SIE NENNEN IHN RADIO | Radio
Filmische Qualität:   
Regie: Michael Tollin
Darsteller: Cuba Gooding Jr., Ed Harris, Debra Winger, Alfre Woodard, S. Epatha Merkerson, Sarah Drew, Chris Mulkey, Riley Smith, Bill Roberson
Land, Jahr: USA 2003
Laufzeit: 109 Minuten
Genre: Zwischenmenschliche Beziehungen
Publikum: ohne Altersbeschränkung
Einschränkungen: --


JOSÉ GARCÍA
Foto: Columbia TriStar Film

Der Sportfilm „nach einer wahren Geschichte“ hat sich in den Vereinigten Staaten inzwischen zu einem eigenen Genre entwickelt. So erzählte zuletzt „Die Entscheidung – Eine wahre Geschichte“ („The Rookie“, 2002) vom späten, aber nicht allzu späten Traum, Profi-Baseballer zu werden. In Deutschland schaffte „Die Entscheidung“ (siehe Filmarchiv) den Sprung ins Kino allerdings nicht, sondern kam lediglich als Videofilm heraus, wohl wegen der Schwierigkeiten, die diese Sportart für Mitteleuropäer mit sich bringt. Konzentrierte sich das von Mike Rich verfasste Drehbuch zu „Die Entscheidung“ hauptsächlich auf den Sport Baseball, so steht im Mittelpunkt vom Spielfilm „Sie nennen in Radio“, dessen Drehbuch ebenfalls von Mike Rich stammt, eher die rührende, wahre Geschichte des geistig behinderten James „Radio“ Kennedy.

„Radio“ wird von den Bewohnern des Städtchens Anderson im US-Bundesstaat South Carolina, in dem die Geschichte angesiedelt ist, größtenteils ignoriert oder sogar schikaniert, etwa auch von den Footballspielern der örtlichen High School. Harold Jones, Trainer des Football-Teams, macht hingegen „Radio“ zu seinem Schützling und überträgt ihm Hilfsaufgaben beim Training. Dank des Engagements Jones’ gelingt Radio eine gewisse soziale Integration, zumal Harold Jones den geistig behinderten Jungen einlädt, an seinem Schulunterricht teilzunehmen.

Die Integration Radios geschieht natürlich nicht reibungslos, denn einerseits befürchtet die Schuldirektorin, die Gegenwart Radios in der Schule würde den normalen Unterricht stören, andererseits trifft Jones mit seiner Fürsorge für Radio auf den Widerstand einiger Bürger des Städtchens, die sich regelmäßig im Barber Shop versammeln, um die Football-Ergebnisse zu diskutieren. Unter der Führung des örtlichen Bankiers und Vaters des Stars der Footballmannschaft macht sich die Meinung breit, der Junge bedeute „eine Ablenkung“ für die Spieler und deren Trainer.

„Sie nennen ihn Radio“ erzählt diese im Kern wahre Geschichte mit klassischen Mitteln: das Drehbuch folgt einer linearen Erzählweise, die Kameraführung nimmt sich ebenfalls konventionell aus, der unauffällige, aber wirkungsvolle Schnitt treibt die Erzählung im ruhigen Rhythmus voran. Neben einer für eine große Hollywood-Produktion typisch genau rekonstruierten Ausstattung, welche die siebziger Jahre wieder erstehen lässt, konzentriert sich Regisseur Mike Tollin vor allem auf die Figurenzeichnung. „Sie nennen ihn Radio“ ist vorwiegend ein Schauspieler-Film: Cuba Gooding jr. gestaltet seinen „Radio“, wie wir den geistig Behinderten im Film seit „Rain Man“ kennen, mit vielen Manierismen, mit einer eigens entwickelten Körpersprache. Ed Harris verkörpert Football-Trainer Harold Jones souverän wie immer. „Sie nennen ihn Radio“ ist darüber hinaus bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt: Neben Alfre Woodard als Schuldirektorin erlebt der Zuschauer in „Sie nennen ihn Radio“ vor allem das Comeback einer der großen Schauspielerinnen des US-amerikanischen Kinos: nach fast einem Jahrzehnt Leinwandabstinenz kehrt Debra Winger, die Anfang der achtziger Jahre für ihre Rollen in „Ein Offizier und Gentleman“ (1982) und „Zeit der Zärtlichkeit“ (1983) sowie dann in „Shadowlands“ (1993) für den Oscar nominiert wurde, ins Kino zurück. Sie verleiht dem Part der Trainer-Ehefrau Linda Jones eine außergewöhnliche Intensität.

Besonders die Rolle der Linda Jones hilft dazu, den Pathosgehalt einer solch sentimentalen Story zu reduzieren und – ähnlich in „Die Entscheidung” – ein erfrischend normales Familienbild zu bieten, das in Hollywood-Filmen immer seltener anzutreffen ist. In „Sie nennen ihn Radio“ stehen darüber hinaus Menschlichkeit und Freundschaft sowie die verbindende und verändernde Kraft, die Sport in sich haben kann, im Vordergrund.
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