IM TUNNEL | Im Tunnel
Filmische Qualität:   
Regie: Kai Wessel
Darsteller: Maria Simon, Carlo Ljubek, Carolin Garnier, Tom Philipp, Jasmin Gerat, Johanna Gastdorf, Johannes May
Land, Jahr: Deutschland 2017
Laufzeit: 90 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen: --
im Kino: 4/2017


José García
Foto: ZDF/ Boris Laewen

Maren Adam (Maria Simon) lebt mit ihrem Mann Mehdi (Carlo Ljubek) und ihren Kindern Paula (Carolin Garnier) und Daniel (Tom Philipp) in einem Einfamilienhaus in Hamburg. Sie steht vor der Eröffnung eines eigenen Lokals, das sie zusammen mit ihrer Freundin Iris (Jasmin Gerat) betreiben möchte. Bei den dazu erforderlichen Umbauarbeiten hilft den beiden Marens Bruder, der im Keller des Gebäudes einen Tunnel entdeckt. Maren möchte, dass ihr Bruder den Eingang zum Tunnel einfach zumauert. Doch dazu kommt er nicht mehr. Denn bald darauf wird Marens Bruder in seiner Wohnung erschlagen aufgefunden. Mehdi und die Kinder versuchen, wieder in den Alltag zurückzukehren. Weil aber die Polizei trotz Ermittlungen den Mörder nicht finden kann, beginnt Maren auf eigene Faust zu recherchieren. Bald glaubt sie, Hinweise auf eine ungeheure Verschwörung gefunden zu haben. Ihr Bruder sei einer international agierenden Atommüllmafia zum Opfer gefallen, die im alten Tunnelsystem unter Hamburg Giftmüll einzulagern beginnt. Ihrer Verschwörungstheorie glaubt jedoch niemand. Die Polizei scheint eine falsche Fährte zu verfolgen. Und sogar ihr Mann scheint in dieses schmutzige Geschäft verwickelt zu sein. Sie fühlt sich allein gelassen, verfolgt und bedroht. Trotz Auseinandersetzungen mit ihrem Mann merkt Mehdi genauso wie Marens beste Freundin Iris viel zu spät, dass nicht Maren in Gefahr ist. Sie wird vielmehr zunehmend zu einer Gefahr für sich und ihre Familie.

Drehbuchautorin Astrid Ströher und Regisseur Kai Wessel erzählen Marens Geschichte in Rückblenden. Den Erzählrahmen bilden die Gespräche zwischen Maren und einer Psychologin (Johanna Gastdorf), die über Marens Zustand ein Gutachten verfassen soll. "Im Tunnel" schildert das Geschehen konsequent aus Marens Sicht. Dank der hervorragenden, von einem ausgefeilten Sounddesign unterstützten Kameraarbeit von Ngo The Chau wird der Zuschauer Zeuge der Veränderungen in Marens Wahrnehmung. Besonders gelungen sind die unheimlich wirkenden Szenen im titelgebenden Tunnel. "Im Tunnel" lebt freilich von der schauspielerischen Leistung Maria Simons, die Maren Adams Psychose glaubwürdig darstellt. Der Film sagt aber auch Einiges über ein diffuses Unbehagen in einer immer komplexer werdenden Welt. Immer mehr Menschen wissen nicht mehr, was sie glauben, wem sie trauen können. Der Thriller um illegalen Giftmüll entwickelt sich zu einem Drama um den schmalen Grat zwischen Realität und Wahn.


Interview mit Hauptdarstellerin Maria Simon

Sie spielen häufig, nicht nur, aber auch, Frauen in Extremsituationen. Vor kurzem erhielten Sie die "Goldene Kamera" für die Darstellung der Silvia S., die im TV-Film "Blinde Wut" eine psychische Störung entwickelt. Auch Maren Adam scheint im Film "Im Tunnel" an einer solchen Erkrankung zu leiden. Was finden Sie an solchen Rollen, konkret an der Rolle der Maren, interessant?

Erst mal finde ich das Grundthema der Angst wichtig und interessant und notwendig zu beleuchten in der heutigen Zeit. In der Zeit, in der ich gerade lebe, unbedingt, auf jeden Fall. Ich spüre, dass es für mich und für viele ein Thema ist. Und es wird nicht kleiner, sondern größer. Es wird bedrohlicher. Maren hat bisher ganz gut funktioniert: Sie hat den Plan, den die Gesellschaft für sie entwickelt hat, durchgezogen, und hat eine Familie gegründet und gut bürgerlich gelebt. Mit einem Mal kommt ein Schock, und von einem Tag auf den anderen nimmt sie alles ganz anders wahr. Ich habe zum Glück noch nie einen solchen Schock erlebt. Aber als Schauspielerin, als Mensch, der schon immer versucht hat, die Dinge mit eigenen Augen zu beleuchten, sie aus vielen Richtungen zu sehen, würde ich vielleicht so reagieren, dass ich sage: "Das ist auch in meiner Realität". Vielleicht würde ich damit anders umgehen. Aber für Maren — und das ist interessant — taucht plötzlich etwas auf, womit sie sich vorher nicht beschäftigt hat. Oder wo sie weggeschaut hat. Plötzlich wird es megabedrohlich. Ich glaube, das nimmt in unserer Gesellschaft eher zu. Dann ist sie als Mutter — und das kann ich als vierfache Mutter gut verstehen — Löwin genug, um ihre Kinder beschützen zu wollen. Und dann verselbstständigt es sich total. Immer stellt sich dabei die Frage, was ist real und was nicht — das ist das Interessante. Interessant ist ebenfalls die Frage, was krankhaft und was nicht krankhaft ist. Ist es vielleicht so, dass die Gesellschaft krank ist und uns krank macht? Maren nimmt etwas wahr, was nicht stimmt. Aber niemand gibt uns eine Anleitung, niemand redet darüber, es wird nicht öffentlich dazu bekannt.

