DEUTSCHLAND 86 | Deutschland 86
Filmische Qualität:   
Regie: Florian Cossen, Arne Feldhusen
Darsteller: Jonas Nay, Maria Schrader, Florence Kasumba, Sylvester Groth, Sonja Gerhardt, Lavinia Wilson, Ludwig Trepte, Alexander Beyer, Fritzi Haberlandt, Uwe Preuss, Anke Engelke
Land, Jahr: Deutschland 2018
Laufzeit: 450 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: G, X
im Kino: 11/2018


José García
Foto: Amazon

Vor drei Jahren strahlte RTL die zehnteilige Serie "Deutschland 83" aus, in deren Mittelpunkt der junge DDR-Grenzsoldat Martin Rauch (Jonas Nay) stand, der von seiner eigenen, für die Auslandsaufklärung der Stasi arbeitende Tante Lenora (Maria Schrader) als Spion rekrutiert wird. Die Serie wurde von der Kritik gelobt, ging aber bei RTL etwas unter. Nun hat Amazon den Vertrieb der ebenfalls von UFA Fiction produzierten zweiten Staffel "Deutschland 86" übernommen.

Stand im Mittelpunkt von "Deutschland 83" der Konflikt zwischen der Bundesrepublik und der DDR und insbesondere das NATO-Manöver "Able Archer", so findet die neue, zehnteilige Staffel an mehreren Schauplätzen statt: Lenora versucht in Südafrika, westdeutsche Waffen am UN-Embargo vorbei an die südafrikanische Regierung zu verkaufen. Martin hat die letzten drei Jahre in Angola verbracht, wo er Kindern Deutsch beibringt. Nun reaktiviert ihn wiederum Leonora. Die beiden werden eine wahre Odyssee erleben auf dem Weg zurück nach Deutschland. Derweil suchen die Hauptverwaltung Aufklärung HVA und die Kommerzielle Koordination KoKo der DDR nach immer abenteuerlicheren Wegen, um der drohenden Staatspleite zu entgehen.

"Deutschland 86" verbindet mehrere Handlungsstränge und menschliche Schicksale miteinander, wobei die Serie interessante Einblicke in die verrottete DDR-Wirtschaft bietet. Die hohe Schnittfrequenz, die opulenten, kinotauglichen Bilder, der poppige Soundtrack und die hervorragenden Schauspieler machen "Deutschland 86" zur wohl aufregendsten deutschen Serie des Jahres.


Interview mit Hauptdarstellerin Maria Schrader und Mit-Regisseur Florian Cossen zur Amazon-Serie "Deutschland 86".

Ist bei einem Film wie "Deutschland 86" eher ein Vor- oder ein Nachteil, ob man eigene Erinnerungen an diese Zeit hat, oder eben nicht hat?

Florian Cossen: 1986 war ich erst sieben Jahre alt. Dass ich keine eigenen Erinnerungen an diese Zeit habe, würde ich eher als Vorteil bezeichnen. Denn ich versuche nicht, historisch zu reproduzieren. Auch wenn wahnsinnig viel Recherche drinsteckt — was ich mache, ist eine serielle Interpretation. Durch den Blickwinkel der heutigen Zeit bekommt diese Geschichte teilweise etwas absurd Komisches, was wir filmisch durchaus noch überhöhen. Das ist womöglich leichter mit dem Abstand, dass meine eigene Erinnerung nicht existiert.

Maria Schrader: Ich habe zwar diese Zeit bewusst erlebt, aber ich bin im Westen aufgewachsen. Das war eine Parallelwelt zu meiner Figur, mit der meine Erinnerung nichts zu tun hat. Etwas anderes ist es für Sylvester Groth oder Uwe Preuss, die im Osten aufgewachsen sind. Bei ihnen könnten die eigenen biografischen Erinnerungen so stark sein, dass sie einem fast im Weg stehen könnten. Aber die beiden sind so grandios, dass sie trotz dieser nahegehenden und körperlichen Präsenz der Erinnerung Humor und Grandezza, Ironie schaffen.

Humor spielt in der Serie eine wichtige Rolle. Allerdings war die Lage 1986 sehr ernst. In ihrer misslichen wirtschaftlichen Lage hätte die DDR überreagieren können. Wie wird diese Schwere herausgenommen?

