MANN AUS DEM EIS, DER | Der Mann aus dem Eis
Filmische Qualität:   
Regie: Felix Randau
Darsteller: Jürgen Vogel, André M. Hennicke, Susanne Wuest, Violetta Schurawlow, Sabin Tambrea, Martin Augustin Schneider, Axel Stein, Franco Nero
Land, Jahr: Deutschland, Italien, Österreich 2017
Laufzeit: 96 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: G, X
im Kino: 11/2017
Auf DVD: 6/2018


José García
Foto: Martin Rattini

Als am 19. September 1991 in den Ötztaler Alpen die nahezu unversehrte und vollständig erhaltene Mumie eines 1,54 m großen Mannes gefunden wurde, war das eine Sensation, zumal als es sich herausstellte, dass "der Mann aus dem Eis" vor etwa 5 300 Jahren gelebt hatte. Bald bürgerte sich die Bezeichnung "Ötzi" ein. Inzwischen haben wissenschaftliche Studien belegt, dass "Ötzi" durch eine Pfeilattacke getötet wurde. Ferner sind seine Lebensumstände etwa aus Kleidung und Ausrüstung, aber auch aus seinem Mageninhalt rekonstruiert worden.

Drehbuchautor und Regisseur Felix Randau stellt den "ersten ungeklärten Mordfall" der Geschichte in den Mittelpunkt seines Spielfilms "Der Mann aus dem Eis", der im Film Kelab heißt: Kelab (Jürgen Vogel) lebt vor 5 300 Jahren in den Südtiroler Alpen zusammen mit seiner Frau Kisis (Susanne Wuest). Als eine Gebärende aus der Sippe stirbt, steht Kelab der Totenfeier vor. Er heißt das Neugeborene feierlich willkommen ? Leben und Tod liegen nah beieinander. Als Kelab auf der Jagd ist, wird seine Siedlung von Krant (André M. Hennicke) und seinen Söhnen Tasar (Sabin Tambrea) und Gosar (Martin Augustin Schneider) überfallen. Sie rauben das Heiligtum der Gemeinschaft und töten Kelabs ganze Sippe. Kelab macht sich zusammen mit dem einzigen Überlebenden, dem Neugeborenen, auf den Weg, um seine Feinde zu finden, und an ihnen Rache zu nehmen.

Ausgehend von den gesicherten Fakten entwirft Felix Randau ein Rache-Drehbuch, das von einem klassischen Western inspiriert zu sein scheint. In der ersten Filmhälfte rekonstruiert Randau das Leben in einer jungsteinzeitlichen Siedlung, deren spirituelles Oberhaupt der Protagonist ist. Bei allen Unterschieden wird deutlich, dass Vieles ? etwa Liebe, Hass oder auch die Einstellung zum Tod und dem Jenseits ? nicht anders als beim heutigen Menschen ist. Besondere Erwähnung gebührt der (spärlich) eingesetzten Sprache: Zusammen mit einem Sprachforscher entwickelte Felix Randau eine an eine Urform des Rätischen angelehnte Sprache, die zwar im Film nicht untertitelt wird, die aber ohne Probleme für den Zuschauer verständlich ist.


Interview mit dem Drehbuchautor und Regisseur Felix Randau sowie dem Hauptdarsteller Jürgen Vogel


Bei "Ötzi" handelt es sich um den ersten ungeklärten Mordfall der Geschichte. Wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, darüber einen Film zu drehen?

Felix Randau: Ich habe lange nach einer mythischen Figur in unseren Breitengraden gesucht, an der man eine universelle Geschichte festmachen kann. Ich bin zufällig auf den Ötzi gestoßen, und habe gemerkt, dass über ihn sehr wenig bekannt ist, so dass man der Fantasie freien Lauf geben kann. Die Fakten reduzieren sich auf das, was er dabei hatte. Man weiß auch, dass er ermordet, aber nicht ausgeraubt wurde, was seltsam ist.

Jürgen Vogel: Es heißt, man wisse nicht viel. Eigentlich weiß man jedoch ganz schön viel. Wir wissen, was für Kleidung er trug. Ich finde zum Beispiel sehr interessant, dass man sehen kann, wie seine Mantel-Jacke aus Ziegenfell vernäht wurde. Wir kennen auch die Werkzeuge, den Bogen und die Pfeilspitzen, oder auch den Bastschutz gegen Regen und Schnee, eine Art Zelt, das er über sich selbst hielt. Es sind auch Hütten gefunden worden, sowie Türhalterungen und Verschlüsse für die Türen. Anhand dieser Dinge kann man schon Einiges über ihn und über die Kultur sagen.


Sie waren frei in der Entwicklung des Drehbuchs. Stand als Vorbild ein Western, etwa "The Searchers" ("Der schwarze Falke", John Ford 1956)?

