EIN KIND WIRD GESUCHT | Ein Kind wird gesucht
Filmische Qualität:   
Regie: Urs Egger
Darsteller: Heino Ferch, Silke Bodenbender, Johann von Bülow, Felix Kramer, Julika Jenkins, Christian Beermann, Ronald Kukulies, Moritz Führmann
Land, Jahr: Deutschland 2017
Laufzeit: 90 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 10/2018


José García
Foto: ZDF

"Ein Kind wird gesucht" basiert auf einer wahren Begebenheit: Eines Tages kehrt der zehnjährige Mirco abends von seinem Fußballtraining nicht zurück. Von ihm fehlt jede Spur. Der zuständige Chefermittler Ingo Thiel (Heino Ferch), selbst Vater zweier Söhne, verspricht Mircos Eltern, ihren Sohn zurückzubringen. Es beginnt die größte Suchaktion der deutschen Nachkriegsgeschichte, eine langwierige und zermürbende Suchaktion. Thiel motiviert sein Team immer wieder, bloß nicht aufzugeben.

Mircos Eltern Reinhard (Johann von Bülow) und Sandra Schlitter (Silke Bodenbender) finden als Mitglieder einer evangelischen Freikirche bei aller Verzweiflung in ihrem tiefen Glauben an Gott Halt, auch wenn Reinhards Glaube an einen gütigen und gerechten Gott hart auf die Probe gestellt wird.


Interview mit Co-Drehbuchautorin Katja Röder

"Ein Kind wird gesucht" ist eine wahre Geschichte. Wie sind Sie darauf gekommen, sie zu verfilmen?

Der Produzent Nils Dünker hat mich vor drei Jahren darauf angesprochen. Zwei junge Produzenten, Eric Bouley und Christopher Sassenrath, hatten für ihn das Buch von Ingo Thiel optioniert, in dem er als Chef der Sonderkommission den Mordfall Mirco beschreibt. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie fasziniert ich von der dort geschilderten, umfangreichen und unglaublich detaillierten Ermittlungsarbeit war: Das war die harte Realität eines tragischen Falls und kein Krimi-Märchen. Mehr als hundert Polizisten versuchten 145 Tage lang Unglaubliches, um den spurlos verschwundenen zehnjährigen Mirco Schlitter zu finden ? bis hin zu Tornados der Bundeswehr, die mit Wärmebildkameras das Suchgebiet abflogen, um nach seiner Leiche zu suchen.

Wie eng sind die Figuren in "Ein Kind wird gesucht" an die tatsächlichen Protagonisten angelehnt?

Zu Beginn haben wir uns an den Informationen der beiden Hauptkommissare Ingo Thiel und seinem Stellvertreter Ecki-Mario Eckartz orientiert, die uns auch bei der Recherche unterstützt haben. Wir haben uns ein Pressearchiv angelegt und konnten die Anklageschrift und das Strafurteil einsehen. Parallel zur Ermittlungsarbeit wollten wir im Film die Perspektive der Opferfamilie erzählen und das ging nur in enger Abstimmung mit der Familie Schlitter. Denn den Leidensweg der Familie eines verschwundenen Kindes während der Suche nach dem Vermissten zu beschreiben, ist ein heikles Unterfangen, das viel Takt und Sensibilität erfordert. Mircos Eltern waren bereits selbst mit ihrem Buch an die Öffentlichkeit herangetreten und standen unseren Recherchen für unser Filmprojekt deshalb vielleicht ein wenig offener gegenüber. Ich kann mich noch sehr genau an die erste Begegnung mit der Familie erinnern, der ich mit einer gewissen Furcht entgegenblickte. Als Autorin, die Fragen stellen will und muss, kommt man sich schnell wie ein Eindringling vor, der schmerzhafte Erinnerungen aufwühlt. Aber diese herzlichen Menschen haben meine Sorgen schnell beseitigt.

In der Auseinandersetzung mit dem Leid handeln die Eltern und insbesondere Sandra Schlitter aus ihrem Glauben heraus. Sie spricht sogar von Vergebung gegenüber dem Täter ...