Florian Cossen: Die Prämisse hat es uns leicht gemacht. Denn wir haben zwei sinkende politische Systeme. Die DDR sinkt gerade, Südafrika ebenso, auch wenn es sich etwas länger gehalten hat. Die Frage ist: Was machen die Leute an Bord? Sie sagen: "Dann retten wir mal den Kommunismus mit dem Kapitalismus". Die Essenz besteht darin, dass alle ihre Rollen ernstnehmen. Wie Anke Engelke beispielsweise am Tisch ihren Kollegen Blicke zuwirft, oder als Gedächtnisbrücke ihren Nachnamen Dietrich mit Marlene in Verbindung bringt — das meint sie ernst. Der Humor entsteht dadurch, dass wir nicht am Tisch sitzen, sondern von draußen darauf schauen. Ganz wichtig ist aber das Timing der Schauspieler, etwa wie der von Sylvester Groth gespielte Walter immer gerne nach dem richtigen deutschen Wort sucht. Diese Ernsthaftigkeit hat im Kontext Witz.

Lenora, die Figur, die Sie spielen, arbeitet zwar für das DDR-System, hat dennoch ein ganz anderes Lebensgefühl als die Menschen, die in der DDR leben. Was ist das für eine Frau?

Maria Schrader: Dieses Privileg hatte sie schon in der ersten Staffel "Deutschland 83". Sie war Kulturattaché, und hatte je ein Büro in Bonn und in Berlin. Sie hat sich schon immer mit Westgütern versorgt. Sie ist dem Luxus nicht abgeneigt, aber sie würde sagen: "Ich bin überzeugte Sozialistin." Jetzt wirkt sie wie der personifizierte Niedergang der DDR. Sie stellt fest, dass die Umwege zu dem besseren Leben, für das sie kämpft, das auf Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität gegründet sein soll, immer größer, immer schmutziger werden. Umso verzweifelter hält sie am Sozialismus fest. Der Grat wird immer schmaler. Lenora ist von Anfang an in einem inneren Stress, an der Grenze der Hysterie. Sie spiegelt etwas, was die DDR damals charakterisiert hat: Es wurde immer brutaler, aber es hat angefangen zu zittern. Natürlich muss man sich fragen: Ist das Selbstbetrug? Wie gut funktioniert der Selbstbetrug?

Wie bezeichnen Sie die Beziehung zwischen Lenora und ihrem Neffen Martin, die sehr im Mittelpunkt der Handlung steht?

Maria Schrader: Lenoras affektive, familiäre Seite ist nicht gerade ausgeprägt (lacht). Sie repräsentiert ein vollkommen anderes Frauenbild als Martins Mutter, ihre Schwester. Sie ist nie privat. Sie ist immer bei der Arbeit. Für sie ist die Familie nicht schützenswert. Wenn sie jemanden aus der Familie rekrutieren kann, der begabt ist oder bestimmte Fähigkeiten hat, umso besser, weil sie ihm trauen kann und Macht über ihn hat. Sie mutet Martin von Anfang an viel zu. Das ist auch für einen jungen Mann attraktiv. Sie sind partners in crime. Aber in "Deutschland 86" verändert sich die Beziehung, auch sie wird von ihm abhängig. Die Machtverhältnisse sind nicht mehr so eindeutig wie in der ersten Staffel.

Was für Themen behandelt sonst "Deutschland 86"?

Florian Cossen: Der Autorin Anna Winger war ganz wichtig, dass die Serie viele Themen aus der Zeit anspricht: die AIDS-Entwicklung, das neue Schwulenbewusstsein, die Dinge, die die Kommerzielle Koordinierung KoKo für Geld bereit war zu tun, von den Medizintests über Waffenverkäufe bis hin zu den politischen Gefangenen. Aber alles hängt mit allem zusammen, alles spitzt sich auf die Hauptgeschichte zu. Und dies ist eine homecoming story: Wie Martin Rauch in Angola wieder zum Leben aufwacht, sich durch Südafrika in Libyen wiederfindet, und durch die Wüste nach Paris gelangt ..., um peu a peu wieder nach Hause zu kommen.
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