Felix Randau: Ich gebe Ihnen recht, der Film folgt den Westernstrukturen. "The Searchers" ist zwar einer meiner Lieblingsfilme, aber da sehe ich die Parallelen nicht ganz. Die Parallele, die ich sehen würde, besteht in der epischen Tragödie, dass jemand mit sich selbst oder mit den Göttern hadert. Im getriebenen Charakter liegt eine gewisse Ähnlichkeit.

Jürgen Vogel: Es ist definitiv eine klassische Rachegeschichte. Die Frage ist: Was macht die Rache mit ihm? Sie macht ihn blind, was zu einem fatalen Fehler führt. Und dies führt in unserer Geschichte im Grunde zum Ende von Ötzi. Ich finde es sehr gut entwickelt. Dass es nicht immer gut ist, seinen Instinkten zu folgen, dem Kreislauf von Hass nachzugeben.


Die Lebensbedingungen mögen anders als heute ausgesehen haben. Aber sind die Menschen nicht im Kern gleich?

Jürgen Vogel: Es gibt viele Emotionen, die auch mit uns zu tun haben: Liebe, die Suche nach etwas Höherem. Das ist nicht nur religiös geprägt, sondern auch in dem Sinne, was eine Gesellschaft zusammenhält. Es ist ethisch geprägt, dass Menschen, die in einem Zusammenschluss leben, auch Regeln brauchen. Oft wurden diese Regeln im Überirdischen verankert, weil der Mensch nach etwas sucht, was größer als er selbst ist. In diesen großen Emotionen wie Liebe und Hass bewegen wir uns auch heute. Da wird sich nicht viel verändert haben. Davon bin ich überzeugt. Dazu kommt, dass Ötzi fast 70 Tätowierungen in verschiedenen Größen hatte. Damit ist er der älteste gefundene Mensch, der tätowiert war. Es wird vermutet, dass sie kultischen Charakter hatten, eine Art Religion. Auch für die Ägypter spielten solche Tätowierungen eine kultische Rolle. Ich glaube auch, dass die Menschen Sehnsucht nach Erlösung haben ? egal, ob es von der Natur oder von etwas anderem ist.

Felix Randau: Natürlich haben wir keine Belege für die religiösen Motive, die im Film auftauchen. Aber es sind religiöse Handlungen, die man von Naturvölkern kennt: Begrüßung im Leben, Abschied vom Leben. Und auch in jeder Religion gibt es Vermählung von Mann und Frau. Ich glaube, es gibt keine Gesellschaft ohne Religion. Sie gibt Antworten auf zwei wichtige Fragen, wie das Zusammenleben gestaltet werden soll, und auf diese unfassbare Tatsache, dass wir alle sterben müssen. Der Film ist eine Art Religionskrieg im Kleinen. Auch heute passieren Religionskriege, wobei Religion häufig missbraucht wurde für etwas anderes. Wir haben nach etwas gesucht, was in den Augen der damaligen Menschen etwas Existenzielles, spirituell Aufgeladenes sein kann, aber für uns etwas Belangloses ist, diesen Spiegel. Als Kelab sich von ihm, der Ursache des Konflikts löst, versucht er, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Das ist der Kern der Geschichte.


Ein Wort zur Sprache. Wir verstehen sie nicht, aber der Zuschauer versteht doch alles. Wie haben Sie diese Entscheidung getroffen?

Felix Randau: Bei den Testvorführungen dachte ich, das würde angesprochen. Aber es kam nicht zur Sprache. Den Zuschauern ist es gar nicht aufgefallen. Wenn die Schauspieler ein geschliffenes Oxford-Englisch gesprochen hätten, wäre es lächerlich geworden. Oder der Film hätte einen Märchen-Anstrich bekommen. Wir haben den Weg gewählt, eine Kunstsprache zu rekonstruieren, die aber gewisse Gesetzmäßigkeiten hat.

Jürgen Vogel: Der Sprachwissenschaftler Chasper Pult, der die Worte und Sätze entwickelt hat, sagte, wir machen keine intellektuelle Sprache. Wir glauben, dass sie eine reduzierte, eine "Tun-Sprache" gesprochen haben: eine Sprache, die versucht zu verbalisieren, was man tut. So hat er die Sprache als eine frühe Form des Rätischen entwickelt. Er hat auch eine ganze Liste von Möglichkeiten entwickelt: Verabschiedungen, Gebete, Gesänge ... Dadurch drückt sich auch ein Streben nach etwas Höherem aus.


Wie haben Sie die Drehbedingungen "im Eis" empfunden?

Jürgen Vogel: Wir haben in sämtlichen Jahreszeiten gedreht. Wir haben im Spätsommer angefangen. Dann sind wir in den Herbst und, da wir hoch in den Bergen gedreht haben, auch in den Winter gekommen.


Für welches Konzept steht die Musik?

Felix Randau: Es sollte Neue Musik sein. Ich mag keine Filmmusik, die sich wegduckt oder die Gefühle untermalt. Sie soll einen eigenen Charakter haben.

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