INNOCENCE PROJECT - GERECHTIGKEIT FÜR JUSTITIA | Innocence Project
Filmische Qualität:   
Regie: Liz Garbus, Alex Gibney, Roger Ross Williams
Darsteller:
Land, Jahr: USA 2020
Laufzeit: 503 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G
im Kino: 5/2020


José Garcia
Foto: Netflix

Als Unschuldiger Jahre, ja Jahrzehnte im Gefängnis zu verbringen - ein Alptraum, den nicht gerade wenige Menschen in den Vereinigten Staaten erleben. Um sich einen Überblick über die Zahl solcher Fehlurteile zu verschaffen, reicht ein Blick ins Archiv der gemeinnützigen Organisation "Innocence Project".

Einen solchen Blick gewährt die Netflix-Dokumentarserie "Innocence Project - Gerechtigkeit für Justitia", die auf verheerende Justizirrtümer in den Vereinigten Staaten hinweist. Im Archiv lagern tausende von Briefen, in denen sich Männer und Frauen an die Organisation wenden, nachdem sie ergebnislos alle Rechtsmittel ausgeschöpft haben. Allerdings kann die 1992 von Barry Scheck, Juraprofessor an der Yeshiva University in New York, und Peter Neufeld gegründete gemeinnützige Organisation "nur ein Prozent der Fälle übernehmen".

In neun Folgen von je 50 bis 85 Minuten stellt die Serie eine Reihe Fälle vor, die eindrucksvoll vom Versagen des US-amerikanischen Justizsystems zeugen, weil bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder auch an den Gerichten nicht "Gerechtigkeit", sondern andere Zielsetzungen an oberster Stelle standen.

Die neun Episoden sind thematisch in drei Teile untergliedert: "Der Beweis", "Der Zeuge" und "Die Staatsanwaltschaft". In der ersten Folge "Der Beweis: Tatsächlich und ohne Zweifel" wird die unumstößliche Beweiskraft von Zahnabdrücken in Frage gestellt. Es geht um Kennedy Brewer, der 1992 in Mississippi verhaftet und beschuldigt wurde, die dreijährige Tochter seiner Freundin getötet zu haben. Nach drei Jahren Untersuchungshaft wurde Brewer wegen Mordes zum Tode verurteilt. Der einzige Beweis: Bissspuren am Handgelenk des Mädchens, die der Gerichts- Odontologe Dr. Michael West "tatsächlich und ohne Zweifel" dem Angeklagten zuwies.

Erst durch die Einführung von DNA-Tests 2001 konnte bewiesen werden, dass Brewer das Verbrechen nicht begangen hatte. Allerdings musste er noch weitere sieben Jahre im Gefängnis verbringen, ehe im Februar 2018 eine Untersuchung im Rahmen des "Innocence Project" den wahren Täter ermittelte. Kennedy Brewer war die erste verurteilte Person, die in Mississippi durch einen DNA-Test entlastet wurde.

Im zweiten Themenblock "Der Zeuge" werden eklatante Fehleinschätzungen durch Zeugen vorgestellt, sei es weil das Gedächtnis nicht so zuverlässig ist, wie gemeinhin angenommen - was allerdings bereits aus anderen Prozessen, etwa den berühmten "Auschwitz-Prozessen" in den 1960er Jahren, bekannt sein dürfte - oder aber auch, weil dem Gedächtnis eines Zeugens seitens der Polizei oder der Staatsanwaltschaft "nachgeholfen" wurde, was sich selbstverständlich noch gravierender ausnimmt.

Die fünfte Folge Netflix-Dokumentarserie "Innocence Project - Gerechtigkeit für Justitia" präsentiert "Die Prozesse gegen Franky Carrillo". Ihm wurde vorgeworfen, einen Mann aus einem vorbeifahrenden Auto erschossen zu haben. Als Beweismittel wurden die Augenzeugenaussagen von sechs jungen Männern angeführt. Gegen Carrillo wurden zwei Prozesse mit Geschworenen geführt: Im Januar 1992 konnten die Geschworenen kein Urteil fällen, weil sich die Zeugenaussagen widersprachen. Erst nachdem sich die Staatsanwaltschaft mit den Zeugen "zusammengesetzt", und sie "vorbereitet" hatte, konnte beim zweiten Prozess im Juni 1992 "alles glatt" laufen. Nachdem jedoch die Zeugen viele Jahre später zugaben, dass sie keine Sicht auf den Schützen hatten und von Polizeibeamten und einander beeinflusst worden waren, um Carrillo zu identifizieren, wurde der lebenslänglich Verurteilte am 7. März 2011 freigelassen. Francisco "Franky" Carrillo hatte 20 Jahre unschuldig im Gefängnis verbracht.

Die Serie verdeutlicht außerdem in der Folge "Der Zeuge: Die Schaffung von Erinnerungen" am Beispiel des Thomas Haynesworth die Schwierigkeit, einen Täter wiederzuerkennen. Haynesworth wurde 1984 als 18-Jähriger wegen Vergewaltigung zu 84 Jahren Gefängnis verurteilt, weil das Opfer ihn identifiziert haben wollte. Erst nachdem er 27 Jahre im Gefängnis verbracht hatte, konnte auf der Grundlage der DNA und anderer Beweise bewiesen werden, dass die Vergewaltigung von einem Nachbarn begangen wurde, der Haynesworth ähnelte.

Die sehr spannende Serie, an der mehrere Oscar-Kandidaten und -gewinner mitgewirkt haben, offenbart nicht nur die Mängel des Strafrechtssystems in den Vereinigten Staaten ("Das ganze System ist Schrott", heißt es gleich am Anfang). Sie verdeutlicht auch, dass durch solche Justizirrtümer nicht nur das Leben eines unschuldig Verurteilten, sondern auch sein Umfeld und ebenfalls das Leben der Opfer entscheidend zerstört werden.


"Innocence Project ? Gerechtigkeit für Justitia", USA 2020. Produzenten und Regisseure: Liz Garbus, Alex Gibney, Roger Ross Williams, neun Folgen mit insgesamt 503 Minuten, auf Netflix
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