GANZ GROSSE OPER | Ganz große Oper
Filmische Qualität:   
Regie: Toni Schmid
Darsteller: (Mitwirkende): Jonas Kaufmann, Anja Harteros, Kirill Petrenko, Ivor Bolton, Zubin Metha, Nikolaus Bachler, Peter Jonas, Igor Zelensky
Land, Jahr: Deutschland 2017
Laufzeit: 90 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 6/2017


José García
Foto: Kick Film_Wilfried Hoesl

Der Dokumentarfilm "Ganz große Oper" von Toni Schmid trägt den Untertitel "Vorhang auf für eine Liebeserklärung" — eine "Liebeserklärung an die Kunstgattung Oper und die Menschen, die sie mit Leidenschaft ausüben", ergänzt der Pressetext. Der Filmemacher Toni Schmid ist im Hauptberuf Leiter der Kunstabteilung des bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, so dass die Bayerische Staatsoper in sein Ressort fällt. Nebenher hat Schmid auch Dokumentarfilme gedreht, so etwa die sechsteilige Serie "Das bayerische Gefühl — Unsere Wittelsbacher" (2006). Dass der Drehbuchautor und Regisseur die Bayerische Staatsoper von innen her kennt, kann zwar ein Vorteil sein. Die andere Seite der Medaille ist jedoch der mangelnde Abstand zum Gegenstand. Dieser Gefahr entgeht Toni Schmid mit seinem Dokumentarfilm nicht gänzlich.

Eine schnellgeschnittene Sequenz eröffnet den Film. Eine junge Frau sagt immer wieder ihren Text auf. Die Schauspiellehrerin stellt zwar fest, dass es noch nicht perfekt ist. Genauer weiß sie allerdings nicht, wie die Sängerin ihren Part besser ausdrücken soll. Wer in einem der renommiertesten Opernhäuser dieser Welt reüssieren möchte, muss schon ganz schön ackern. Keinen schlechten Einstieg in seinen Film hat Toni Schmid gewählt. Denn damit suggeriert er dem Zuschauer: Auch wenn es später bei den Aufführungen leicht aussehen soll, hier fällt niemand etwas in den Schoß. Der Eindruck wird noch verstärkt, als der Film eine Ballett-Probe zeigt: Die jungen Tänzerinnen müssen alles von sich geben.

Als Rahmen dient die Inszenierung dreier Opern: Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg", "Les Indes galantes" von Jean-Philippe Rameaus und Verdis "Un ballo in maschera". Der Film zeigt nicht nur die Proben, sondern auch die Vorbereitungen auf verschiedenen Ebenen: von den Kostümentwürfen über den Kulissenbau bis zu den Orchester- und Chorproben. Zwar nimmt sich die Dramaturgie nicht immer stimmig aus, weil "Ganz große Oper" über weite Strecken lediglich Proben, Einblicke in die Werkstätten und Interviews einfach aneinanderreiht, womit der Film keinen einheitlichen Rhythmus findet. Der äußere Rahmen bietet jedoch einen Einblick in die unterschiedlichen Abteilungen der Bayerischen Staatsoper, von der Kostümschneiderei bis hin zur Schuhmacherei, wo die verschiedensten Schuhe den Stars individuell angepasst werden. Beeindruckend ebenfalls die hochmoderne Technik, die den Kulissenwechsel von einer Oper zur nächsten in wenigen Tagen möglich macht. Wobei sich der Zuschauer hin und wieder fragen mag, ob die teilweise waghalsigen Konstruktionen beispielsweise eines freistehenden Treppenhauses etwa vom TÜV geprüft werden. Toni Schmid vermittelt den Eindruck, dass alle Abteilungen ineinandergreifen müssen, damit die Inszenierung einer Oper glückt. Allerdings müssen Handwerk und Kunst Hand in Hand gehen. Für die Opernkunst stehen ihm einige Gesprächspartner zur Verfügung: von den Musikern des Staatsorchesters über den Tenor Jonas Kaufmann und die Sopranistin Anja Harteros, den Dirigenten Ivor Bolton sowie den Ballettdirektor Igor Zelensky bis zum seit 2008 amtierenden Intendanten Nikolaus Bachler, der teilweise vom ehemaligen Intendanten Peter Jonas (1993—2006) begleitet wird. Zu den schönsten Szenen des Dokumentarfilmes gehören die Momente, wenn die beiden Intendanten einfach auf der Bühne stehen und sich über ihre Funktion unterhalten: "Ich bin kein protestantisch-deutscher Ideologe, möchte die Leute nicht erziehen", sagt Nikolaus Bachler. Peter Jonas wird etwas konkreter: Ein guter Intendant sei omnipräsent, ohne den einzelnen Künstler im Wege zu stehen. Zu Wort kommen aber auch Menschen, die zwar einfachere Aufgaben übernehmen, die aber ebenfalls zum guten Gesamteindruck des Opernhauses beitragen, etwa die Garderobenfrau oder Charles Maxwell, der früher selbst Sänger war, und nun als "Vorderhausmanager" arbeitet — zu seinen Aufgaben gehört etwa auch das Wechseln der Blumen im Foyer. Allerdings fehlt einer: Der seit Herbst 2013 amtierende Generalmusikdirektor Kirill Petrenko (sein Vertrag läuft bis 2021) ließ sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger Zubin Metha nicht dazu bewegen, dem Regisseur Rede und Antwort zu stehen. Er gebe niemals Interviews, heißt es. Wenigstens darf die Kamera ihn bei den Proben beobachten.

Selbstverständlich kann von einem Regisseur, der gleichzeitig im Ministerium für Kunst zuständig ist, kaum erwartet werden, dass er einen kritischen Film über die Bayerische Staatsoper liefert. Etwas mehr Distanz hätte dem Film aber gutgetan. Dies gilt beispielsweise für die Selbstbeweihräucherung der Akteure wie auch für den enormen finanziellen Aufwand, der eher "zwischen den Zeilen" zu ersehen ist. Ebenfalls kann sich der Zuschauer lediglich vage vorstellen, dass beispielsweise zwischen Regisseuren und Bühnenbauern nicht immer beste Übereinstimmung herrscht: Eher anekdotenhaft weist der Film auf die Erstellung von sogenannten "Vitrinen", in denen die Sänger stehen sollen. Was die künstlerische Leitung wünscht, erweist sich schlicht und einfach als von der Statik her undurchführbar.

Dennoch: Auch wenn "Ganz große Oper" hin und wieder wie ein Werbefilm wirkt, vermittelt er etwas von der Leidenschaft, mit der diese Kunstgattung die Beteiligten antreibt und die auf die Zuschauer im Theater übergreift. Ein Gutteil davon ist auch in der vermittelten Form des Dokumentarfilms von Toni Schmid erhalten geblieben.
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