Die Frage nach Vergebung eines Mordes, mit der sich die Eltern auseinandersetzen, ist so schwierig wie auch universell. Jeder Mensch, der um die Frage der Vergebung ringt, wenn ihm zuvor großes Unrecht widerfahren ist, verdient Anerkennung und Respekt, denn ohne diese Fähigkeit wäre ein Miteinander in unserer Gesellschaft nicht möglich. Leider ist der Wille zur Vergebung in Zeiten des "Ich zuerst" scheinbar immer weniger anzutreffen. Bei den Schlitters fußt der Wille zu Vergeben auf ihrem festen Glauben an ihren Gott. Er ist es, der ihnen den Halt gibt während der Zeit des Hoffens und er ist es, der sie den Schritt gehen lässt, dem Täter verzeihen zu wollen. Sie fragen sich: "Wie können wir als Familie, auch unseren anderen Kindern zuliebe, weiterleben, um nicht im Hass zu versinken?"

Reinhardt sagt im Film: "Warum sollte Gott es wollen, dass ein Kind getötet wird?" Sandra antwortet: "Er hat uns den freien Willen gegeben, und so die Möglichkeit, dass wir uns etwas Böses antun." Das ist die klassische Theodizee-Frage und -Antwort. Stand sie schon im Buch der Schlitter?

Ja, das steht in ihrem Buch, das haben wir von dort übernommen. Als Drehbuchautorin versuche ich Menschen so präzise wie möglich zu schildern. Deshalb habe ich diese entscheidende Frage und ihre Antwort übernommen. Zu schildern versuche ich im Drehbuch: Die Eltern des Opfers glauben an die Allmacht Gottes, aber auch daran, dass er zulässt, dass unglaublich schmerzliche Dinge passieren. Vielleicht glauben sie, Gott habe ihnen diese Aufgabe gestellt. Vor allem aber sind sie davon überzeugt, dass Gott ihnen Halt gibt. Aber Gott ist nicht verantwortlich für ihr Leid, denn Gott hat dem Menschen die Freiheit gegeben, Gutes oder Schlechtes zu tun.

Anfangs sprachen Sie vom großen Aufwand der Ermittlungsarbeit. Das führt zu einer Frage im Zusammenhang mit unserer Kultur: Was sind wir bereit zu tun, um einen einzigen Menschen zu retten?

Der Polizist Ingo Thiel sagt: "Wenn das Kind eines Politikers entführt worden wäre, dann würden wir diesen Aufwand betreiben. Mir ist es egal, ob es ein Kind aus dem Kaff oder von einem Prominenten ist. Wir tun alles, was möglich ist, um das Kind zu finden." In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an ein schreckliches Video aus dem Internet: In einer Gasse überfährt ein Lkw ein Kind, das auf der Straße spielt. Der Fahrer fährt einfach weiter. Das Kind bleibt schreiend liegen und keiner kümmert sich. Wo auch immer dieses Video entstanden ist, jedenfalls spielt es nicht in Europa. Denn in unserer Gesellschaft zählt ein Menschenleben. In anderen Gesellschaften ist das mitunter leider weniger der Fall. Wir können uns tatsächlich glücklich schätzen, heute und vor allem hier in Deutschland zu leben. Deshalb finde ich dieses ganze Geschrei in jüngster Zeit besonders makaber, dass anscheinend beachtliche Teile der Gesellschaft neuerdings meinen, ihnen würde etwas weggenommen, was ihnen grundsätzlich zusteht, anstatt zu erkennen, dass unsere Gesellschaft sich dazu verpflichtet hat, die Rechte jedes Menschen zu schützen. Ohne Ausnahme. Und für diese Haltung ist unser Film ein Beispiel.

"Ein Kind wird gesucht". Buch: Katja Röder, Fred Breinersdorfer, Regie: Urs Egger. 90 Minuten. Montag, 22. Oktober, 20.15 Uhr, ZDF



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