BERLINALE 2017 - DEUTSCHSPRACHIGE FILME | Berlinale 2017 - Deutschsprachige Filme
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Land, Jahr: 0
Laufzeit: 0 Minuten
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im Kino: 2/2017



Foto: Berlinale / Hannes Hubach

Der Patriarch feiert seinen Ehrentag. Zum 90. Geburtstag von Wilhelm Powileit (Bruno Ganz) haben sich Parteigenossen eingefunden. Junge Pioniere bringen ihm ein Ständchen. Die meisten Besucher warten ungeduldig auf den SED-Bezirksvorsitzenden, der dem hochdekorierten Genossen eine hohe Auszeichnung überreichen soll. Er selbst freut sich auf die Ankunft seines erwachsenen Enkels Sascha (Alexander Fehling), der den Tisch für das Festessen richten soll. Sascha wird aber nicht kommen. Dessen Vater Kurt (Sylvester Groth), der 1956 aus den Arbeitslagern der UdSSR nach Ostberlin gekommen ist, und seine russische Frau Irina (Evgenia Dodina) wissen bereits, dass ihr Sohn gerade in den Westen abgehauen ist. Die DDR geht unter ? das verdeutlicht Matti Geschonnecks Spielfilm "In Zeiten des abnehmenden Lichts" an vielerlei Stellen. "Das Problem ist, dass das Problem das Problem ist", wird beispielsweise eine politische Lage umschrieben, die jeder kennt, die sich aber noch niemand offen anzusprechen wagt.

Das auf dem 2011 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten, gleichnamigen Roman von Eugen Ruge basierende Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase setzt den Verfall der Vier-Generationen-Familie parallel zum Untergang der DDR. "In Zeiten des abnehmenden Lichts" bietet eine gelungene neue Sicht auf dieses Kapitel deutscher Geschichte, weil der Film aus der Perspektive einer Familie erzählt, die viel Herzblut in den Aufbau der DDR gesteckt hatte.

"In Zeiten des abnehmenden Lichts" wurde bei den 67. Internationalen Filmfestspielen Berlin in der Reihe "Berlinale Special" gezeigt. Dieselbe Reihe präsentierte einen weiteren historischen Spielfilm: "Es war einmal in Deutschland..." von Sam Garbarski ist 1946 in Frankfurt am Main angesiedelt, und basiert ebenfalls auf einer literarischen Vorlage, der "Teilacher"-Trilogie von Michel Bergmann. Der jüdische Kaufmann David (Moritz Bleibtreu) will mit einigen Freunden, die dem Holocaust entkommen sind, einen Weißwäsche-Handel betreiben. Die Überlebenden wollen damit Geld genug verdienen, um Deutschland endgültig den Rücken zu kehren. Ehe aber David von den Alliierten die Konzession erhält, soll eine amerikanische Offizierin mit deutschen Wurzeln (Antje Traue) die Wahrheit über Davids Überleben herausfinden: Warum genoss er im Konzentrationslager eine besondere Behandlung? Hat David womöglich mit den Nazis paktiert? Die abenteuerliche Geschichte, die er der US-Offizierin auftischt, erzählt "Es war einmal in Deutschland ..." in Rückblenden. Regisseur Garbarski bietet einen sehr gut ausgestatteten Film, der allerdings mehr solche äußere Werte in den Mittelpunkt stellt als eine stimmige Dramaturgie. Der komödiantische Ton und insbesondere die Schelmenstücke, mit denen David und seine Geschäftsfreunde die Ware an den Mann beziehungsweise die Hausfrau bringen, drängen die ernsten Fragen in den Hintergrund: Ist es für einen Juden nach dem Holocaust möglich, in Deutschland ein neues Leben zu gewinnen? Hing ein Überleben lediglich vom Glück ab?

Ein weiterer historischer Film, der allerdings nicht im offiziellen Berlinale-Programm, sondern in den parallel stattfindenden Vorführungen der "AG Kino-Gilde" gezeigt wurde, adaptiert ebenfalls einen Roman, den Kinderbuchklassiker "Maikäfer, flieg!", in dem die österreichische Autorin Christine Nöstlinger ihre Kindheit literarisch verarbeitet. Aus der Sicht der neunjährigen Christl (Zita Gaier) erzählt Regisseurin Mirjam Unger vom Ende des Krieges. Christl lebt im April 1945 noch in Wien zusammen mit den Großeltern, der Mutter (Ursula Strauss) und der älteren Schwester. Sie selbst kann sich an die Zeit vor dem Krieg nicht mehr erinnern. Aber nun ist dessen Ende nah. Der Mutter gelingt es, zusammen mit Christl und deren Schwester die Stadt zu verlassen. Die Neunjährige kann kaum etwas anderes mitnehmen als die intakten Weihnachtskugeln, die sie unter den Trümmern gefunden hat. In einem Landhaus stößt der fahnenflüchtige Vater zur Familie. Nun muss er sich vor den Russen verstecken. Bald kommt die distinguierte Eigentümerin des Hauses mit ihrem Sohn ebenfalls dorthin. Eine erste Truppe russischer Soldaten erscheint, die am liebsten alles zerstören würden. Zum Glück ziehen sie weiter. Denn die Truppen, die dort ein militärisches Quartier aufstellen, verhalten sich weniger gewalttätig, wenigstens, wenn sie nüchtern sind. In diesem Mikrokosmos freundet sich Christl insbesondere mit dem russischen Koch an, dem alles Militärische abgeht und deshalb auch von den Soldaten schikaniert wird. "Maikäfer, flieg!" schildert die letzten Wochen des Kriegs konsequent aus Kindersicht, findet aber auch berührende Momente ? etwa dann, wenn eine russische Soldatin von den barbarischen Taten der Deutschen in ihrem Heimatdorf erzählt. Das nuancierte Bild sowohl der Russen als auch der Österreicher zeugt von Menschlichkeit selbst in einer verrohten Zeit.

