LICHTER | Lichter
Filmische Qualität:   
Regie: Hans-Christian Schmid
Darsteller: August Diehl, Herbert Knaup, Julia Krynke, Devid Striesow, Henry Hübchen, Maria Simon, Ivan Shvedoff, Aleksandra Justa, Janek Rieke
Land, Jahr: Deutschland 2002
Laufzeit: 100 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X-


JOSÉ GARCÍA
Foto: Prokino

„Ihr versteckt Euch den ganzen Tag im Wald. Wenn es dunkel wird, geht Ihr bis zu den ersten Lichtern.“ Mit diesen Worten setzt ein Schlepper in der ersten Sequenz des Filmes „Lichter“ eine Gruppe ukrainischer Flüchtlinge in einem Waldstück aus. Er versichert ihnen, diese Lichter gehören zu einem Berliner Vorort. In Wirklichkeit befinden sie sich noch in Polen. Um zu den Wohlstand versprechenden Lichtern von Frankfurt an der Oder zu gelangen, müssen die Flüchtlinge noch den Grenzfluss überqueren.

Diese auf einem Zeitungsbericht basierende Erzählung stellt einen der fünf Handlungsstränge des mit dem Preis der internationalen Filmkritik bei der diesjährigen Berlinale sowie mit dem Deutschen Filmpreis in Silber 2003 ausgezeichneten Spielfilmes „Lichter“ dar. In seiner vierten Regiearbeit verwebt Hans Christian Schmid mehrere Geschichten, die sich innerhalb von 48 Stunden in der geteilten Grenzstadt Frankfurt (Oder)/Slubice abspielen: In lose miteinander verknüpften Handlungsfäden erzählt „Lichter“ abgesehen von den Flüchtlingen, die in den Goldenen Westen wollen, noch vom polnischen Taxifahrer, der seiner Tochter unbedingt ein neues Erstkommunionkleid kaufen will; vom Scheitern des ostdeutschen Bettenverkäufers, der eigentlich eine zündende Geschäftsidee hatte; vom jungen Architekten, der ein Wiedersehen mit seiner ehemaligen polnischen Freundin feiert und enttäuscht feststellt, dass sich diese von feisten Geschäftsleuten nicht nur fürs Dolmetschen bezahlen lässt; sowie von jugendlichen Brüdern, die ihrem Vater beim Zigarettenschmuggeln helfen und sich in dasselbe Mädchen verlieben.

Einige dieser Geschichten bedienen zweifelsohne gängige Klischees: etwa das der Dolmetscherinnen, die reichen Geschäftsleuten eine im wörtlichen Sinn Rund-um-die-Uhr-Betreuung anbieten, oder das des jungen, engagierten Architekten, dessen mit viel Einsatz und Herzblut fertiggestellter Entwurf von denselben Geschäftsleuten gestrichen wird, ohne mit der Wimper zu zucken. Bei den fünf, oder eigentlich sechs, Parallelsträngen droht auch die Übersicht schon einmal verloren zu gehen. Dennoch: im Gegensatz zu manchem Episodenfilm wie „September“, in dem von einem Erzählfaden zu einem beliebig anderen geschnitten wird und die Handlungsstränge eher willkürlich nebeneinander laufen, als dass sie miteinander verknüpft würden, überzeugt „Lichter“ durch seinen gleichmäßigen Rhythmus.

Auch wenn die verwackelte Handkamera auf Dauer ermüdet – im Wald etwa erzielt sie ein hervorragendes Ergebnis, an anderen Stellen stört sie eher –, wirkt „Lichter“ lange nach, was vor allem auf das stimmige Figurenensemble zurückzuführen ist. Denn lediglich auf den ersten Blick handelt „Lichter“ von Menschen auf beiden Seiten einer Grenze, welche die „Festung Europa“ von weniger wohlhabenden Ländern trennt sowie von der Sehnsucht, ins gelobte Westen zu gelangen und an dessen Wohlstand ein wenig zu partizipieren. Bei näherem Hinsehen erweist sich indes „Lichter“ als ein Film über Verlierer, ganz gleich auf welcher Seite der Grenze sie leben, über Menschen, die betrogen werden und darauf gleich schäbig mit Betrug und Verrat reagieren.

Obwohl Hans-Christian Schmid an diesen bittertraurigen Geschichten nichts beschönigt und obwohl „Lichter“ kein billiges Happy End hervorzaubert, hinterlässt der Film keinen resignierenden Eindruck. Dass „Lichter“ letztlich doch noch Hoffnung bietet, liegt am Überlebenswillen dieser Figuren sowie an ihrer spürbaren Liebenswürdigkeit trotz oder gerade wegen ihrer Schwäche. Besonders die Geschichte von Ingo, dem Bettenverkäufer, der auf seine Geschäftsidee so fixiert ist, dass er nicht merkt, welche Gefühle ihm Simone entgegenbringt, rührt den Zuschauer gerade deshalb an, weil die beiden Figuren einfache, auf der Leinwand selten anzutreffende Menschen aus Fleisch und Blut sind. Zurecht brachte Devid Striesow die Rolle des Ingo eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis ein.

Die Schicksale, die „Lichter“ miteinander verwebt, sind an der deutsch-polnischen Grenze angesiedelt, besitzen jedoch mehr als die irgendeines anderen deutschen Films der letzten Jahre universalen Charakter.
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