TEMPERATUR DES WILLENS, DIE | Die Temperatur des Willens
Filmische Qualität:   
Regie: Peter Baranowski
Darsteller:
Land, Jahr: Deutschland 2017
Laufzeit: 99 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 6/2018


José García
Foto: eksystent

"Unser Orden überwindet Krise", zitierte kath.net im November 2014 P. Andreas Schöggl, Ordensprovinzial der Legionäre Christi für Mittel- und Westeuropa. Der Orden war nach Bekanntwerden gravierender moralischer Verfehlungen seines Gründers Marcial Maciel (1920—2008) und Missstände in den Einrichtungen des Ordens in eine schwere Krise geraten. Daraufhin ernannte Papst Benedikt XVI. im Mai 2010 Kardinal De Paolis zu seinem Sonderbeauftragten, der grundlegende Reformen und eine geistliche Erneuerung des Ordens begleiten sollte. 2014 folgte auf De Paolis der Jesuit Gianfranco Ghirlanda als päpstlicher Berater der Ordensgemeinschaft.

Einen Einblick in die jetzige Verfassung der Legionäre Christi liefert der nun im deutschen Kino anlaufende Dokumentarfilm "Die Temperatur des Willens" von Peter Baranowski. Der Regisseur konnte den Alltag seines Bruders Pater Martin Baranowski unmittelbar filmen. Daraus ergibt sich ein unverstellter Blick auf das Leben der Gemeinschaft. Da der Film auf direkte Interviews und auch auf einen Kommentar verzichtet, bleibt allerdings Einiges im Dunkeln, etwa der Unterschied zwischen Freizeitangeboten für Jugendliche und dem Ordensnoviziat, oder wie der Laienzweig — "Regnum Christi" — arbeitet. Dennoch: Der ungefilterte Blick auf die Legionäre Christi trägt zum Verständnis des katholischen Ordens in hohem Maße bei.


Interview mit Regisseur Peter Baranowski

Als Bruder von Pater Martin Baranowski bekamen Sie offenbar eher Zugang zu den Legionären Christi, als irgendein Unbekannter. Macht Sie dies befangen? Mussten Sie sich sozusagen besonders um Unparteilichkeit bemühen?

In einem frühen Stadium der Konzeption geisterten mir halb unbewusst einige Floskeln zur moralischen Positionierung durch den Kopf. Etwa: "Mein Bruder ist aufrichtig, die Organisation eher fragwürdig." Solche Ansätze führten mich in der Erkenntnis aber nicht weiter, sie verstellten vielmehr den Blick. Beim Studium der Filmgeschichte wurde mir schnell klar, dass die großen Dokumentarfilme sich durch eine unbedingte Neugier auszeichnen und die Wertung dem Zuschauer überlassen. Ich entschied also, mich ausschließlich auf das zu stützen, was ich unmittelbar beobachten kann. Dass der Film auch von meinem Bruder handelt, war ein Grund mehr, diese ästhetische Entscheidung sehr bewusst zu treffen.

Wahrscheinlich kannten Sie die Legionäre Christi schon vorher. Haben Sie durch die Arbeit am Film ein besseres Verständnis für sie gewonnen?

Im Teenageralter kam durch Vermittlung eines Bekannten sporadisch Pater Kelly bei uns zu Besuch. Damals hat diese Begegnung auch auf mich elektrisierend gewirkt. Es gab da eine Verknüpfung von Weltläufigkeit, Ernsthaftigkeit und Leidenschaft, die auf Jugendliche sehr anziehend wirkte. Und dabei war das ganz lupenrein katholisch. Die Ortskirche wirkte dagegen langweilig, provinziell und alt. Im Rückblick denke ich, dass Kellys Methoden damals ziemlich manipulativ waren. Nach dem Skandal um ihren Gründer und den darauf folgenden öffentlichen Diskussionen sind die Legionäre heute allerdings deutlich zurückhaltender. Meine Beobachtung ist, dass es auch in Deutschland ein Bedürfnis nach einer christlichen Jugend- und sogar Gegenkultur gibt. Die Legionäre Christi versuchen dem zu begegnen, indem sie begeistert für ihren Glauben einstehen. Solche sich nach außen mitteilende Begeisterung spielt eine zentrale Rolle, sie wird intern beinahe als Lackmustest für authentischen Glauben angesehen. Als Jugendlicher habe ich das oft als beklemmend empfunden. Während der Dreharbeiten fragte ich mich manchmal, wie hart dieser Imperativ vielleicht auch für die Ordensleute selbst ist.

Inwieweit sind die Begegnungen spontan, etwa beim Gespräch zwischen Ihrem Bruder und Pater Kelly in Jerusalem? Hatten Sie vorher ein Drehbuch verfasst?

Ein Drehbuch gab es nicht. Wir haben uns im Wesentlichen einfach nach dem Arbeitsalltag meines Bruders gerichtet. Natürlich war es leider nicht möglich, seelsorgliche Einzelgespräche oder Ähnliches zu filmen. Sonst gab es von Seiten des Ordens keine Vorgaben, Einschränkungen oder Abnahmen. Weil Pater Kelly diese wichtige Rolle im Leben meines Bruders gespielt hatte, lag es nahe, ihn im Film auftreten zu lassen.

Die "Causa Maciel" spielt natürlich eine wichtige Rolle. Die Bilder auf dem Petersplatz mit Johannes Paul II. sind die einzigen Archivbilder im Film. Hatten Sie daran gedacht, weitere Archivbilder einzusetzen, die etwas mehr über die Geschichte der Legionäre Christi hätten erzählen können?

Der Umgang mit Archivmaterial ist immer auch eine formale Herausforderung. Ich muss mich ja fragen: Wer hat das gedreht und zu welchem Zweck? Welche Aussagen sollten damit getroffen werden? Die gezeigten Aufnahmen wurden seinerzeit von dem Orden selbst erstellt und dienten der Eigenwerbung. Die Ästhetik dieses Materials orientiert sich eher an Hollywood und hebt sich damit deutlich von meinem Stil ab. Ich sehe es als Teil der Erzählung des Ordens von sich selbst und zeige es wie es ist als eine weitere, vorgefundene Realität. In dieser Form ließe sich aber nicht die gesamte Geschichte der Legionäre Christi erzählen. Für mich lag der Fokus auch eher darauf, wie die Gemeinschaft mit diesem katastrophalen Einschnitt in ihrer Geschichte im Hier und Jetzt umgeht.

Haben Sie den Eindruck, dass sich die Legionäre Christi nach der Aufdeckung des Doppellebens von Maciel wieder gefestigt haben?

Mein persönlicher Eindruck ist, dass den Legionären Christi die eher dunkle Magie der Anfangsjahre zusammen mit der Verehrung ihres Gründers recht nachhaltig ausgetrieben wurde. Was bleibt, ist seriöser, aber auch deutlich nüchterner. So teilen sie inzwischen auch die Probleme anderer Gemeinschaften: Mitgliederschwund und Zukunftssorgen. Das Ringen der Gemeinschaft um das eigene Selbstbild, das "Ordenscharisma", wirkte auf mich zuweilen, als müsse man einen verloren gegangenen Film auf Basis verbliebener Kritiken noch einmal neu drehen.
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