seinerseits gibt Enriques Verlangen nach schwulem Sex lediglich deshalb nach, weil ihm dies zu seiner schauspielerischen Karriere dienlich erscheint.

Eine weitere Drehbuchwendung. Nun erzählt Almodóvar eine andere Geschichte, die von zwei Brüdern, dem drogensüchtigen, selbstmitleidigen Ignacio und dem ehrgeizigen Juan handelt. Auch diese Story entwickelt sich zu einer Dreiecksgeschichte, als der ehemalige Priester, der mittlerweile die Soutane an den Nagel gehängt hat und als Verlagslektor arbeitet, von Ignacio erpresst wird – zu einer Geschichte, die für zwei der drei Beteiligten tödlich enden wird.

Wieder handelt es sich in einem Almodóvar-Film um ein Melodram in schrillen Farben, die teilweise in kaum zu überbietenden Kitsch übergehen, etwa wenn der Priester an der Gitarre spielt und der Knabe mit mädchenhafter Stimme „Moon River“, die von Henry Mancini für „Frühstück bei Tiffany“ (Blake Edwards, 1961) komponierte Filmmusik, singt. In „Sprich mit ihr“ hatte noch die visuelle Kraft der grandiosen Kameraführung mit ihren wunderschönen Farben und Einstellungen zu einer Ästhetisierung geführt, welche den Zuschauer so benebelt, dass er die abscheuliche Handlung – nichts Geringeres als die Vergewaltigung einer im Koma liegenden Frau – kaum bemerkt. In „La mala educación – Schlechte Erziehung“ gelingt freilich nicht einmal mehr die Ersetzung der Ethik durch die Ästhetik. Der neue Almodóvar-Film liefert kaum mehr schöne Bilder, die eine Figur verbrämen könnten, die buchstäblich über Leichen geht.
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