LÖWENMÄDCHEN, DAS | Lovekvinnen
Filmische Qualität:   
Regie: Vibeke Idsoe
Darsteller: Rolf Lassgard, Mathilde Thomine Storm, Ida Ursin-Holm, Kjersti Tveteras, Aurora Lindseth Lokka, Connie Nielsen, Ken Duken, Burghart Klaußner
Land, Jahr: Norwegen, Deutschland 2106
Laufzeit: 126 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 9/2017


José García
Foto: NFP

Eine verschneite norwegische Kleinstadt. Es ist Winter 1912, als Ruth (Lisa Loven Kongsil), die Frau des Bahnhofsvorstehers Gustav Arctander (Rolf Lassgard), ein Mädchen zur Welt bringt. Ruth stirbt bei der Geburt. Beim Anblick des Kindes ruft der Arzt aus: "So etwas habe ich noch nie gesehen". Eva, wie sie ihr Vater nennt, ist wegen eines Gendefekts von einem Pelz blonder Haaren am ganzen Körper bedeckt: "Das ist kein Kind, das ist ein Monster", schreit Arctander. Daher der Titel des norwegisch-deutschen Spielfilmes "Das Löwenmädchen" ("Lovekvinnen"), der auf dem gleichnamigen Roman von Erik Fosnes Hansen (2006) basiert. Das Drehbuch stammt von Vibeke Idsoe, die auch Regie führt.

"Das Löwenmädchen" erzählt chronologisch aus dem Leben eines Mädchens beziehungsweise einer jungen Frau, die der Wissenschaft Rätsel aufgibt. Selbst der Spezialist aus der Hauptstadt weiß keinen Ausweg, um das "Fell" von Evas Körper zu entfernen, sehr zum Leidwesen ihres Vaters. Verstoßen möchte er zwar seine Tochter nicht, aber er verbietet ihr jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Eva wächst also isoliert, aber von dem patenten Kindermädchen Hannah (Kjersti Tveteras) umsorgt, auf. Als Siebenjährige hat sich Eva (Aurora Lindseth Lokka) ihre eigene Welt erschaffen. Sie befreundet sich mit dem Bahnhofsangestellten "Funken" (Rolf Kristian Larsen), der ihr das Morsen beibringt, und der Evas Talent für die Mathematik entdeckt. Auf Hannahs Drängen hin schickt Gustav seine Tochter zur Schule, aber dort wird sie gehänselt. Ein Versuch, Eva in Gesellschaft zu zeigen, endet ebenfalls in einem großen Eklat.

Der Film macht einen Schritt ins Jahr 1926. Die inzwischen 14-jährige Eva (nun von Mathilde Thomine Storm dargestellt) fährt mit ihrem Vater zu einem Dermatologen-Kongress nach Kopenhagen, was wieder einmal zu einer Enttäuschung führt, jetzt sogar verbunden mit sexueller Belästigung. Irgendwann einmal brennt Eva mit einem Kuriositätenkabinett durch. Jahrelang zieht sie (jetzt von Ida Ursin-Holm gespeilt) unter der Führung des extravaganten Direktors Johannes Joachim (Burghart Klaußner) mit siamesischen Zwillingen, dem Echsenmann (Ken Duken) und einer bärtigen Frau durch die Welt. Obwohl sie nun finanziell unabhängig ist, wird Eva dadurch nicht glücklich. Nach einigen Jahren wagt sie es auszubrechen, um in der Welt der "Normalen" ihren Platz zu suchen. Ihr Weg führt sie nach Paris, um in der Sorbonne-Universität Mathematik zu studieren.

Ein gewisses Problem, gegen das "Das Löwenmädchen" anzukämpfen hat, ist die Glaubwürdigkeit der "Maske": Die Gesichtsbehaarung wirkt nicht nur fremd, sondern auch artifiziell. Dennoch machen dies die drei Schauspielerinnen, die Eva in den drei verschiedenen Lebensabschnitten verkörpern, durch ihre schauspielerische Leistung wieder wett. Dazu führt die Deutsche Film- und Medienbewertung FBW bei der Verleihung des Prädikats "wertvoll" aus: "Ihnen ist es zu danken, dass der Zuschauer sehr schnell Eva nicht als einen ,Fehler der Natur? sieht, sondern als einen einzigartigen Menschen, der sich willensstark und anmutig gegen die anderen zu behaupten weiß."

Die Handlung sowie das detailreiche Produktionsdesign folgen dem Muster einer aufwändigen Hollywood-Großproduktion. Was wiederum dazu führt, dass einige Szenen etwas klischeehaft anmuten. Die epische Erzählung nimmt sich Zeit für ein langes Gespräch zwischen Eva und einer älteren Dame, das eine wichtige emotionale Rolle innerhalb des Filmes einnimmt. Denn diese Dame nimmt nicht nur das Mädchen ernst. Darüber hinaus begegnet sie Eva mit einer Normalität, die sie bis dahin im Umgang mit "normalen" Menschen kaum gekannt hatte. Andererseits wirkt die Erzählung an einigen Stellen teilweise weitschweifig, während bei anderen Gelegenheiten bestimmte Erzählstränge lediglich angerissen werden. Eine Stärke des Filmes von Drehbuchautorin und Regisseurin Vibeke Idsoe besteht freilich darin, konsequent aus der Sicht seiner Protagonistin zu erzählen. Dafür stützt sich "Das Löwenmädchen" weniger auf eine Off-Stimme, wie dies bei Romanverfilmungen häufig der Fall ist, als auf die Kameraführung. Ohne eine regelrechte subjektive Kamera einzusetzen, sieht der Zuschauer die Ereignisse aus Evas Perspektive.

Mit der dadurch zum Ausdruck kommenden Empathie für ihre Hauptfigur gelingt Vibeke Idsoe ein sensibles Porträt einer Frau, die zwar äußerlich anders als die anderen Menschen ist, die sich jedoch als eine durchaus talentierte und empfindsame junge Frau herausstellt, und die ihren eigenen Platz in der Welt zu finden weiß. "Das Löwenmädchen" macht aus dem außergewöhnlichen Einzelschicksal einer jungen Frau eine Außenseitergeschichte, wie sie eben insbesondere in Hollywood-Filmen häufig anzutreffen ist.

Dennoch behandelt "Das Löwenmädchen" insbesondere auch die Vater-Tochter-Beziehung. Dazu wiederum die Deutsche Film- und Medienbewertung FBW: "Doch im Mittelpunkt des Films steht das komplizierte Verhältnis von Eva zu ihrem Vater, der ihr lange die Schuld für den Tod seiner geliebten Frau bei der Geburt gibt. Rolf Lassgaard verkörpert ihn wunderbar als einen mürrischen Griesgram, in dessen Gefühlspanzer sich im Laufe des Films immer mehr Risse zeigen, und dessen Liebe zu seiner Tochter erst in der letzten, grandios inszenierten Szene offenbart wird."

Denn als Eva ihre Geburtsstadt ein letztes Mal besucht, nimmt sie aus ihrer Kindheit lediglich eine Mappe mit Zeichnungen mit. Damit macht sie eine Entdeckung, in der die lange verborgene Liebe ihres Vaters zu ihr deutlich zum Ausdruck kommt.
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