ZWISCHEN DEN JAHREN | Zwischen den Jahren
Filmische Qualität:   
Regie: Lars Henning
Darsteller: Peter Kurth, Catrin Striebeck, Karl Markovics, Leonardo Nigro, Jonathan Neo Völk, Marko Dyrlich
Land, Jahr: Deutschland 2016
Laufzeit: 97 Minuten
Genre:
Publikum: ab 16 Jahren
Einschränkungen: X
im Kino: 3/2017


José García
Foto: temperclayfilm

Achtzehn Jahre hat der bullige Mann, der in "Zwischen den Jahren" im Mittelpunkt steht, im Gefängnis gesessen. Er hat eine "lebenslängliche" Freiheitsstrafe verbüßt. Der Mann, den jeder nur Becker (Peter Kurth) nennt, findet allerdings einen Job als Wachmann bei einer Kölner Firma. Ehe er zur Arbeit fährt, kniet er nieder und betet das Vaterunser. Auf seinem rechten Schulterblatt trägt er als Tattoo die betenden Hände von Dürer. Woran mag er denken, wenn er die Worte "Und vergib uns unsere Schuld" betet? Schuld hat er auf jeden Fall auf sich geladen. Denn "lebenslänglich" gibt es als Haftstrafe eigentlich nur für Mord. Der Glaube, den er offensichtlich im Gefängnis wieder oder überhaupt fand — davon erfährt der Zuschauer durch einen Besuch Beckers im Gefängnis, als er dem Gefängnispfarrer ein Geschenk mitbringt —, scheint ihm Halt zu geben.

In seinem Job geht Becker zusammen mit seinem armenischen Kollegen Barat (Leonardo Nigro) nachts in einem Lagerhaus auf Streife. Barats Versuche, mit ihm ein Gespräch anzufangen, würgt Becker sofort ab. Als sie beispielsweise zusammen eine Kneipe besuchen, sagt er zu Barat: "Können wir hier nicht einfach sitzen?" Bei dieser Art Weihnachtsfeier ist auch die alleinerziehende Putzfrau Rita (Catrin Striebeck) dabei, für die Becker nach und nach etwas empfindet. Nach dem Kneipenbesuch nimmt sie Becker zu sich nach Hause. Wahrscheinlich gefällt es ihm besonders an ihr, dass sie nicht zu viele Fragen stellt. Weder über das, wofür er ins Gefängnis wanderte, noch über Beckers Tochter, der sie einmal im Kino zufällig begegnen, will sie etwas wissen. Becker und Rita sind so etwas wie ein Paar, da Becker bald zu ihr zieht. Mit ihr und ihrem kleinen Sohn versucht offenbar der Ex-Knacki, ins bürgerliche Leben zurückzufinden. Gerade dann, wenn es wieder bergauf zu gehen scheint, wird Becker aber von seiner Vergangenheit eingeholt: Plötzlich steht vor ihm in einer U-Bahn-Station Benedikt Dahlmann (Karl Markovics), jener Mann, dessen Frau und Tochter er vor 18 Jahren bei einem tragisch aus dem Ruder gelaufenen Einbruch erschossen hatte. Kaum zu glauben, dass dieser Mann irgendwann einmal in einer Villa gelebt haben soll, so heruntergekommen er heute aussieht. Was wiederum dem Zuschauer eindringlich die Schwere von Beckers Tat vor Augen führt. Als dieser Dahlmanns Frau und Tochter erschoss, hat er eben drei, nicht nur zwei Existenzen zerstört. Nun hat der Witwer nur noch eines im Sinn: Rache an Becker zu nehmen. Drehbuchautor und Regisseur Lars Henning: Sein Film spiele mit der Tradition des Rachefilms. "Nur eben ein Rachefilm auf den Kopf gestellt. Sonst geht es immer darum, dass ein Mann rot sieht und die Sau weg muss. Aber in unserem Film ist unsere Hauptfigur die Sau. Aber wenn wir das merken, ist es längst zu spät und wir hoffen, dass sich Becker aus den Strukturen eines klassischen Rachefilms befreien und dem Leben noch ein paar gute Momente abtrotzen kann."

Bis zu dem Augenblick, als Dahlmann erstmals auftaucht, gilt Becker die Empathie des Zuschauers. Dazu trägt auch die Arbeit von Kameramann Carol Burandt von Kameke bei, die stets sehr nah am Protagonisten bleibt. Dass er auch grobschlächtig und zornig sein kann, wird auch bald deutlich. Aber der Versuch, sein Leben neu zu ordnen, verschafft Becker Anerkennung. Zwar konzentriert sich Lars Henning auf die Auseinandersetzung zwischen Becker und Dahlmann. Er fügt aber noch Einiges hinzu. Dass Becker von seiner ehemaligen Rockerbande wieder kontaktiert wird, und dass diese einen neuen Raub plant, wirkt in der Filmdramaturgie nicht ganz stimmig. Stimmiger nimmt es sich schon aus, dass sich der Regisseur Zeit lässt, um Beckers Beziehung zu Rita zu beleuchten. Denn die einsame Putzfrau wird bald zur wichtigsten, ja zur einzigen Bezugsperson für Becker.

In "Zwischen den Jahren" überwiegen die Nachtszenen. Kaum eine Szene spielt bei Tag. Dadurch bekommt der Film einen düsteren Anstrich, der zu seinem Thema passt. Was zunächst als ein weiterer Rachethriller erscheinen mag, entwickelt sich zu einem Sozialdrama und insbesondere zu einer Charakterstudie. Dazu tragen die minimalistischen Dialoge und insbesondere die wunderbaren Schauspieler bei. Peter Kurth gestaltet Becker nicht nur mit leinwandfüllender Physis. Auch die Schuld, die er auf sich geladen hat, kann der Zuschauer auf seinem Gesicht und in seiner Körpersprache regelrecht ablesen. Karl Markovics verkörpert einen verzweifelten Mann, der zunehmend psychopathischer agiert: "Wer gibt mir mein Leben zurück?" Aber auch Catrin Striebeck verknüpft als Rita die Hoffnung, endlich aus der Einsamkeit auszubrechen, mit feinfühliger Hilfsbereitschaft, dem wortkargen Mann Geborgenheit zu vermitteln.

Drückend wie die düstere Stimmung des Filmes nimmt sich auch das eigentliche Sujet von "Zwischen den Jahren" aus: Der aufrichtigen Reue Beckers steht die Unnachgiebigkeit, die Unfähigkeit Dahlmanns zu vergeben, gegenüber: "Sind Sie jetzt ein anderer Mensch?", fragt er den Mörder seiner Frau und Tochter verächtlich. Lars Henning gelingt es, im Zuschauer Verständnis für beide Positionen zu wecken, und ihn darüber hinaus zum Nachdenken nicht nur über die lebenslangen Konsequenzen einer Gewalttat, sondern auch über die Frage anzuregen, was eigentlich Vergebung bedeutet. Was geschieht nun, wenn jemand nicht die Kraft aufbringt zu verzeihen? Ein gewisser Fatalismus schwingt in dieser Frage wie im ganzen Film mit. Dennoch: ganz ohne Hoffnung lässt er den Zuschauer nicht zurück.
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