FÜNF UHR AM NACHMITTAG | Panj é asr
Filmische Qualität:   
Regie: Samira Makhmalbaf
Darsteller: Agheleh Rezaee, Abdolghani Yusef-zay, Marzieh Amiri, Razi Mohebi, Gholamjan Gardel, Halimeh Abdolrahman, Bibigol Asef
Land, Jahr: Iran / Frankreich 2002
Laufzeit: 105 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: --


JOSÉ GARCÍA
Foto: Alamode

Samira Makhmalbaf gehört zu den profiliertesten aufstrebenden Filmregisseuren weltweit. Mit 18 Jahren drehte sie ihr Spielfilmdebüt „Der Apfel“, der bei den Filmfestspielen Cannes 1998 in der Reihe „Un certain regard“ gezeigt und mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet wurde. Zwei Jahre später nahm sie mit ihrem zweiten Film „Die schwarzen Tafeln“ (2000) am offiziellen Wettbewerb in Cannes teil, wo sie den speziellen Preis der Jury gewann. Im Jahre 2002 gehörte Samira Makhmalbaf zu den elf Regisseuren des Episodenfilms „11’09’’01“. Mit ihrem Kapitel über afghanische Kinder in einem Flüchtlingslager nahm sie in gewisser Weise das Sujet ihres dritten Spielfilmes „Fünf Uhr am Nachmittag“ vorweg, der nun in Afghanistan selbst spielt.

„Fünf Uhr am Nachmittag“ ist der erste Film, der nach dem Fall des Taliban-Regimes in Kabul gedreht wurde. Für diesen Film wurde Samira Makhmalbaf erneut bei den Filmfestspielen Cannes ausgezeichnet: im Jahre 2003 mit dem Spezialpreis der Jury sowie dem Preis der ökumenischen Jury.

Im Mittelpunkt von „Fünf Uhr am Nachmittag“ steht die junge, aufgeschlossene Noqreh, die mit ihrem Vater, einem traditionsverhafteten Kutscher, sowie ihrer Schwägerin Leilomah und deren unterernährtem Kind in den Ruinen Kabuls auf die Rückkehr ihres Bruders aus Pakistan wartet. Tag für Tag stiehlt sie sich aus der Koranschule, wohin ihr Vater sie auf dem Eselskarren gebracht hat, hebt den Schleier der Burkha hoch, tauscht die schwarzen Latschen gegen weiße Pumps und begibt sich auf den Weg zur weltlichen Schule. Dort werden die Schülerinnen einmal gefragt, was sie werden wollen: Ärztinnen, Lehrerinnen lauten die gängigen Antworten. Doch Noqreh will hoch hinaus: Sie will die erste Präsidentin Afghanistans werden. Ihr Vorbild: Benazir Bhutto, die Präsidentin Pakistans. Doch wie wird jemand Präsident eines Landes? Der Film begleitet Noqreh auf der Suche nach einer Antwort.

Unterstützung erhält Noqreh von einem soeben aus Pakistan zurückgekehrten, jungen Dichter, der sich offensichtlich in sie verliebt hat. Er begleitet sie zum Fotografen, um Wahlplakate mit ihrem Konterfei zu entwerfen. Von ihm kommt auch die Idee, öffentliche Reden dadurch zu üben, dass sie Kühen Gedichte vorzulesen beginnt. Der Junge fischt aus seiner Tasche ein Gedicht von Federico García Lorca heraus, die titelgebende Elegie auf einen Torero „Fünf Uhr am Nachmittag“. Nur dass sich in seiner Naivität das Gedicht in eine Totenklage auf den Tod eines Stieres verwandelt.

„Fünf Uhr am Nachmittag“ nimmt sich als eine Art Fortsetzung von „Reise nach Kandahar“ (siehe Filmarchiv) aus, dem mit dem Preis der ökumenischen Jury in Cannes 2001 ausgezeichneten Film von Samiras Vater Mohsen Makhmalbaf. Wie in den früheren Filmen ihrer Tochter hat Mohsen Makhmalbaf auch bei „Fünf Uhr am Nachmittag“ das Drehbuch mitverfasst und den Schnitt besorgt. Zwischen den beiden Spielfilmen ist jedoch eine Perspektivenverschiebung zu beobachten. Dazu die Regisseurin: „’Reise nach Kandahar’ wollte die Welt über ein vergessenes Land informieren. ‘Fünf Uhr am Nachmittag’ will die falschen Informationen korrigieren, die durch den heftigen Wirbel in Politik und Medien verbreitet wurden:“ Samira Makhmalbafs Absicht ist es, „mit dem Medium Film die Situation der Einwohner Afghanistans besser zu begreifen und begreifbar zu machen.“

Ähnlich „Reise nach Kandahar“ entfaltet „Fünf Uhr am Nachmittag“ eine stark dokumentarische Wirkung. Die Handlung liefert lediglich einen Vorwand, um auf die Situation eines zerstörten Landes hinzuweisen, in das mehr als eine Million Menschen hauptsächlich aus Pakistan zurückkehren. Samira Makhmalbaf geißelt die Lage der Frau in Afghanistan auch nach dem Ende des Taliban-Regimes. Denn: „Im Gegensatz zu dem, was die Medien behaupten, ist Demokratie kein Projekt, das durch eine militärische Aktion oder einen Regimewechsel von heute auf morgen bewerkstelligt werden kann. Demokratie ist ein langsamer Prozess.“

Stärker als in „Reise nach Kandahar“ wirken die Figuren in „Fünf Uhr am Nachmittag“ indes klischeehaft: Unterschied etwa „Reise nach Kandahar“ zwischen fundamentalistischer und echter Religiosität, so wird in „Fünf Uhr am Nachmittag“ Religion mit Fanatismus gleichgesetzt. Samira Makhmalbaf: „Noqrehs Vater verkörpert die alte Generation, die traditionelle afghanische Kutur. Er ist religiös, gläubig, ja sogar ein Fanatiker.“ Noqreh stellt hingegen eine neue, lernbegierige und aufgeschlossene Generation dar, die sich der Tradition widersetzt. Angesichts dieses Gegensatzes stellt sich bei „Fünf Uhr am Nachmittag“ die Frage, ob der darin aufgezeigte Generations- und Geschlechterkonflikt nicht allzu sehr vereinfacht wird. Dennoch: „Fünf Uhr am Nachmittag“ vermittelt ein eindringliches Bild Afghanistans fernab allabendlicher Fernsehnachrichten.
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