ZUM VERWECHSELN ÄHNLICH | Il a déjà tes yeux
Filmische Qualität:   
Regie: Lucien Jean-Baptiste
Darsteller: Lucien Jean-Baptiste, Aïssa Maïga, Zabou Breitman, Marie-Philomène Nga, Bass Dhem, Marius Benchenafi
Land, Jahr: Frankreich 2017
Laufzeit: 95 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 7/2017
Auf DVD: 11/2017


José García
Foto: Neue Visionen

"Er hat Deine Augen", sagt Paul (Lucien Jean-Baptiste) zu seiner Frau Sali (Aissa Maiga). Endlich hat ihnen die staatliche Adoptionsstelle ein Kind vermittelt. Benjamin ist ein ganz munterer Junge. Paul und Sali sind begeistert. Allerdings ist Benjamin weiß. Dass weiße Eltern ein schwarzes Kind adoptieren, kommt inzwischen relativ häufig vor. Aber umgekehrt? Für Sali und Paul ist dies überhaupt kein Problem. Wie reagiert jedoch die Umgebung? Da ist zunächst Salis aus dem Senegal stammende, Traditionen wahrende Familie. Ihr Vater Ousmane (Bass Dhem) ignoriert das Kind, ihre Mutter Mamita (Marie-Philomene Nga) fällt sogar in eine Depression. Als Sali von der Kinderärztin und von Kindermädchen auf dem Spielplatz für eine "Nanny" gehalten wird, müssen sie zugeben, dass die Welt doch nicht so liberal ist, wie es den Anschein hat. Selbst die sie betreuende Mitarbeiterin der Adoptionsstelle, Madame Mallet (Zabou Breitman), bekommt Zweifel, ob es die richtige Entscheidung war, ihnen Benjamin zu vermitteln. Als eine babysittende Freundin ohne Aufenthaltserlaubnis von der Polizei mit dem Baby aufgegriffen wird, eskaliert die Situation.

"Zum Verwechseln ähnlich" handelt nicht so sehr von einer Adoption. Der Zuschauer braucht nur das Leuchten in den Augen von Paul und Sali zu sehen, als sie das erste Mal Benjamin in den Armen halten, um zu verstehen, dass das junge Ehepaar den sechs Monate alten Jungen bereits in sein Herz geschlossen hat. Der Film stellt allerdings die Frage, wie tolerant eine Gesellschaft ist, die sich gerne als absolut liberal ausgibt? ? Stichwort Patchworkfamilie. Einige Szenen machen das überspitzt deutlich, manchmal schlägt "Zum Verwechseln ähnlich" sogar in Slapstick um. Dennoch: Mit gut erarbeiteten Charakteren, die auch die Nebenfiguren einschließen, insbesondere Salis Mutter, Madame Mallet und Pauls langjähriger Freund Manu, gelingt es Mit-Drehbuchautor und Regisseur Lucien Jean-Baptiste, tiefgreifende Fragen zu stellen, etwa inwieweit Fremdenfeindlichkeit auch bei Migranten vorkommt.


Interview mit Regisseur und Hauptdarsteller Lucien Jean-Baptiste sowie Hauptdarstellerin Aissa Maiga über den Kinofilm "Zum Verwechseln ähnlich"


Dass Weiße ein andersfarbiges Kind adoptieren, ist nicht so selten. Dass aber ein schwarzes Paar ein weißes Kind adoptiert, ist schon außergewöhnlich. Wie kamen Sie auf den Gedanken?

Lucien Jean-Baptiste: Ich greife dabei auf meine eigene Erfahrung zurück. Denn ich selbst bin mit einer weißen Frau verheiratet. Weil sie einer gemischten Ehe stammen, sehen mir meine eigenen Kinder nicht besonders ähnlich (er zeigt ein Bild seiner Kinder). Dann fiel mir ein Zeitungsartikel in die Hände, in dem über ein nigerianisches Paar berichtet wurde, das ein weißes Kind bekam. Ich dachte, das wäre ein Ausgangspunkt für einen Film. Ausgerechnet in dieser Zeit erhielt ich einen Anruf von einer Filmproduktionsfirma, um mir ein Drehbuch vorzuschlagen, das genau darüber handelte: Ein schwarzes Paar, dem ein weißes Baby zur Adoption vorgeschlagen wird.

Wie haben Sie reagiert, als Sie die Rolle angeboten bekamen?

Aissa Maiga: Ehe ich überhaupt das Drehbuch zu lesen bekam, verabredete sich Lucien mit mir. Lucien war dabei ein regelrechter Wirbelsturm. Jetzt sitzt er ganz ruhig hier am Tisch. Als er aber zu dieser Verabredung kam, hat er gestikuliert und laut und viel geredet, um sein Projekt zu erklären. Dadurch hatte ich schon viel Lust mitzumachen. Ich war begeistert von dem, was ich hörte. Dennoch wollte ich das Drehbuch genau lesen, weil es sehr viele Komödien mit einer tollen Ursprungsidee gibt, bei denen aber die komischen Elemente zu einer Art Falle werden. Denn sie können die ursprüngliche Intention überlagern oder verwischen. Deswegen las ich das Drehbuch ganz genau, und war dann überzeugt, dass die Erzählung sehr gut ist, dass der Rhythmus stimmt. Darüber hinaus hat jede Figur ihre Widersprüche. Sie kommen an ihre Grenzen. Gleichzeitig werden sie sehr liebevoll und wohlwollend gezeichnet.

