EIN KUSS VON BÉATRICE | La Sage femme
Filmische Qualität:   
Regie: Martin Provost
Darsteller: Catherine Frot, Catherine Deneuve, Olivier Gourmet, Quentin Dolmaire, Mylene Demongeot, Pauline Étienne, Audrey Dana
Land, Jahr: Frankreich 2017
Laufzeit: 117 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X -
im Kino: 6/2017
Auf DVD: 10/2017


José García
Foto: universum

Claire (Catherine Frot) ist mit Herz und Seele Hebamme. Die Exposition des Filmes von Martin Provost "Ein Kuss von Béatrice" ("La Sage femme") verdeutlicht dies an mehreren Stellen, wobei Drehbuchautor und Regisseur Martin Provost, dem 2009 mit seiner Filmbiographie über die Malerin Séraphine Louis "Séraphine" ein großer Erfolg gelang, mehrere atemberaubend realistische Geburten zeigt. Claire wird von ihren Kolleginnen wegen ihrer Erfahrung und ihrer Einfühlsamkeit zu den schwierigen Fällen gerufen. Ein unheilvolles Ereignis wirft jedoch bereits zu Anfang seine Schatten voraus: Aus Gesprächsfetzen zwischen Claire und ihren Kolleginnen wird deutlich, dass die Geburtshilfe-Station oder gleich das ganze Krankenhaus, in dem Claire arbeitet, aus Kostengründen geschlossen werden soll. Von der Übernahme durch ein hochmodernes und hocheffizientes Geburtszentrum ist auch die Rede. Claire zeigt sich allerdings überhaupt nicht geneigt, in einer steril-anonymen "Geburtsfabrik" zu arbeiten.

Durch eine unerwartete Nachricht auf dem Anrufbeantworter holt sie eine längst vergessene Vergangenheit ein: Béatrice (Catherine Deneuve), die Geliebte ihres verstorbenen Vaters, möchte sie unbedingt wiedersehen. Allerdings hat die Hebamme nicht nur mit der Schließung der Entbindungsstation, sondern auch noch damit genug zu tun, dass ihr erwachsener Sohn Simon (Quentin Dolmaire), den sie alleine großgezogen hat, zu seiner schwangeren Freundin zieht, und außerdem das Studienfach wechseln will. Béatrice lässt aber nicht locker, weil ihr gerade ein Gehirntumor diagnostiziert wurde. Einerseits möchte Béatrice ihr plötzliches Verschwinden 30 Jahre zuvor wiedergutmachen, indem sie Claire ein teures Schmuckstück und Geld schenkt. Andererseits sucht die Lebenslustige, die auf mehreren Kontinenten gelebt hat, aber nun feststellen muss, dass sie niemand hat, menschliche Geborgenheit ... und bald auch noch eine Bleibe.

Claire möchte die Vergangenheit ruhen lassen. Denn mit Béatrices Flucht verlor sie nicht nur eine Ersatzmutter ? mit ihrer eigenen Mutter hat sie sich nie verstanden ?, sondern auch ihren Vater, der sich das Leben nahm, als er von Béatrice verlassen wurde. Aber Claire hat ein zu großes Herz, als dass sie die nun der Hilfe Bedürftigen ihrem Schicksal überlassen würde. Außerdem findet sie irgendwie auch Gefallen an Béatrices Leichtsinn, der so sehr im Gegensatz zu ihrem kontrollierten Leben steht. Durch den Umgang mit der damaligen Ersatzmutter beginnt Claire den überaus sympathischen Kleingarten-Nachbarn Paul (Oliver Gourmet) lieben zu lernen.

Regisseur Provost inszeniert das Aufeinandertreffen zweier Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, ziemlich zurückgenommen, auch wenn der Film nicht immer den richtigen Rhythmus findet, und teilweise auf der Stelle tritt. Dass der Film nie in Klamauk umschlägt, hat mit der ruhigen Inszenierung zu tun, insbesondere aber auch mit den zwei großartigen Hauptdarstellerinnen, die diese ganz unterschiedlichen Frauen glaubwürdig verkörpern. Catherine Frot gestaltet Claire als bescheidene, pflichtbewusste und auch hilfsbereite Frau, die ein ziemlich einfaches Leben im Pariser Banlieue Mantes-la-Jolie führt, die nicht raucht, keinen Alkohol trinkt und kein Fleisch isst. Ihr einziges Hobby ist der Schrebergarten, in dem sie ihr eigenes Gemüse anbaut. Demgegenüber spielt Catherine Deneuve die vermeintliche ungarische Adlige als Grand Dame, die selbst nach der schwierigen Operation von ihrem frivolen Lebensstil nicht lassen kann. Dazu gehören nicht nur Rauchen, Trinken und gutes Essen, sondern etwa auch die Runden am Spieltisch, wodurch sie allerdings offensichtlich ihren aufwändigen Lebenswandel finanziert. Der Kontrast zwischen der einfachen Wohnung Claires in der Vorstadt und der geräumigen Etage mitten in Paris, wo Béatrice zunächst wohnt, verdeutlicht den Gegensatz zwischen den beiden Frauen. Dazu erklärt der Regisseur: "Claire und Béatrice sind sehr verschieden, aber nach und nach entwickelt sich dieser Kontrast zu einer komplementären Ergänzung, in ein Geben und Nehmen."

Auch wenn das Aufeinanderprallen beider Charaktere durchaus komödiantische Züge etwa in den Wortgefechten hat, findet "Ein Kuss von Béatrice" das Gleichgewicht zwischen Komödie und Drama. Dazu trägt ebenfalls die Filmmusik von Grégoire Hetzel bei, deren Leitmotiv an die schwermütige Musik von Eleni Karaindrou für "Die Ewigkeit und ein Tag" von Théo Angelopoulos (1998) erinnert. Sie habe das Leben geführt, das sie immer wollte, sagt beispielsweise Béatrice. Deswegen habe sie nun keine Angst vor dem Tod. Die Einsamkeit, aus der sie Claire herausholt, spricht dennoch eine andere Sprache. Ohne dass der Film es überdeutlich thematisiert, spielt auch die Frage der Vergebung und Versöhnung eine bedeutende Rolle.

"Der Kuss von Béatrice" ist allerdings nicht nur ein Film über "die wichtigen Dinge des Lebens". Darüber hinaus setzt Martin Provost damit dem Beruf der Hebamme ein filmisches Denkmal. Dazu führt der Drehbuchautor und Regisseur aus: "Ich wurde bei der Geburt von einer Hebamme gerettet. Sie gab mir ihr Blut und schenkte mir dadurch das Leben. Dies tat sie mit Diskretion und Bescheidenheit. Ich habe mich entschlossen, ihr auf meine Weise Tribut zu zollen, indem ich diesen Film ihr und all den namenlosen Frauen widme, die im Schatten bleiben und ihr Leben in den Dienst von anderen stellen, ohne dafür jemals Dank zu empfangen."
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