AD VITAM | Ad Vitam
Filmische Qualität:   
Regie: (Creators): Thomas Cailley, Sébastien Mounier
Darsteller: Yvan Attal, Garance Marillier, Anne Azoulay, Victor Assié, Rod Paradot, Ariane Labed, Eléa Clair, Alex Martin, Adel Bencherif, Niels Schneider, Hanna Schygulla
Land, Jahr: Frankreich 2018
Laufzeit: 315 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G, X
im Kino: 11/2018


José García
Foto: Arte

Die Welt jubelt. Vier Milliarden Menschen feiern den 169. Geburtstag der ältesten Frau der Welt. Noch nie hatte ein Mensch ein solch hohes Alter erreicht. Sie zeige "kein Anzeichen von Verfall, keine Anomalie", betonen Nachrichtensprecher aus aller Welt. Die sechsteilige Arte-Serie "Ad Vitam" präsentiert eine Welt, in der dank der "Regenerierung" ein unendlich langes Leben möglich geworden ist. Das auf der Erneuerungskraft einer bestimmten Quallen-Art beruhende Verfahren wurde zu dem Zeitpunkt, in dem die Serie spielt, bereits vor Jahrzehnten entwickelt. Eine der Schattenseiten dieser Entwicklung wird bereits zu Beginn sichtbar: Auf großen Leinwänden machen junge Menschen kräftig Werbung für das Ja in einem Referendum über Geburtenkontrolle. Denn wenn niemand mehr sterben muss, droht Überbevölkerung. So lautet wenigstens die offizielle Sprachregelung, die jedoch von den Bildern so ziemlich widerlegt wird. Denn etwa von Ernährungsengpässen ist in der ganzen Serie nirgends zu sehen oder zu hören. Die Menschen essen zwar schon lange kein Fleisch mehr, aber ein "Insekten-Crisp" scheint immer verfügbar zu sein, der ja sogar ins Haus geliefert wird.

Im Gegensatz zur Netflix-Serie "Altered Carbon — Das Unsterblichkeitsprogramm", die zwar auch von einer Welt handelt, in der der Tod nicht mehr unausweichlich ist, in der aber ein solches unendliches Leben lediglich den Reichen zur Verfügung stellt, zeichnet sich die Gesellschaft in "Ad Vitam" dadurch aus, dass hier jeder das in der Verfassung verankerte Recht hat, sich ab dem 30. Lebensjahr zu regenerieren, also ständig verjüngen zu lassen — und die dazu erforderliche Einrichtung scheint ebenfalls allgegenwärtig zu sein. In einer Gesellschaft, in der die Älteren nicht mehr altern — von einem Altenheim ist etwa die Rede, das vor 60 Jahren schloss, haben die Jüngeren indes gar keine Chance. Die als Minderjährige geltenden Unterdreißigjährigen ziehen den Kürzeren. Denn für die den Ton angebenden Älteren sind Kinder und junge Menschen eigentlich Störfaktoren.

Darin besteht der zentrale Konflikt in einer Serie, die Science-Fiction mit einem Thriller verknüpft. In "Ad Vitam" wird die Handlung von einer grausigen Entdeckung vorangetrieben: Am Strand werden sieben Leichen von Jugendlichen gefunden. Mit dem Fall wird Darius Asram (Yvan Attal) betraut, der mit seinen 119 Jahren schon immer Polizist war. Eine der Leichen hat dasselbe Symbol tätowiert wie die Teilnehmer an einem Massenselbstmord, der zehn Jahren zuvor die Gesellschaft erschütterte, und eine Welle von Gemeinschaftssuizid-Fällen in Gang setzte. Die Polizei befürchtet, dass die Selbstmord-Organisation "Saul" wieder aktiv wird. Schnell findet Darius, dass eine junge Frau, die zu "Saul" gehörte, aber damals in letzter Minute dem Massenselbstmord fernbleib, seitdem in einer geschlossenen Jugendpsychiatrischen Einrichtung eingesperrt ist. Die heute 24-jährige Christa Novak (Garance Marillier) soll Darius Asram dabei helfen, Zugang zu "Saul" zu finden. Insgeheim erhofft sich der Polizist außerdem, durch Christa Antworten auf die Frage zu erhalten, wie diese Jugendlichen nicht nur den Fortschritt, sondern sogar auch durch Selbstmord die Möglichkeit eines endlosen Lebens ablehnen können.

Im Laufe seiner Ermittlungen stößt Darius Asram auch auf eine von einer älteren Dame (Hanna Schygulla) angeführte religiöse Gruppe, die sich gegen die künstliche Lebensverlängerung sperrt. Sie behauptet, dass sich immer Menschen weigerten, sich regenerieren zu lassen. Diese Menschen bejahen wohl auch aus religiösen Gründen die Möglichkeit des Todes und die Sehnsucht nach dem Tod. Christa wird sogar Zeugin die Zeremonie des Todes eines alten Mannes: "Sein Leben ist vollendet", heißt es dann.

Im Gegensatz zu dem futuristischen Produktionsdesign mancher Science-Fiction-Filme setzt die mit dem Preis für die beste französische Serie beim Festival Séries Mania in Lille ausgezeichnete Dystopie "Ad Vitam" auf einen ähnlichen retrofuturistischen Stil wie etwa "Maniac" — was nebenbei auch die Produktionskosten erheblich senkt. Computer mit Internetzugang, Handys, Drohnen sehen genauso wie heutige Geräte aus, obwohl die Serie wohl Ende des 21. Jahrhunderts angesiedelt ist. Ihr Design hat sich genauso wenig verändert wie etwa auch die Architektur. Offensichtlich haben Menschen, die ihren Körper immer wieder regenerieren können, wodurch sie ein immer gleiches Aussehen besitzen, keinerlei Interesse an Veränderung.

Auch wenn "Ad Vitam" auch ein Thriller ist, und insbesondere in den letzten Kapiteln genretypische Elemente vermehrt auftreten, verdeutlicht die Serie vor allem die Schattenseiten der sogenannten extremen Langlebigkeit — einer der Säulen des Transhumanismus. Insofern, als die Serie den Generationenkonflikt in den Mittelpunkt stellt, spricht sie auch aktuelle Probleme einer alternden Gesellschaft an. Im Mittelpunkt steht aber die Kehrseite einer solchen Gesellschaft, in der die Regenerierten zwar "besessen vom Gedanken an das ewige Leben" sind, aber gleichzeitig "nicht ertragen, was sie geworden sind".


"Ad Vitam". 6-teilige Serie mit insgesamt 315 Min. Creators: Thomas Cailley, Sébastien Mounier. Die komplette Serie in der Arte-Mediathek abrufbar.
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