Die eigentlichen Themen Ihres Filmes sind ja Toleranz und Tradition. Können Sie das etwas weiter ausführen?

Lucien Jean-Baptiste: Die Ausgangssituation ist eigentlich denkbar einfach. Das Paar trifft auf das Baby, sie lieben das Kind, und das Kind liebt die Eltern. Dann gehen sie nach Hause und stellen es ihrer Familie vor. Durch die Erwartungen der Verwandtschaft und der Gesellschaft kommt es zu Reibungspunkten. Natürlich hat diese Situation ein humoristisches Potenzial, aber in dem Film werden auch gesellschaftliche Fragen wie Toleranz und Tradition behandelt. Der Weg dorthin geschieht nach und nach: Beim Drehbuchschreiben taucht etwa eine bestimmte Person auf. Wenn man sie in ihrer Komplexität ernstnimmt, stellen wir bei ihr Widersprüche fest: Was erwartet sie von einer Situation, welche Vorurteile hat sie, wie geht sie damit um? Zum Beispiel Pauls bester Freund Manu, der ja eine Art Alter Ego darstellt, den ich foulosoph ? eine Mischung aus fou (verrückt) und Philosoph ? genannt habe, zeichnet ein größeres Bild von der Situation. Er sagt etwa, dass sich die Gesellschaft verändert. Damit gehen auch Probleme einher. Die Frage ist, wie wir mit diesen Problemen umgehen. Wir haben eine einzige, bescheidene Möglichkeit: Mit der größtmöglichen Ruhe unser eigenes Denken zu erweitern.

Sie sind noch in Senegal geboren und als Kind nach Frankreich gekommen. Haben Sie bei Ihren Eltern einen Kulturschock oder Ähnliches erlebt?

Aissa Maiga: Ganz und gar nicht. Mein Vater war ein sehr moderner Mensch. Ein konkretes Beispiel: In dem Viertel, wo ich aufgewachsen bin, lebte eine alte Dame, eine Weiße, die mich in ihr Herz geschlossen hatte. Ich habe hin und wieder bei ihr übernachtet. Sie war religiös und ging sonntags in die Messe, von der sie mir Jesusbilder mitbrachte. Einmal habe ich meinen Vater gefragt, ob ich in die Kirche mitgehen darf. Ich dachte, weil wir Muslime sind, würde er nein sagen. Aber er hatte nichts dagegen. Er sagte, ich würde schon irgendwann einmal selbst entscheiden, ob und welche Religion ich haben möchte. Das war der Geist, der in meiner Familie wehte. Meine Eltern haben mir nichts vorgeschrieben, weder was für einen Beruf ich ergreifen sollte, noch ob ich heiraten oder wie ich meine Kinder erziehen soll. Allerdings gab es schon in der weiteren Verwandtschaft Menschen, die durchaus konkrete Erwartungen an mich hatten, die erwarteten, dass die Tradition weitergegeben wird.

In einer Komödie sind die Nebenfiguren ganz wichtig. Vor allem die Großmutter, aber auch Madame Mallet sind ganz schön gezeichnet. Wie haben Sie die Schauspieler aufeinander abgestimmt?

Lucien Jean-Baptiste: Man muss viel üben, mit den Schauspielern reden, auf sie zugehen. Als Regisseur brauche ich Offenheit gegenüber dem Potenzial der Schauspieler, gegenüber der Erfahrung, die sie mitbringen. Als Schauspieler habe ich es leicht, weil ich weiß, was sie dazu beitragen können. Ich möchte keine frustrierten Schauspieler in meinen Filmen haben. Ich begreife das Filmemachen als Teamarbeit ? wie bei einer Fußballmannschaft, wobei ich aber der Kapitän bin.

Der Film hat einen guten Rhythmus. Allerdings gibt es eine Sequenz, eine Verfolgungsjagd im Krankenhaus, die in Slapstick umschlägt ...

Lucien Jean-Baptiste: Sie sind nicht der erste, der diese Kritik anbringt. Das habe ich schon von anderen Journalisten und auch von Filmemachen gehört. Das habe ich für meine Kinder gemacht, ihnen gefällt es. Ursprünglich waren diese Szene noch länger ...

Und das Baby. Wo haben Sie ihn gefunden? Wie war die Arbeit mit ihm?

Aissa Maiga: Es war irgendwie magisch. Es ist ein ganz ruhiges und gelassenes Kind. Die Eltern sind beide Schauspieler, das heißt, sie wissen, wie das Ganze abläuft. Das Baby durfte nur zweimal eine halbe Stunde am Tag am Set sein. Immer wenn das Baby kam, trat Ruhe ein. Alle waren sehr konzentriert. Es herrschte eine schöne, ruhige Stimmung. Das Baby hat irgendwie immer das Richtige getan. Anfangs dachten wir, wir hätten Glück, aber dann haben wir erfahren, dass die Eltern dem Kind immer ganz genau erzählt haben, was nun passiert, was es spielen soll. Und das Baby hat es auch so gemacht.

Lucien Jean-Baptiste: Es heißt Marius Benchenafi. Auch wenn es ganz blond ist und blaue Augen hat... Die Eltern kommen aus Algerien!

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