Auch in weiteren Filmen der diesjährigen Berlinale stehen Kinder im Mittelpunkt: In "Die beste aller Welten", der in der Reihe "Perspektive Deutsches Kino" mit dem neu gestifteten "Kompass-Perspektive-Preis" ausgezeichnet wurde, erlebt der siebenjährige Adrian (Jeremy Miliker) die Drogensucht seiner Mutter Helga Wachter (Verena Altenberger) am Stadtrand von Salzburg. Dort wurde Regisseur Adrian Goiginger im Juli 2012 Zeuge des Drogentods seiner Mutter. Sein Langfilmdebüt ist deshalb unverblümt autobiographisch und zeigt eine berührende Mutter-Sohn-Beziehung: "Eine Liebesgeschichte zwischen einem Jungen und seiner Mutter, die ihren Sohn über alles liebt und doch so gefangen ist in ihrer Sucht", fasst der Regisseur seinen Film zusammen. Regisseurin Mascha Schilinski stellt die siebenjährige Luca (Helena Zengel) in den Mittelpunkt ihres Filmes "Die Tochter". Luca genießt die Aufmerksamkeit ihrer getrennt lebenden Eltern Hannah (Artemis Chalkidou) und Jimmy (Karsten Antonio Mielke). Als sich aber bei einer gemeinsamen Reise Hannah und Jimmy wieder näherkommen, stemmt sich Luca dagegen. Denn sie möchte nicht die Stellung als wichtiges Glied in der überkommenen Familienkonstellation verlieren. Luca wird zur Meisterin der Manipulation ihrer Eltern. Ein nachdenklich machender Film, eine andere Sicht auf Scheidungskinder.

Im Wettbewerbs-Beitrag "Helle Nächte" von Thomas Arslan reist der in Berlin lebende Michael (Georg Friedrich, der für diese Rolle den Silbernen Bären als Bester Darsteller gewann) zusammen mit seinem 14-jährigen Sohn Luis (Tristan Göbel) nach Norwegen, wo Michaels Vater gerade gestorben ist. Während der Reise versucht Michael, das Vertrauen seines Sohnes wiederzugewinnen, zu dem er jahrelang keinen Kontakt mehr hatte. Denn Luis lebt seit Jahren bei seiner Mutter auf dem Lande. Die Abwesenheit des Vaters hat in Luis eine tiefe Wunde hinterlassen. Während der langen Tage der Sommersonnenwende versucht Michael, für sich und seinen Sohn einen gemeinsamen Weg zu finden.

Eine schwierige Familienkonstellation steht im Zentrum von Mia Spenglers "Back for Good". Nach einem Drogenentzug zieht Reality-TV-Sternchen Angie (Kim Riedle) zu ihrer Mutter Monika (Juliane Köhler) und zur pubertierenden Schwester Kiki (Leonie Wesselow) in ihr Heimatdorf zurück. Angie wurde zwar ein Platz im nächsten Dschungelcamp zugesichert. Inzwischen hat sich jedoch ihr Freund und Manager von ihr getrennt und keiner ihrer sogenannten Freunde ist bereit, sich für sie einzusetzen. Nach einem Nervenzusammenbruch muss die Mutter ins Krankenhaus, so dass sich Angie um Kiki kümmern muss. Was anfänglich wie eine Katastrophe scheint, wird zur Chance für die drei Frauen. Mia Sprengler prangert nicht nur die Verrohung der Gesellschaft und die Oberflächlichkeit des Show-Business an, in dem es lediglich darum geht, etwa durch Skandale ("lesbisch geht immer") Aufmerksamkeit zu erregen.

Darüber hinaus zeigt "Back for Good" eine tragisch-komische Heldin, der es gelingt, gerade dadurch dem seichten Milieu zu entkommen, dass sie erstmals in ihrem Leben sich für jemand anderes als sich selbst interessiert. Dafür findet Kameramann Falko Lachmund berührende Bilder der zwei ungleichen Schwestern.
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