Ab einem bestimmten Augenblick bringt allerdings Maren sich selbst und auch ihre Kinder in Gefahr. Ist dann nicht eine Grenze erreicht?

Genau. Da ist sie im "Tunnel", weil es sie so überwältigt und es sich so verselbstständigt. Ich glaube, das kommt auch daher, dass es nicht von außen aufgefangen wird. Ja, sie bringt sich und ihre Familie in Gefahr. Aber die Möglichkeit zu entscheiden, hat sie nicht. Sie ist von ihren eigenen Eindrücken und Ängsten so überwältigt, dass sie keine freie Entscheidung treffen kann. Auch eine Depression ist zum Beispiel eine Art von Überwältigung.

Bei Verschwörungstheorien stellt sich die Frage: Was wäre, wenn sie stimmten? Dies könnte auch bei "Im Tunnel" der Fall sein. Die Frage ist wohl, wie geht man damit um?

Das Wort Verschwörungstheorie... Man müsste ein anderes Wort dafür finden. Insgesamt müsste man ja viele Wörter austauschen, eine neue Sprache erfinden. Ich finde, viel, was in diesem Verschwörungspool gesagt wird, ist eines Beleuchtens wert. Eine Theorie ist ja eine Ansammlung von Fakten, die auf Erfahrungen oder Schlussfolgerungen beruhen. Es ist auch eine Möglichkeit, die wie andere Möglichkeiten auch frei betrachtet werden dürfte. Maren wird dadurch schier überwältigt, dass sie plötzlich einen Umweltskandal sieht. Um an eine solche Figurenfindung heranzugehen, stelle ich mir zum Beispiel vor, was Elektrosmog alles anrichtet. Eine meiner größten Ängste ist, was Geräte wie Smartphone und Computer bei meinen Kindern anrichten. Ich stelle mir vor, was passieren würde, wenn ich nicht mehr die Kontrolle darüber hätte. Auch ich würde hysterisch, und würde am liebsten diese Dinge wegwerfen wie Maren, und die Kinder wegbringen irgendwohin, wo es keine Strahlung gibt.

Was für Recherchen haben Sie sonst betrieben, um die Figur Maren zu verkörpern?

Ich habe viel gelesen über medizinische Begriffe, über das medizinische Krankheitsbild Schizophrenie. Ich durfte mit einer Frau telefonisch sprechen, die das erlebt hatte, die keine Kontrolle mehr über ihre Ängste bekam. Sie ist geflohen, und hatte permanente Angst, verfolgt zu werden, bis sie medikamentös behandelt wurde. Sie sagte, sie habe sich nie so stark gefühlt, sie sei nie so sehr bei sich gewesen, wie in dieser Phase. Man ist ja in einem Tunnel, in dem man nichts mehr von außerhalb wahrnimmt. Allerdings kommt man an einen Punkt, an dem man sich oder die eigenen Kinder in Gefahr bringt. In sehr seltenen Fällen geht man gegen andere Menschen vor — wie Maren gegen ihren Mann in unserem Film. Häufig ist es so, dass man nur noch sich selbst sieht.

Sie haben wohl kaum in der Kanalisation gedreht. Wo fanden die Dreharbeiten statt?

Der Tunnel wurde in einem Bergstollen nachgebaut, in dem vor langer Zeit Eis gelagert wurde. Der Tunnel war nicht besonders lang, auch wenn er im Film durchaus so wirkt, weil er häufig gezeigt wurde.

Ist "Der Tunnel" ein Genrefilm? Kann er als Thriller oder Psychothriller bezeichnet werden?

Ich finde jede Kategorisierung schwierig. Da bin ich überfordert. Ich habe keine Ahnung, Drama, Thriller ... An sich hätte ich persönlich den Thriller nicht gebraucht. Es ist spannend, und man geht lange mit: Es könnte ja so sein. "Im Tunnel" hat schon Thrill-Elemente, aber von innen ist das alles nur Pappmaché, und man tut so, als würde man etwas sehen. Ich fand den Tunnel allerdings deswegen so genial, weil es nur ein kleines Stück Tunnel war, in dem wir hin und her gelaufen sind. Das liebe ich daran, denn ich liebe es, aus kleinen Mitteln etwas Großes herzustellen, nicht verschwenderisch zu sein, mit wenigen Ressourcen verantwortlich umzugehen.
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